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Trinkwasser: Süßwasser unter dem Meer

Vor einigen Jahren entdeckten Fachleute an verschiedenen Stellen Süßwasser unter dem Meeresboden. Wie aber gelangte das Wasser hunderte Meter unter den Ozean, wie findet man solche Vorkommen – und lassen sie sich möglicherweise nutzen?
Ein Schiff auf dem Nordatlantik. Am Himmel dringt die Sonne durch die Wolkendecke.
Die Sonne dringt durch die Wolken über dem Nordatlantik.

An einem klaren Septembertag im Jahr 2015 ging ich zusammen mit meiner Kollegin Kerry Key an Bord des Forschungsschiffs R/V Langseth. Zehn Jahre hatten wir gebraucht, um die vor uns liegende Expedition zu finanzieren. Jetzt lag das Schiff an der Woods Hole Oceanographic Institution in Massachusetts vor Anker. Es war der Beginn einer zehntägigen Expedition, bei der wir ein Süßwasserreservoir kartieren wollten. Größe: unbekannt, Lage: zirka 100 Meter unter dem Meeresboden.

In den 1960er Jahren hatte der Geologische Dienst der USA auf der Suche nach Lagerstätten für Sand und andere Rohstoffe eine Reihe von Bohrungen vor der Küste des Bundesstaats New Jersey unternommen. Zu ihrer großen Verwunderung stießen die Fachleute dabei auf Süßwasser. Jahre später entnahmen andere Fachleute an derselben Stelle Wasserproben und untersuchten seine chemische Zusammensetzung. Überrascht stellten sie fest, dass es sich um eine Mischung aus Regen- und Meerwasser handelte. Doch was machte Regenwasser 65 Kilometer vor der Küste, noch dazu unter dem Meeresboden?

Nun waren wir unterwegs zu dem Ort dieser merkwürdigen Entdeckungen. Sobald die R/V Langseth an der richtigen Position war, warfen wir eine lange Leine aus, die auf dem Wasser schwamm und einen speziellen Sender trug. Damit schickten wir elektromagnetische Signale mehrere hundert Meter tief bis in den Meeresboden hinein. Die zurückgeworfenen Signale registrierten wir mittels Sensoren an der Leine. Wir zogen den Apparat aus Instrumenten ganz langsam 130 Kilometer weit über den Bereich, in dem Jahrzehnte zuvor gebohrt worden war. Außerdem versenkten wir Messinstrumente, die dann vom Ozeanboden aus die Signale unseres Senders sowie die der natürlichen elektromagnetischen Felder aufzeichneten. Anhand all dieser Messwerte erstellten wir ein Bild davon, was sich unter dem Meeresboden befand. Die Prozedur wiederholten wir bei Martha’s Vineyard, einer weiteren Stelle vor der Küste, an der man Süßwasser vermutete.

Nach mehreren Monaten hatten wir alle Daten ausgewertet. Mit unseren Ergebnissen sorgen wir 2019 für Aufsehen: »Mysteriöses Süßwasserreservoir unter dem Meer gefunden«, lautete eine der Schlagzeilen. Das stimmte zwar, aber viel mehr wussten wir nicht. Wie groß war es? Wie ist das Wasser dort hingelangt, und wie häufig sind solche unterirdischen Vorkommen vor der Küste?

Suche nach Offshore-Aquiferen

Daneben quälten uns noch weitere Fragen. Nur 2,5 Prozent des Oberflächenwassers auf der Erde sind Süßwasser. Bis zum Jahr 2100 werden Schätzungen zufolge zirka zehn Milliarden Menschen auf der Welt leben – die Ressource wird also knapper werden, insbesondere in dicht besiedelten Küstenregionen. Durch die Erderwärmung verändern sich außerdem Niederschlagsmuster; Gewässer sind durch Verschmutzung bedroht und bestehende unterirdische Wasservorkommen werden durch Landwirtschaft und Bebauung zunehmend geleert. Könnten also große, versteckte Vorkommen, die nur wenige Dutzend Kilometer vor der Küste liegen, ein Ausweg sein? Gibt es solche Lagerstätten überall auf der Welt, auch an Orten, an denen Trinkwasser bereits knapp ist? Und falls ja, könnten wir sie sicher und wirtschaftlich erschließen? Unsere Entdeckung gab den Anstoß zu weiteren Untersuchungen, darunter Expeditionen vor den Küsten vor San Diego, Hawaii, Neuseeland und Malta, die erste Antworten liefern.

Aufzeichnungen über Süßwasser, das vor der Küste gefunden wurde, reichen bis ins 19. Jahrhundert zurück. Gelegentlich berichteten Fischer von Stellen vor Florida, an denen das Meer zu kochen schien. Sie nahmen an, dass Wasser dort von unten nach oben aufstieg. In einigen Fällen probierten sie es und stellten fest, dass es nicht salzig schmeckte. Das ist naheliegend: Süßwasser hat eine geringere Dichte als Salzwasser und steigt daher im Meer nach oben.

Ein ungewöhnliches Signal deutet auf Süßwasser hin

Bereits 1996 war ich mit sechs Kollegen auf einem kleinen Forschungsschiff vor der Küste der Stadt Eureka in Kalifornien unterwegs. Wir wollten damals Sedimente kartieren und verwendeten dazu ein neues System zur Vermessung des Meeresbodens, das am Pacific Geoscience Center in Kanada gebaut worden war. Unsere Unternehmung war Teil eines großen Forschungsprogramms, das untersuchen sollte, wie Flüsse Sedimente ins Meer tragen. Wir ermittelten dabei, wie viel Meerwasser die Sedimente bis zu einer Tiefe von zirka 30 Metern enthielten. Dabei setzten wir elektromagnetische Sensorik ein, damals die neuste Technik in der marinen Geophysik.

In einem Gebiet sahen wir ein Signal, das allen bisherigen Daten widersprach: Letztere legten nahe, dass sich hier feinkörnige, schlammige Sedimente mit hohem Salzwassergehalt befanden. Unsere Messwerte jedoch sprachen für Süßwasser, und zwar im Umkreis von zirka 50 Quadratkilometern. Hier könnte also Grundwasser von Bereichen unterhalb der Küste durch Risse und Verwerfungen in den Meeresboden sickern. Nach dieser Entdeckung wussten wir, dass elektromagnetische Sensoren Süßwasser aufspüren können, das sich unter dem Meer versteckt.

Ein Kontinent endet nicht an seiner Küstenlinie, sondern erstreckt sich unter Wasser als felsiger Festlandsockel mitunter bis weit ins Meer hinaus. Am Ende des recht flachen Kontinentalschelfs geht der Boden abrupt in einen steilen Abhang über, der tief hinunter auf den Meeresboden abfällt. Die Felsen und Sedimente, aus denen die Kontinentalschelfe der Welt bestehen, sind innen nicht trocken. Einige Felsen haben Risse, durch die Meerwasser eindringen kann. Und die meisten Schelfe sind von Schichten aus Sedimentgestein bedeckt, die man sich wie harte Schwämme mit kleinen, miteinander verbundenen, wassergefüllten Poren vorstellen kann.

In Sedimenten direkt auf dem Meeresboden oder knapp darunter machen die Poren in der Regel 40 bis 50 Prozent des Gesteinsvolumens aus. Das Gewicht des darüberliegenden Ozeans drückt das Wasser weit in das Sediment hinein. Geowissenschaftler sind sich nicht einig, wie weit das Wasser auf diese Weise dort eindringen kann, aber es sind zumindest einige Kilometer. Mit zunehmender Tiefe sinkt der Gehalt an eingesickertem Wasser jedoch rasch, weil sich Risse und Porenräume unter dem steigenden Druck schließen. Je stärker die verschiedenen Poren miteinander vernetzt sind, desto durchlässiger ist das Gestein – desto leichter kann das Wasser also durch es hindurchfließen.

Wie gelangt das Grundwasser unter den Ozean?

Da der Schelf eine Fortsetzung des Kontinents ist, könnten in den Gesteinen und Sedimenten unter dem Festlandsockel erhebliche Mengen an Süßwasser verborgen sein. Das legen Modellierungen nahe, die den Fluss des Grundwassers an der Nordostküste der USA untersucht haben. Es gibt allerdings verschiedene Annahmen darüber, wie dieses Wasser dort hingelangt ist und warum es dort verbleibt.

Unter dem Land ist Grundwasser in Wasser führenden Gesteinsschichten, so genannten Grundwasserleitern oder Aquiferen, gespeichert. Die flacheren von ihnen werden durch Regen gespeist. Andere, deutlich tiefere, enthalten Wasser, das dort seit Jahrtausenden lagert; möglicherweise stammt es noch von Gletschern aus der letzten Eiszeit. Die Grundwasserleiter sind je nach Region unterschiedlich beschaffen. Überall auf der Erde ist Grundwasser die wichtigste Quelle für Trinkwasser. Rund 69 Prozent des weltweiten Süßwassers sind als Eis und Schnee gebunden, vor allem in den Eisschilden der Arktis und Antarktis, und damit nicht nutzbar. Grundwasser macht fast die gesamten verbleibenden zirka 30 Prozent aus, nur weniger als ein halbes Prozent ist als Oberflächenwasser in Flüssen und Seen gespeichert. In Deutschland steuert Grund- und Quellwasser gut 70 Prozent zur öffentlichen Trinkwasserversorgung bei.

Der Kontinentalschelf vor der Ostküste der USA endet an einigen Stellen knapp hinter der Küstenlinie, erstreckt sich mancherorts aber auch mehr als 300 Kilometer weit ins Meer hinaus. Entsprechend reichen die geologischen Schichten, welche die unterirdischen Grundwasserleiter bilden, als Teil des Schelfs ebenfalls bis weit hinaus unter den Ozean.

Wenn es über der Küste regnet, kann das Wasser in einen Grundwasserleiter sickern. Mitunter überschreitet es so unterirdisch die Küstenlinie und gelangt schließlich bis zum Meeresboden. Dieses Wasser kann nur dann über lange Strecken fließen und frisch bleiben, wenn der marine Grundwasserleiter von einer undurchlässigen Schicht bedeckt ist. Sie besteht in der Regel aus verdichtetem tonhaltigem Sediment. Ton hat widersprüchliche Eigenschaften: In lockerer Form kann er viel Wasser aufnehmen, aber wenn er verdichtet ist, wird er fast undurchlässig. Die Kappe aus Ton verhindert, dass das weniger dichte Süßwasser aus dem Grundwasserleiter zum Meeresboden aufsteigt.

Doch noch ein völlig anderer Mechanismus ist denkbar: Als sich während vergangener Eiszeiten riesige Eisschilde und Gletscher bildeten, banden sie große Mengen an Meerwasser. Der Meeresspiegel lag daher viel niedriger als heute, und lange Abschnitte der heutigen Kontinentalschelfe waren als offenes Land den Elementen ausgesetzt. So ist der Regen, der während der letzten Eiszeit vor etwa 20 000 bis 12 000 Jahren dort fiel, vermutlich versickert. Falls dieses Wasser unter eine undurchlässige Gesteinsschicht floss, dann könnte es dort eingeschlossen geblieben sein, als das Eis schmolz, die Eiskappen sich zurückzogen und der Meeresspiegel stieg. Wieder ein anderes Modell geht davon aus, dass die Eisschilde das Süßwasser durch ihr enormes Gewicht tief in den Untergrund hinein bis unter mögliche versiegelnde Gesteinsschichten drückten.

Entstehung von Offshore-Aquiferen

Um herauszufinden, wie ein bestimmtes Reservoir entstanden ist, ob es mit Grundwasserleitern an Land verbunden ist und wie groß es ist, sind viele Messungen nötig. Zwar erhält man auch durch Bohrungen Proben, aber das ist teuer und liefert nur Einblicke an einzelnen Stellen. Bis zu unserer Fahrt mit der R/V Langseth gab es keine kostengünstige, einfach anzuwendende Technik, die große Bereiche des Meeresbodens vermessen konnte.

In den 1970er und 1980er Jahren begannen Forscher elektromagnetische Instrumente zu entwickeln, die Eigenschaften des Meeresbodens messen konnten. Teils befeuerte die US-Marine dieses Interesse, da sie die Langstreckenkommunikation von U-Booten verbessern wollte. In den 1980er und 1990er Jahren wurde die elektromagnetische Methode »Controlled Source Electromagnetic«, kurz CSEM, allmählich immer ausgefeilter. Die Erdölindustrie nutzte die Technik in den späten 1990er und frühen 2000er Jahren, um Öl im Untergrund aufzuspüren. Dadurch verbesserten sich die Instrumente deutlich, die auch der Forschung zur Verfügung standen.

Eine neue Technik ermöglicht gezielte Suchen

Bei der CSEM-Technik misst man im Wesentlichen, wie gut der Meeresboden den elektrischen Strom leitet. Das hängt auf dem Kontinentalschelf davon ab, wie viel Meerwasser die Poren und Risse enthalten, wie salzhaltig dieses ist und welche Temperatur es hat. Weil die Ionen des gelösten Salzes die Leitfähigkeit erhöhen, leitet ein Abschnitt des Meeresbodens, der mit Salzwasser durchsetzt ist, den Strom besser als einer, der Süßwasser enthält. Mit CSEM lassen sich solche Unterschiede recht genau messen.

Viele Rätsel bleiben

Während unserer Fahrt befanden sich die vier Empfänger an der Schleppleine 600 bis 1400 Meter hinter dem Schiff. Sie zeichneten das elektrische Feld auf, das ein Sender in der Nähe des Schiffes erzeugte, sowie dasjenige elektrische Feld, das entstand, nachdem die Signale durch den Boden unter dem Meer gewandert waren. Je weiter hinter dem Schiff der Empfänger sich befand, desto tiefer konnte er in den Untergrund »blicken«. Diese Informationen kombinierten wir mit Daten über die natürlichen elektrischen und magnetischen Felder, die wir mit den auf dem Meeresboden abgesetzten Instrumenten erhielten. Das Ergebnis war eindeutig: Vor New Jersey und Martha’s Vineyard liegen Süßwasserreservoirs unter dem Ozean.

Wie weit sich die Lagerstätten erstrecken und wie viel Süßwasser dort genau schlummert, wissen wir allerdings noch nicht genau. Die CSEM-Leitfähigkeitsmessungen werden nämlich nicht nur durch den Salzgehalt des Porenwassers, sondern auch von der Porosität des Meeresbodens beeinflusst – also davon, wie viel Wasser in einem bestimmten Gesteinsvolumen vorhanden ist. Ein stark poröses Gestein, das weniger salziges Wasser enthält, kann denselben Messwert aufweisen wie ein schwach poröses Gestein mit salzigerem Wasser. Bei unseren CSEM-Untersuchungen vor New Jersey haben wir daher Proben von den Sedimenten aus den Bohrlöchern sowie Proben des Porenwassers genommen und unsere Modelle damit abgeglichen. Ein Liter Meerwasser enthält etwa 35 Gramm gelöste Salze. Wasser mit einem Salzgehalt zwischen 1 und 10 Gramm pro Liter gilt als brackig, Süßwasser hat einen Wert von unter 1. Das Porenwasser vor New Jersey und Martha’s Vineyard hat Salzgehalte zwischen 0,2 und 9,0 Gramm pro Liter.

Für den Meeresboden dazwischen liegen uns keine Daten vor – wir wissen also nicht, ob die beiden untermeerischen Süßwasservorräte miteinander verbunden sind, und wenn ja, wie. Wir nehmen an, dass es unter dem gesamten Schelf von Neuengland Süßwasser geben könnte, weil Untersuchungen und Modelle von Grundwasserleitern an Land das nahelegen. Das Wasser vor Martha’s Vineyard könnten Gletscher vor mehr als 12 000 Jahren dort hinterlassen haben. Jenes vor New Jersey wiederum scheint teilweise von Regenfällen zu stammen, die sich über dem Land ergossen haben. Ein großes Forschungsteam will 2024 Bohrproben vor Martha’s Vineyard nehmen. Die chemischen Analysen aus diesem Vorhaben können uns hoffentlich helfen herauszufinden, wie lange sich das Wasser dort schon verbirgt.

Folgt man der Ostküste weiter in Richtung Süden, gehen die geologischen Formationen zunehmend in Kalkstein über. Das Wasser im Untergrund bewegt sich hier möglicherweise wieder anders. Um zu entschlüsseln, was dort passiert, bräuchte es deutlich mehr CSEM-Messungen und unter Umständen zusätzliche Bohrungen an ausgewählten Stellen – ein teures Unterfangen. Es ist schwierig zu untersuchen, was sich am Übergang vom Land zum Meer abspielt; doch das wäre nötig, um mögliche Wasserströmungen von Aquiferen unter dem Land zu Reservoirs unter dem Meer zu finden. Dazu müsste man eine lange Anordnung von Sensoren in flachem Gewässer hinter einem Schiff herziehen, und das bei starker Brandung und regem Schiffsverkehr. Zusätzlich müsste man an der Küste Messungen mit ganz ähnlichen Sensoren durchführen. Vielleicht lohnt es sich aber: Die Ostküste der USA steht verglichen mit anderen Teilen der Welt zwar nicht unter starkem Wasserstress, allerdings ist die Region ziemlich gut erforscht und bietet daher möglicherweise die beste Gelegenheit, die verschiedenen Prozesse zu verstehen, die dazu beitragen, dass Offshore-Aquifere entstehen.

Weitere fantastische Süßwasservorkommen und wo sie zu finden sind

Wie schon erwähnt, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seit unserer Fahrt weitere Experimente durchgeführt – teils an Orten mit gänzlich anderen geologischen Gegebenheiten. 2018 fand man vor Hawaii mit ähnlichen Instrumenten wie unseren eindeutige Hinweise darauf, dass mehrere hundert Meter unter dem Meeresboden süßwasserhaltiges Gestein liegt. Anders als New Jersey besteht Hawaii aus vulkanischem Gestein, das stark porös ist. Vermutlich entstehen die untermeerischen Grundwasserleiter, indem Wasser vom Land unterirdisch abfließt. Da Hawaiis Wasserversorgung von Niederschlägen abhängt, ist es wichtig zu verstehen, auf welchen Wegen das Wasser dort unter den Ozean gelangt.

Seit ein paar Jahren hat das Interesse an Süßwasservorkommen vor der Küste stark zugenommen, vor allem in Gegenden, in denen Trinkwasser knapp ist. Wir schätzen grob, dass in Gebieten bis zirka 150 Kilometer vor den Küsten weltweit etwa eine Million Kubikkilometer Süßwasser untermeerisch eingeschlossen sind. Zum Vergleich: Die Stadt New York verbraucht etwa 1,4 Kubikkilometer pro Jahr. Unsere Schätzung basiert hauptsächlich auf der Extrapolation von Daten, die wir von Bohrungen an Land sowie durch die wenigen bisher durchgeführten Offshore-Erkundungen erhalten haben.

Bis jetzt hat noch niemand im Detail eine Methode entwickelt, um einen untermeerischen Grundwasserleiter zu erschließen. Tor Bakken vom norwegischen Auftragsforschungsinstitut SINTEF Energy Research hat mit Kollegen skizziert, wie ein solches System, basierend auf Techniken aus der Ölförderung, funktionieren könnte. Dazu müsste eine Plattform oder ein Lastkahn über einem untermeerischen Süßwasserreservoir verankert werden. Anschließend würde in das Reservoir gebohrt und das Wasser durch eine Pipeline am Meeresboden zu einer Aufbereitungsanlage an Land geleitet. Dort würde es entsalzt, wahrscheinlich durch Umkehrosmose. Bakken schätzt, dass dieses Verfahren etwas günstiger wäre als die gängige Meerwasserentsalzung – je nachdem, wie salzig das Wasser im Reservoir ist. Die Entsalzung benötigt allerdings große Mengen an Energie und würde den Löwenanteil der Kosten verursachen.

Um zu entscheiden, ob ein bestimmtes Wasserreservoir tatsächlich genutzt werden soll, muss man aber zuerst verstehen, wie das Grundwasser überhaupt dorthin gelangt. Falls der untermeerische Grundwasserspeicher nämlich nicht mit Wasser führenden Strukturen unter dem Land verbunden ist, ist das eingeschlossene Süßwasser von meerwasserhaltigen Sedimenten umgeben. Sobald jemand damit beginnt, das Süßwasser abzupumpen, könnte also Meerwasser in den Hohlraum fließen, sich mit dem verbleibenden Süßwasser vermischen und dessen Salzgehalt erhöhen. Und wenn das Süßwasser einmal abgepumpt ist, wird der Speicher nicht wieder aufgefüllt.

Doch selbst, wenn der Offshore-Aquifer mit einem Grundwasserleiter an Land verbunden ist, ist das Abpumpen möglicherweise riskant. Das Wasser in jedem Reservoir unter dem Ozean wäre zumindest leicht brackig, und durch den Eingriff könnte sich das Wasser beider Speicher vermischen – und so den Grundwasserleiter unter dem Land ebenfalls versalzen. Würde man viel Wasser vor der Küste abpumpen, könnte das Modellierungen zufolge außerdem die Wasserquelle an Land, welche die untermeerischen Lager speist, austrocknen und gar zu Bodensenkungen führen.

Aus diesem Grund lohnt es sich vermutlich nicht, einen Offshore-Aquifer anzuzapfen, der vor wenigen Jahren vor Kalifornien entdeckt wurde. Zwischen September 2019 und September 2020 wies ein Forschungsteam mit Hilfe von CSEM-Sensoren nach, dass brackiges Grundwasser in der San-Diego-Formation, einem großen unterirdischen Wasservorrat der Stadt, mit einem submarinen Aquifer vor der Küste verbunden ist. Die Region ist aber – wie die gesamte Westküste der USA – von vielen geologischen Verwerfungen durchzogen. Dadurch kann zwar Grundwasser unter den Ozean fließen, aber es könnte eben auch Salzwasser eindringen, wenn zu viel Wasser abgepumpt wird. In San Diego scheint das der Fall zu sein.

Ein Schatz, der vielleicht nie gehoben wird

Manche Regionen, ja sogar ganze Länder entsalzen heute bereits Meerwasser, um ihre Wasserversorgung sicherzustellen, ein teures und energieintensives Verfahren. Bevor eine Stadt daher nach Süßwasser aus dem Meer bohrt, wäre es unter Umständen sinnvoller, auf Grundwasser zurückzugreifen, das bislang als zu brackig galt: Denn das ist möglicherweise immer noch weniger salzig als das unter dem Meer lagernde Süßwasser. San Diego und die texanische Stadt El Paso entsalzen bereits brackiges Grundwasser.

Wenn ein Offshore-Aquifer vor den Küsten mehrerer Länder verläuft, wird sich zudem die Frage stellen, wer daraus schöpfen darf. Außerdem: Auf seinem unterirdischen Weg transportiert das Grundwasser lebenswichtige Nährstoffe und andere Substanzen zu den empfindlichen Meeresgemeinschaften entlang des Kontinentalhangs. Es lässt sich daher nicht vorhersagen, welche Folgen die Nutzung des Offshore-Grundwassers auf die Ökosysteme hätte.

Bislang ist nur eine kleine Anzahl untermeerischer Süßwasser-Aquifere wissenschaftlich bestätigt; es könnte noch viele weitere geben. Vor allem in Europa wachsen die Bestrebungen, solche Möglichkeiten zu erforschen. 2020 zeigte eine Vermessung im Mittelmeer rund um Malta ein Süßwasservorkommen vor der Küste, das wahrscheinlich durch Grundwasser an Land gespeist wird. Laut den Daten und einer Simulation lagert dort möglicherweise ein Kubikkilometer Süßwasser – genug, um die Bevölkerung der Insel 75 Jahre lang zu versorgen. Die Simulation zeigte aber auch, dass durch den Klimawandel künftig weniger Niederschläge fallen werden und der neu entdeckte Wasserspeicher in den nächsten 80 Jahren um etwa 38 Prozent schrumpfen wird.

Es gilt also noch eine Menge herauszufinden. Die anstehenden Bohrungen südlich von Martha’s Vineyard werden uns hoffentlich mehr darüber verraten, wie die Süßwasservorräte unter dem Land und unter dem Meer zusammenhängen. Je mehr wir wissen, desto besser werden wir verstehen, wie die verborgenen Schätze entstehen und wo sie zu finden sind.

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