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Romeyka: Digitalplattform soll »lebendes Fossil« des Altgriechischen retten

Schon in der frühen Antike brachten Menschen die griechische Sprache an die Schwarzmeerküste. Als Romeyka lebt ihr Idiom bis heute fort – stark bedroht und kaum erforscht.
Ioanna Sitaridou mit Romeyka-Sprecherinnen
Die Linguistin Ioanna Sitaridou (rechts) bereist immer wieder die Gegend um die türkische Stadt Trabzon, um die oft hochbetagten Sprecherinnen und Sprecher des Romeyka zu interviewen.

Mit Hilfe der neu geschaffenen Digitalplattform »Crowdsourcing Romeyka« sollen möglichst umfassende Informationen über eine Sprache gesammelt werden, die der Forschung kaum bekannt ist: das Romeyka. Bislang hat es nur eine knappe Hand voll Fachleute in die abgelegenen Täler rund um die türkische Stadt Trabzon verschlagen, wo diese mit dem Griechischen verwandte Sprache gesprochen wird. Eine davon ist die Sprachwissenschaftlerin Ioanna Sitaridou von der University of Cambridge, die Initiatorin des Digitalprojekts. Nun erhofft sich die Initiatorin von »Crowdsourcing Romeyka« einen Zugewinn an Daten dank der Mithilfe vieler Freiwilliger, vor allem natürlich Muttersprachlerinnen und Muttersprachler.

In der Pontos genannten Region entlang der türkischen Schwarzmeerküste hat Griechisch eine sehr lange Tradition, die bereits auf Siedlungsgründungen in der frühen Antike zurückgeht. Erste Niederlassungen datieren auf das 6. Jahrhundert v. Chr. und damit noch in die Zeit vor dem Feldzug Alexanders des Großen, durch den sich dann weiter südlich, in Kappadokien, eine weitere griechische Sprechergemeinschaft etablierte. Laut Sitaridou zweigten sich seinerzeit Romeyka und andere nah verwandte pontische Sprachen von den Idiomen des griechischen Kernlands ab.

In den folgenden beiden Jahrtausenden machte das Romeyka eine eigene Entwicklung durch, wobei die Trennung vom Altgriechischen, wie es etwa weiter im Westen im oströmischen Byzanz gesprochen wurde, nie komplett war. Welche Folgen das hatte und welche linguistischen Innovationen das Romeyka mitvollzog, erforscht Sitaridou seit nunmehr 16 Jahren.

Auch Einflüsse der Nachbarsprachen im Kaukasus und in neuerer Zeit vor allem des Türkischen schlugen sich im Romeyka und den anderen Varietäten des pontischen Griechisch nieder. Damit konserviert das Romeyka das hellenistische Griechisch keineswegs in Reinform. Aber es enthält, wie Sitaridou herausfand, nach wie vor grammatische Merkmale wie etwa den Infinitiv, den die Vorläufer des Neugriechischen bereits im Frühmittelalter verloren haben. Dass der Infinitiv im Romeyka auch heute noch unter bestimmten Bedingungen verwendet werden muss, sei einer der Hinweise dafür, dass die Sprache seit sehr langer Zeit eigene Wege gehe, argumentiert Sitaridou. »Romeyka ist eine Schwester und keine Tochter des Neugriechischen«, sagt sie in einem Beitrag ihrer Universität.

Schätzungen von Sitaridou zufolge beherrschen rund 5000 Menschen das Romeyka. Allerdings sind sämtliche Warnzeichen für ein baldiges Aussterben bereits erkennbar: Die Sprache wird heute vor allem von Älteren verwendet, sie wird kaum an die nächste Generation weitergeben; sie steht im Schatten einer übermächtigen Nationalsprache, dem Türkischen, und dessen oft nationalistisch gefärbter Sprachpolitik; und am wichtigsten vielleicht, die Sprecher messen ihrem eigenen Idiom nur wenig Prestige bei.

Die Digitalplattform »Crowdsourcing Romeyka« soll darum auch die Wertschätzung für die eigene Muttersprache fördern und identitätsstiftendes Mittel für die Romeyka-Sprechergemeinde und linguistisch nah verwandte Gruppen in Griechenland sein. Die Erfahrung mit anderen bedrohten Sprachen zeigt: Häufig genügt schon der Umstand, dass sich Linguisten für das eigene Idiom interessieren, um das Prestige der Sprache bei jenen zu heben, die sie noch beherrschen.

Aus den ehemaligen »Römern« wurden Muslime

Das »Rom-« im Namen Romeyka verweist auf die historische Verbindung zur christlichen Religion und dem (Ost-)Römischen Reich. Die Christianisierung ab dem 4. Jahrhundert habe besonders stark zur Ausbreitung des Griechischen in der Pontosregion beigetragen, erklärt die Forscherin. Als im Jahr 1461 mit den Osmanen der Islam an die östliche Schwarzmeerküste kam, wechselten die Angehörigen der Romeyka-Sprachgemeinde die Religion, aber nicht die Sprache.

Landschaft um Trabzon | Die steilen Täler rund um die Stadt an der Schwarzmeerküste erinnern an die Alpen. In einzelnen Dörfern hier wird eine Sprache gesprochen, die sich direkt aus dem Altgriechischen entwickelt hat.

Dieser einzigartigen Entwicklung ist es zu verdanken, dass ihre kleine griechischsprachige Exklave nach wie vor in der Türkei fortbesteht. Denn im 1923 geschlossenen Vertrag von Lausanne legten die Türkei und Griechenland fest, dass die muslimische Bevölkerung Griechenlands in die Türkei übersiedelt werden soll und die christliche Bevölkerung der Türkei nach Griechenland. Letzteres betraf insbesondere auch die Sprecherinnen und Sprecher anderer pontischer Sprachen. Bis vor Kurzem hätten die Dagebliebenen und die Umgesiedelten nichts voneinander und ihren sprachlichen Gemeinsamkeiten gewusst, erklärt Sitaridou.

Im Konflikt mit Türken und Griechen

Sprachpolitisch steht das Romeyka in beiden Richtungen in Konflikt mit den großen Nachbarsprachen: In der Türkei verfolgen insbesondere Nationalisten das Ziel sprachlicher Homogenität im Land. In Griechenland würden pontische Sprachen wie das Romeyka kritisch beäugt, weil deren bloße Existenz der nationalistischen Ideologie einer einzelnen griechischen Sprache mit ungebrochener Tradition seit der Antike widerspreche. Das nur mündlich überlieferte Romeyka ist in dieser Vorstellung ein degeneriertes, »kontaminiertes« Hochgriechisch. Auch die Einordnung als Schwestersprache des modernen Neugriechisch kratzt am linguistischen Nationalstolz, weil sie diesem den vermeintlichen Sonderstatus einer seit Jahrtausenden isolierten Sprache ohne lebende Verwandte nimmt.

»Das Ansehen von Minderheitensprachen zu heben, ist unerlässlich für den sozialen Zusammenhalt«, erklärt Sitaridou im Bericht der University of Cambridge. Menschen würden sich »gesehen« fühlen, wenn sie ihre eigene Muttersprache sprechen dürften, entsprechend leichter falle ihnen der Anschluss an den Rest der Gesellschaft. Wenn hingegen Minderheitensprachen verboten oder unterdrückt würden, »erzeugt das eine Art von Trauma und erreicht damit genau das Gegenteil dessen, was die sprachliche Assimilierungspolitik so stolz für sich in Anspruch nimmt, nämlich die Integration in die Mehrheitsgesellschaft zu ermöglichen«.

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