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Psychopharmaka: Senken Beruhigungsmittel die Lebenserwartung von Demenzkranken?

Um unruhige oder reizbare Alzheimerpatienten ruhigzustellen, erhalten viele von ihnen Benzodiazepine. Bei demenzkranken Finnen stieg die Sterblichkeit unter Einnahme der Medikamente im folgenden Halbjahr um 40 Prozent.
Pillen können helfen, aber auch schaden

Wenn ältere Menschen an einer Alzheimerdemenz erkranken, leiden sie häufig auch unter Ängsten, Schlafstörungen, Unruhe und reizbarer Stimmung. Obgleich die medizinischen Leitlinien dies nicht als erste Wahl vorsehen, greifen Ärzte und Pfleger häufig zu Benzodiazepinen, um die Patienten ruhigzustellen, etwa wenn diese sich aggressiv verhalten oder nachts umherwandern.

Die Einnahme von Benzodiazepinen geht allerdings mit einer um rund 40 Prozent erhöhten Sterblichkeit einher, berichten finnische Forscher in der Fachzeitschrift "International Journal of Geriatric Psychiatry". Anders gesagt: Unter 100 Patienten gab es in den folgenden sechs Monaten zirka fünf Todesfälle mehr. An Stelle von 8,5 waren es mit Einnahme von Beruhigungsmitteln im Schnitt 13,4.

Die Daten stammen aus einer Kohorte von rund 70 000 Finnen, bei denen Ärzte zwischen 2005 und 2011 Morbus Alzheimer diagnostizierten. Ein Team um Heidi Tapale von der Universität in Kuopio verglich rund 10 000 dieser Patienten, die Beruhigungsmittel verschrieben bekamen, mit weiteren 20 000, die keine erhielten, aber in Hinblick auf Geschlecht, Alter und Krankheitsdauer vergleichbar waren. Jene, die schon im Jahr vor der Diagnose Benzodiazepine erhalten hatten, schlossen die Forscher aus der Analyse aus. "Unsere Befunde bestätigen die Behandlungsrichtlinien, denen zufolge nichtmedikamentöse Maßnahmen die erste Therapieoption sein sollten", schließen die Autoren aus ihren Befunden.

Schon Anfang 2017 hatte das Team um Pharmakologin Taipale im "Canadian Medical Association Journal" berichtet, dass die Gabe von Benzodiazepinen das Risiko einer Lungenentzündung bei Alzheimerpatienten in den ersten 30 Tagen der Einnahme verdoppelte. Ebenso stellten sie fest, dass die Wahrscheinlichkeit eines Schlaganfalls um ein Fünftel anstieg. Bekannt ist auch, dass ältere Menschen unter Einfluss von Beruhigungsmitteln leichter stürzen und sich etwas brechen.

Beruhigungsmittel (auch Tranquillizer genannt) wirken nicht nur beruhigend, sondern machen müde, entspannen die Muskeln und lösen Ängste. Deshalb werden sie bei Schlafstörungen, Angst- und Spannungszuständen sowie Reizbarkeit eingesetzt. Diazepam, besser bekannt unter einem seiner Handelsnamen Valium, leistet beispielsweise bei akuten psychischen Krisen kurzfristig schnelle Abhilfe und beugt als Notfallmedikament bestimmten epileptischen Anfällen vor.

Häufig werden Beruhigungsmittel allerdings zu lange eingenommen. Laut einer Studie im Auftrag des Gesundheitsministeriums erhält jeder vierte Patient die Mittel länger als von den Leitlinien vorgesehen. Paradoxerweise kann sich ihre Wirkung bei dauerhafter Einnahme umkehren, beispielsweise zu Schlafstörungen und Unruhe führen. Dazu kommen kognitive Probleme, die noch dazu leicht mit Demenz verwechselt werden. Nicht zuletzt können Benzodiazepine körperlich und psychisch abhängig machen, und ein Entzug geht ebenfalls mit Risiken und Nebenwirkungen einher. Das plötzliche Absetzen der Mittel kann ein lebensbedrohliches Delir auslösen.

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