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Tardigrada: Warum Bärtierchen praktisch unzerstörbar sind

Extreme Kälte, Trockenheit, Sauerstoffmangel – Bärtierchen trotzen den widrigsten Bedingungen. Selbst im Weltall können sie überleben. Nun sind Forscher dem Geheimnis ihrer Widerstandskraft ein Stück näher gekommen.
Bärtierchen
Bärtierchen sind nicht nur knuffig, sondern auch verdammt zäh.

Die winzigen Bärtierchen sind gleich in dreierlei Hinsicht berühmt: für ihr charmantes, pummeliges Äußeres, für ihre entzückenden Namen – im Deutschen sind die auch als »Wasserbären« bekannt – und für ihre erstaunliche Widerstandsfähigkeit angesichts von Bedrohungen, die vom Vakuum des Weltraums bis zu Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt reichen. Jetzt haben Wissenschaftler einen Schlüsselmechanismus hinter der Fähigkeit der Tierchen identifiziert, selbst den widrigsten Bedingungen zu trotzen – eine Art molekularen Schalter, der einen widerstandsfähigen Ruhezustand auslöst.

Die Forschung begann, als der Studienautor Derrick Kolling, Chemiker an der Marshall University, aus einer Laune heraus ein Bärtierchen in eine Maschine steckte, die »freie Radikale« oder Atome mit ungepaarten Elektronen aufspürt. Dabei stellte er fest, dass solche Atome auch in dem Tierchen produziert wurden. Dieser Befund ist erst einmal nicht überraschend, denn die normalen Stoffwechselprozesse eines Tieres sowie Umweltstressoren wie Rauch und andere Schadstoffe erzeugen freie Radikale in den Zellen.

Wenn sie sich ansammeln, schnappen sich freie Radikale – vor allem reaktive Formen von Sauerstoff – Elektronen aus ihrer Umgebung, um in einem als Oxidation bekannten Prozess Stabilität zu erlangen. Dabei schädigen Radikale Zellen und Verbindungen wie DNA und Proteine. In kleinen Mengen können freie Radikale jedoch als Signalmoleküle fungieren, erklärt Studienautorin Leslie Hicks, Chemikerin an der University of North Carolina in Chapel Hill. Ihre Laborstudien zeigen, wie diese Atome das Verhalten einer Zelle beeinflussen, indem sie sich an eine Vielzahl von Proteinen anheften und diese ablösen.

Als Kolling Hicks davon berichtete, dass sich auch in Bärtierchen freie Radikale finden lassen, fragte sich Hicks, ob diese Atome vielleicht eine Rolle bei der Widerstandsfähigkeit der Tiere spielen könnten. Das Team entwickelte mehrere Experimente, bei denen Bärtierchen vorübergehend Stress ausgesetzt wurden, der freie Radikale erzeugte, darunter hohe Mengen an Salz, Zucker und Wasserstoffperoxid.

Unter diesen Bedingungen rollen sich Bärtierchen zu »Tönnchen« zusammen und treten in einen schützenden Ruhezustand ein, in dem sie ihren Stoffwechsel reduzieren oder praktisch zum Erliegen bringen. Inwiefern die Tierchen das auch in diesem Fall taten und ob sie, wenn sich die Bedingungen verbesserten, ihre normale Aktivität wieder aufnehmen konnten, beobachteten die Forscher genau.

Überlebenskünstler dank Cystein?

Hicks erforscht Signalwechselwirkungen zwischen freien Radikalen und Cystein, einer Schlüsselkomponente von Proteinen. Um herauszufinden, ob dieser Mechanismus auch eine Rolle bei der Tönnchenbildung spielen könnte, setzten die Wissenschaftler die Bärtierchen verschiedenen Arten von Molekülen aus, von denen bekannt ist, dass sie die Oxidation von Cystein blockieren. Dabei entdeckten sie, dass die Tierchen unter Stressbedingungen, bei denen Cystein für die entstehenden freien Radikale nicht verfügbar war, keine Tönnchen bilden konnten.

Kazuharu Arakawa von der Keio-Universität in Japan, der sich mit Bärtierchen befasst, sagt, dass die neue Arbeit mit früheren Forschungsergebnissen übereinstimmt. Diese lieferten Hinweise darauf, dass die Cysteinoxidation auch bei einer Mücke eine Rolle spielt, die dafür bekannt ist, völliger Austrocknung widerstehen zu können. Die Ähnlichkeiten deuten darauf hin, dass der Mechanismus ein typischer Auslöser für die Tönnchenbildung und andere Dormanzzustände ist, die Wissenschaftler auch als Kryptobiose bezeichnen.

Noch seien allerdings weitere Untersuchungen nötig, um zu verstehen, wie freie Radikale in Bärtierchen wirken, sagen die Forscher. Tönnchenbildung ist nicht die einzige Taktik, die die Tiere nutzen, um Umweltstress zu überleben, und das Team plant, die anderen Strategien ebenfalls genauer zu untersuchen. Dazu wollen sie auch andere Bärtierchenarten beobachten (bislang verwendeten sie nur Hypsibius exemplaris). Sie gehen aber davon aus, dass die Cysteinoxidation bei den Tieren weit verbreitet ist.

Langfristig hofft Hicks, dass ihre Arbeit in Studien über das Altern und die Raumfahrt einfließen kann, da in beiden Fällen freie Radikale lebenswichtige Zellbestandteile wie DNA und Proteine beschädigen.

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