Direkt zum Inhalt

Covid-19: Verbreitet sich das Coronavirus über gefrorenes Fleisch?

Das Coronavirus kann bei eisigen Temperaturen lange überleben. Ein WHO-Team hat deshalb untersucht, ob die Pandemie durch gefrorenes Fleisch von Wildtieren entstanden sein könnte.
Fleisch, teils gefroren, serviert auf einem Holzbrett

Die Hypothese ist nicht ganz abwegig, wie aktuelle Untersuchungen zeigen: Das neuartige Coronavirus könnte durch infiziertes gefrorenes Fleisch von Wildtieren übertragen werden. Eine Erkundungsmission der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in China hat nun zwar nicht ausgeschlossen, dass diese Art der Übertragung zu den frühen Ausbrüchen von Covid-19 beigetragen hat. Allerdings sei es unwahrscheinlich, dass sie die Pandemie ausgelöst hat, so die WHO-Rechercheure.

Auf einer Pressekonferenz Anfang Februar 2021 gab das WHO-Team die seiner Meinung nach wahrscheinlichste Variante bekannt, laut der das Coronavirus von Fledermäusen stammt und über einen lebenden Zwischenwirt auf den Menschen übertragen wurde. Doch trotz der vielen Hinweise darauf, dass diese Übertragung den Beginn der Pandemie markiert, sei es dennoch wichtig zu untersuchen, ob gefrorenes Wildfleisch mit dem Virus kontaminiert worden sein könnte. Wildtiere würden auf chinesischen Farmen gezüchtet und könnten möglicherweise zu einem der frühesten gemeldeten Ausbrüche beigetragen haben, nämlich dem auf dem Huanan Seafood Market in Wuhan.

»Wir waren alle der Meinung, dass die Sache mit der Kühlkette eine vernünftige Hypothese ist, die in Betracht gezogen werden muss«, sagt Teammitglied Dominic Dwyer, ein Virologe von der Gesundheitsbehörde New South Wales Health Pathology in Sydney. Es bräuchte aber noch mehr Informationen, um sagen zu können, wie gefrorene Wildtiere kontaminiert worden sein könnten. Das WHO-Team werde in einem Bericht zeitnah Daten zu dieser Hypothese vorlegen.

Coronavirus auf Eis

In der Öffentlichkeit allerdings wurde die Hypothese des WHO-Teams, infiziertes gefrorenes Fleisch könnte das Virus beinhalten, mit anderen Vermutungen aus China verwechselt, denen zufolge sich das Virus über gefrorene Oberflächen verbreiten kann. Monatelang hatten die dortigen Medien die Hypothese verbreitet, dass das Coronavirus auf gefrorener, aus dem Ausland importierter Tiefkühlkost nach Wuhan gelangt sein könnte. Spätere lokale Ausbrüche von Sars-CoV-2 wurden auch mit importierter Tiefkühlkost in Verbindung gebracht. Wissenschaftler in China haben immer wieder Belege veröffentlicht, laut denen eine Übertragung auf gefrorenem Fleisch theoretisch möglich ist.

Viele Wissenschaftler außerhalb Chinas sehen das jedoch anders und beurteilen diese »Kühlketten«-Theorie als ein Ablenkungsmanöver von der Suche nach dem Ursprung der Pandemie, an deren Ende China möglicherweise in der Kritik stehen könnte. Es komme äußerst selten vor, dass Sars-CoV-2 durch kontaminierte Oberflächen von einer Person zur anderen übertragen wird.

Allerdings legen einige Studien nahe, dass eine Übertragung über gefrorene Oberflächen möglich ist. Eine noch nicht begutachtete Vorabveröffentlichung auf bioRxiv von Forschern aus Singapur ergab, dass Sars-CoV-2 auf der Oberfläche von gefrorenem oder gekühltem Fleisch mehr als drei Wochen lang infektiös bleiben kann.

Zwei Monate später brachten Forscher in China einen Ausbruch im Juni in Peking mit dem Xinfadi-Markt der Stadt in Verbindung. Dort waren nach 56 Tagen ohne neue Infektion wieder Fälle aufgetaucht, die mit einem bestimmten Stamm von Sars-CoV-2 infiziert waren. Forscher fanden Viruspartikel desselben Stammes auf kalt gelagertem Lachs an einem Marktstand.

Das Untersuchungsteam der WHO berücksichtigte diese Erkenntnisse: »Wir haben viel Zeit damit verbracht, die Beweise des Ausbruchs auf dem Pekinger Xinfadi-Markt durchzugehen.« Sie seien ins Detail gegangen und hätten versucht, die Verbindungen zu einer Quelle zu finden, sagt Teammitglied Peter Daszak, Präsident der EcoHealth Alliance, einer gemeinnützigen Organisation für globale Gesundheit in New York City.

Wie entwickelt sich die Pandemie? Welche Varianten sind warum Besorgnis erregend? Und wie wirksam sind die verfügbaren Impfstoffe? Mehr zum Thema »Wie das Coronavirus die Welt verändert« finden Sie auf unserer Schwerpunktseite. Die weltweite Berichterstattung von »Scientific American«, »Spektrum der Wissenschaft« und anderen internationalen Ausgaben haben wir zudem auf einer Seite zusammengefasst.

In einer dritten Studie, die im November 2020 veröffentlicht wurde, berichtete eine andere Gruppe von Wissenschaftlern aus China, ein infektiöses Coronavirus aus der Verpackung von gefrorenem Kabeljau isoliert zu haben. Vermutlich sei es die Quelle der Infektion der Hafenarbeiter in Qingdao in der östlichen Provinz Shandong im September gewesen. »Wir haben keinen Grund anzunehmen, dass das nicht passieren könnte«, sagt Erwin Duizer, ein Virologe vom niederländischen Nationalen Institut für öffentliche Gesundheit und Umwelt in Bilthoven. Nach diesen und anderen Ausbrüchen in China haben die Behörden im November eine obligatorische Desinfektion von importierter Tiefkühlware eingeführt, um eine Übertragung über deren Oberflächen zu verhindern.

Das WHO-Team geht nicht davon aus, dass die Pandemie durch Viren auf Lebensmitteln oder Verpackungen ausgelöst wurde. Die Ermittler halten es jedoch für möglich, dass ein mit dem Coronavirus infiziertes Tier die Quelle des großen, frühen Ausbruchs auf dem Huanan Seafood Market gewesen sein könnte. Es sei aber ebenso möglich, dass »Menschen auf den Markt kamen, die bereits infiziert waren, und dann einen Ausbruch auf dem Markt verursachten«, sagt Dwyer. Aktuell gebe es keine gesicherte Erkenntnis, und noch lägen auch nicht alle Informationen vor, um das zu beurteilen.

Bevor der Huanan-Markt im Januar 2020 geschlossen wurde, verkauften 10 der 653 Stände lebende oder gefrorene Wildtiere, die in der Wildnis gefangen oder auf Farmen gezüchtet wurden. Tiere wie Waschbären und Frettchen sind dafür bekannt, anfällig für Coronaviren zu sein, erläutert Dwyer. Als die Ermittler den Markt nach der Schließung überprüften, wurde keine der untersuchten Fleisch- oder Tierproben – einschließlich der gefrorenen Kadaver – positiv auf Sars-CoV-2 getestet. Laut Dwyer wurden jedoch möglicherweise nicht genügend Proben genommen, um die Kadaver als Infektionsquelle ausschließen zu können.

Ebola durch gefrorenes Fleisch übertragen?

Wenn gefrorene oder aufgetaute Kadaver mit dem Virus infiziert seien, könnten sie ein Infektionsrisiko darstellen, sagt Andrew Breed, Veterinärepidemiologe an der University of Queensland in Brisbane. Dies könnte vor allem auf Zwischenwirtstiere zutreffen, die tendenziell große Mengen des Virus ausscheiden, weil ihr Immunsystem nicht darauf eingestellt ist, die Infektion abzuwehren. Gefrorenes Fleisch wilder Tiere aus Afrika wurde bereits mit Ausbrüchen von Viren wie Ebola in Afrika in Verbindung gebracht; es wäre also nicht das erste Mal, berichtet der niederländische Virologe Duizer.

Breed fügt hinzu, dass wenig über den Zustand der Lebensmittel während des Transports zum Markt bekannt ist. »Das Einfrieren und Auftauen reduziert definitiv die Überlebensfähigkeit für bestimmte Virustypen enorm, einschließlich Coronaviren«, sagt er.

Duizer und andere betonen allerdings, es sei viel wahrscheinlicher, dass Sars-CoV-2 zuerst von einem lebenden Tier auf Menschen übertragen wurde. Die meisten der in China gehandelten Wildtiere seien lebendig, sagt Chris Walzer, Tierarzt bei der Wildlife Conservation Society in New York City. Viele von ihnen kämen von Farmen in China auf die Märkte. »Man bringt all diese normalerweise räumlich weit voneinander entfernten Arten an einen Ort, und damit gibt es mehr Möglichkeiten, ein neues Virus zu generieren und zu verbreiten«, sagt Qiuhong Wang, eine Virologin an der Ohio State University.

Interessant wäre es nun zu wissen, ob die Arbeiter in den Wildtierfarmen, die Produkte an die Märkte in Wuhan geliefert haben, Antikörper gegen Sars-CoV-2 haben. Das, sagt Dwyer, könnte der Schlüssel sein, um den endgültigen Ursprung der Pandemie herauszufinden.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.