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Sinnesphysiologie: Verlust eines Privilegs

Blau, grün und rot - aus drei verschiedenen Sehzellen setzt unser Auge die bunte Welt der Farben zusammen. Diese sinnesphysiologische Dreifaltigkeit galt unter Säugetieren bisher als Einmaligkeit, die nur bei Affen einschließlich des Menschen verwirklicht ist. Doch ein kleines Beuteltier rüttelt an diesem Privileg der Primaten.
Drei Farben
Im Jahr 1801 stellte der britische Arzt und Physiker Thomas Young eine Hypothese auf, deren physiologische Grundlagen noch vollkommen unbekannt blieben: Er vermutete, dass sich jede beliebige Farbe, die das menschliche Auge wahrzunehmen vermag, aus dem Licht dreier verschiedener Wellenlängen kombinieren lässt.

Heute hat diese Dreifarbentheorie – von den Physikern Hermann von Helmholtz und James Clerk Maxwell weiterentwickelt – in der Entdeckung der entsprechenden Sehzellen ihre Bestätigung gefunden: Neben den stark lichtempfindlichen, aber farbenblinden Stäbchen, die das Dämmerungssehen gewährleisten, besitzt unsere Netzhaut drei verschiedene Zapfentypen, die das Licht unterschiedlicher Wellenlänge und damit unterschiedlicher Farbe wahrnehmen. Aus den Spektralbereichen Blau (430 Nanometer), Grün (535 Nanometer) und Rot (565 Nanometer) baut unser Auge die bunte Welt der Farben zusammen.

Dieses trichromatische Farbsehsystem ist vermutlich in der Evolution unabhängig voneinander mehrfach entstanden. So können bekannterweise viele Insekten, wie beispielsweise Bienen, hervorragend Farben unterscheiden, da sie ebenfalls über drei unterschiedlich empfindliche Sehzelltypen verfügen. Und auch etliche Fische, Amphibien, Reptilien und Vögel setzen auf den Dreierbund.

Unter den Säugetieren gehört der Mensch jedoch zu den farbphysiologischen Ausnahmen. Zwar können die meisten Säuger Farben durchaus wahrnehmen, sie begnügen sich allerdings mit zwei Zapfentypen: einen im kurzwelligen Blau sowie einen weiteren für das langwellige Licht. Dieses dichromatische System ist vermutlich entstanden, als die nachtaktiven Vorfahren der Säuger vor etwa 65 Millionen Jahren allmählich zur tagaktiven Lebensweise übergingen. Erst vor etwa 35 Millionen Jahren, als Altwelt- und Neuweltaffen getrennte Wege gingen, entwickelten die Primaten – wozu auch der Mensch gehört – einen dritten Farbempfänger. Soweit die Theorie.

Umso überraschter zeigte sich die Biologenzunft, als die Forscher um Catherine Arrese von der Universität von Westaustralien in Crawley im Jahr 2002 bei einem unscheinbaren Beuteltier einen dritten Farbrezeptor entdeckten: Die Fettschwänzige Schmalfuß-Beutelmaus (Sminthopsis crassicaudata) besitzt drei Zapfentypen. Zwei absorbieren im mittlerer Wellenlängenbereich von 509 sowie 535 Nanometern, während ein dritter sich auf Ultraviolett mit einer Wellenlänge von 363 Nanometer spezialisiert hat.

Nun ist die Existenz dreier Zapfentypen zwar ein wichtiges Indiz für trichromatisches Farbensehen, der endgültige Beweis stand jedoch noch aus. Zusammen mit ihrer australischen Kollegin Lyn Beazley sowie mit Christa Neumeyer von der Universität Mainz hat Arrese jetzt diesen Nachweis nachgeliefert. Die Wissenschaftlerinnen brachten drei Beutelmäusen bei, dass sie eine begehrte Leckerei bei der Wahl einer bestimmten Farbe erhalten. Durch die Mischung von Licht verschiedener Wellenlänge konnten die Forscherinnen anschließend testen, inwieweit ihre Versuchstiere Farben unterscheiden können. Und dabei zeigte sich tatsächlich, dass die Farbwahrnehmung der Beutelmäuse – wie bei Primaten – auf drei verschiedenen Sehzellen beruht.

Damit verlieren die Primaten ein Privileg: Offensichtlich besitzen nicht nur sie, sondern auch Beuteltiere – also eine sehr ursprüngliche Gruppe der Säugetiere – ein vollständig entwickeltes trichromatisches Farbsehsystem. Im Gegensatz zu uns können sie auch ultraviolettes Licht wahrnehmen; die Farbe Rot lässt sie dagegen eher kalt. Damit dürfte sich die farbenfrohe Welt einer Beutelmaus ein wenig von der unsrigen unterscheiden.

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