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Warmzeiten: Als Grönland wirklich grünes Land war

Ein lange vergessener Bohrkern aus dem Nordwesten Grönlands zeigt, dass die Insel in der jüngeren geologischen Vergangenheit eisfrei war. Mit Folgen für den globalen Meeresspiegel.
Eis schmilzt in einem Tümpel auf der Insel Grönland
In einem Tümpel auf Grönland schmilzt noch etwas Eis. Vor 400 000 Jahren könnte es ähnlich ausgesehen haben – in einem viel größeren Ausmaß.

Vor etwas mehr als 400 000 Jahren – geologisch ein Wimpernschlag – waren große Teile im Nordwesten Grönlands wohl eisfrei. Tundra, vielleicht sogar auch Bäume prägten die Landschaft. Das deutet die Analyse eines Eisbohrkerns an, der während des Kalten Krieges im geheimen US-Camp Century gezogen wurde und über den Paul Bierman von der University of Vermont und sein Team in »Science« berichten. Während der damaligen Warmzeit lagen die Temperaturen etwa auf einem Niveau, das für das Ende des 21. Jahrhunderts erwartet wird.

Lange waren Wissenschaftler davon ausgegangen, dass Grönland während der letzten 2,5 Millionen Jahre zu großen Teilen vergletschert war. Eine erste Untersuchung des Bohrkerns, der in Vergessenheit geraten war, deutet jedoch an, dass es in der letzten Million Jahre eine Phase ohne Eis gegeben haben muss: In angebohrten Sedimenten fanden sich die Überreste von Tundrapflanzen. Der genaue Zeitpunkt blieb allerdings unklar.

Bierman und Co untersuchten den Bohrkern aus Camp Century daher nochmals mit Hilfe der Lumineszenztechnologie: Das Vorhandensein oder Fehlen von Licht beeinflusst vorhandene Sedimente, die sich mit dieser Technologie nachweisen lassen. Dadurch kann man rückschließen, bis wann bestimmte Schichten noch der Sonne ausgesetzt waren. Über das Isotopenverhältnis von Beryllium und Aluminium in Quarzkristallen konnten die Forscher dann die Daten abgleichen: Es zeigt ebenfalls, wie lange das Material offen kosmischer Strahlung ausgesetzt war.

Auf diese Weise gelang es dem Team zu berechnen, dass das Gebiet vor 416 000 Jahren eisfrei war. Insgesamt dauerte die eisfreie Phase etwa 16 000 Jahre. Der Eisverlust lässt sich damit einer Warmphase namens Marines Isotopenstadium 11 (MIS 11) zuordnen, die bei geringeren Kohlendioxidwerten in der Atmosphäre in dieser Region nur etwas wärmer war als heute. Das Abschmelzen trug mindestens 1,6 Meter zum damaligen Anstieg der Meeresspiegel bei, schreiben Bierman und Co.

Dies deute darauf hin, dass der grönländische Eisschild möglicherweise empfindlicher auf den vom Menschen verursachten Klimawandel reagieren könnte als bisher angenommen, schreibt das Team. Die weiter steigenden Temperaturen lösen daher wohl selbst bei sofortigem Stopp unserer Kohlendioxidemissionen in den kommenden Jahrhunderten ein irreversibles, schnelles Abschmelzen des Eisschilds aus. »Wenn wir nur Teile des grönländischen Eisschildes abschmelzen, steigt der Meeresspiegel dramatisch an«, sagt die an der Studie beteiligte Tammy Rittenou von der Utah State University in Logan. »Wenn wir die Schmelzraten und die Reaktion auf hohes Kohlendioxid weiter modellieren, sehen wir einen Anstieg des Meeresspiegels um mehrere Meter, wahrscheinlich sogar um mehrere Dutzend Meter.«

Auch die Geschichte hinter dem Bohrkern ist interessant: Camp Century war ein Militärstützpunkt, der in den 1960er Jahren in Tunneln unter dem grönländischen Eis versteckt war. Zu den strategischen Zwecken des Lagers gehörte eine streng geheime Operation namens »Projekt Eiswurm«, bei der Hunderte von Atomraketen unter dem Eis in der Nähe der Sowjetunion versteckt werden sollten. Zur Tarnung behauptete die Armee, das Lager sei eine arktische Forschungsstation. Die Raketenmission war ein Fehlschlag, aber das Wissenschaftsteam führte erstmals Forschungsarbeiten in der Region durch – darunter die Bohrung eines fast einen Kilometer tiefen Eiskerns. Die Wissenschaftler von Camp Century konzentrierten sich auf das Eis selbst, um die vergangenen Eis- und Warmzeiten der Erde besser zu verstehen. Als bislang einziges Team bohrten sie aber mehrere Meter tief in das Sediment unter dem Gletscher, das sie aber damals nicht interessierte und was erst ab 2018 genauer untersucht wurde.

In den 1970er Jahren brachte man dann den Eisbohrkern aus einer militärischen Gefriertruhe an die University of Buffalo und schließlich in den 1990er Jahren nach Dänemark, wo er in Vergessenheit geriet. Erst als er zusammen mit anderen Bohrkernen in eine neue Gefriertruhe gebracht werden sollte, erinnerte man sich wieder daran.

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