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News: Wie der Mensch, so der Affe

Ein spezieller Bereich des Gehirns, der vermutlich die Sprache steuert, ist bei den Menschen in der linken Hirnhälfte größer als in der rechten. Nun entdeckten Forscher auch bei Schimpansen eine solche Asymmetrie. Damit wird eine Theorie widerlegt, daß sich dieser Teil des Gehirns nur bei Menschen vergrößert hat.
Wissenschaftler der Medical School Mount Sinai der Columbia University und der National Institutes of Health untersuchten bei Menschen und Affen die Ausdehnung einer Hirnregion, die bei beiden Arten für die Kontrolle der Sprache zuständig ist (Science, Ausgabe vom 9. Januar 1998). Ihre Ergebnisse stellen die Rolle des Planum temporale in Frage, einem Teil der Parietalrinde des Gehirns. Beim Menschen ist das Planum temporalein der linken Hemisphäre normalerweise größer als in der rechten Hemisphäre, aber 94 Prozent der untersuchten Schimpansengehirne wiesen dieselbe Asymmetrie auf.

Könnten die Forschungsergebnisse so interpretiert werden, daß Schimpansen über eine Art Sprache verfügen? „Ich glaube nicht, daß sie eine Sprache haben, aber ich stimme zu, daß sie eine Art Kommunikationssystem besitzen, das komplexer sein könnte, als wir bisher gedacht haben“, sagte Ralph Holloway, Professor für Anthropologie an der Columbia University. Er glaubt, daß Schimpansen sich mit Hilfe einer Reihe hochentwickelter Gesichts-, Körper- und Handgesten unterhalten, möglicherweise unterstützt durch Grunzen oder andere Vokalisation.

Patrick Gannon, Direktor des Paleoneurology Research Laboratory der Medical School Mount Sinai, vermutete als erster, daß Schimpansengehirne möglicherweise dieselbe Asymmetrie aufweisen wie menschliche. Er suchte die Mitarbeit von Holloway, der ihm dann bei der Ausmessung des Planum temporale in seiner Sammlung von 18 Schimpansengehirnen half. Der Anthropologe der Columbia University führte vergleichende neuroanatomische Studien an den Schimpansengehirnen durch, um die Evolution des menschlichen Gehirns besser zu verstehen.

Das Ergebnis der Forschungsarbeit widerspricht der wissenschaftlichen Theorie, daß nur bei Menschen eine Vergrößerung der linken Gehirnseite existiert. Carl Wernicke, ein Neurologe im 19. Jahrhundert, fand heraus, daß Patienten mit Gehirnverletzungen des hinteren Temporallappens und Parietallappens – desselben Bereichs, der jetzt von den Forschern untersucht wurde – keine Sprache hervorbringen, sie aber sehr wohl verstehen konnten. Man glaubte, daß dieser Bereich der Temporalrinde, auch bekannt unter dem Namen Wernickes Bereich, das Sprachverständnis steuert, allerdings nur bei Menschen.

„Nach 100 Jahren vergleichender Untersuchungen des Gehirns glaubte man, daß dieses Dogma richtig ist. Es ist ein ziemlicher Schock, wenn man entdeckt, daß Schimpansengehirne dieselbe Asymmetrie aufweisen wie das menschliche Gehirn“, sagte Gannon. Als er Magnetresonanz-Untersuchungen von Schimpansengehirnen durchführte und dabei eine Diskrepanz zwischen den Gehirnhemisphären feststellte, war er ursprünglich davon überzeugt, daß die erzielten Ergebnisse nicht korrekt sind.

Zusätzlich zu der Möglichkeit, daß zwischen Schimpansen tatsächlich eine Kommunikation stattfindet, geben die Wissenschaftler in ihrer Veröffentlichung noch mehrere mögliche Interpretationsvorschläge der im Experiment erzielten Ergebnisse ab. Wenn sowohl Schimpansen als auch Menschen ein vergrößertes Planum temporale besitzen, dann besaß ihr gemeinsamer Vorfahre wahrscheinlich ebenfalls dieses Merkmal. Die Sprachfunktion wurde in dieser Gehirnregion möglicherweise jedoch erst vor 6 bis 8 Millionen Jahren ausgebildet, als sich der Mensch von anderen Primaten abspaltete. Schließlich ist es auch sehr wohl möglich, daß das Planum temporale weder bei Schimpansen noch bei Menschen an der Sprache beteiligt ist.

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