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Wissenschaftspolitik: Make America smart again

Maulkörbe, Einreisestopp, Budgetkürzungen: Die amerikanische Wissenschaft zittert vor Präsident Trump. Doch wie können sich rational denkende Forscher gegen den erklärten Faktenfeind im Weißen Haus wehren?
Trump hinter den Kulissen

Der heimliche Star des Abends fehlt. Rania Mokhtar, Informatikerin aus dem Sudan, sollte eigentlich einen Preis bekommen – eine Auszeichnung als eine der besten Nachwuchswissenschaftlerinnen aus einem Entwicklungsland. Aber die Mitglieder des US-amerikanischen Wissenschaftsverbands AAAS, die in Boston zu ihrem Jahrestreffen zusammengekommen sind, müssen sich mit einem Bild der Forscherin zufriedengeben. Persönlich können sie Mokhtar den Preis nicht überreichen.

Rania Mokhtar ist Opfer des Einreisestopps, den US-Präsident Donald Trump gegen sieben mehrheitlich muslimische Länder ausgesprochen hat, darunter Sudan. Sie hat es vorgezogen, nicht in die USA zu reisen – trotz der hohen Ehrung. Umso lauter und herzlicher fällt an diesem Abend der Applaus für die Sudanesin aus, erst recht, als AAAS-Präsidentin Barbara Schaal verbal nachlegt: "Wissenschaft kennt keine Grenzen", sagt die Biologin. "Genauso, wie Ideen ungehindert Grenzen überwinden sollten, muss das auch für Menschen möglich sein. Der Einreisestopp behindert den wissenschaftlichen Prozess und ist für viele von uns äußerst beunruhigend." Die Abgründe des politischen Alltags, sie haben die Wissenschaft erreicht.

Bereits zum 183. Mal kommt die AAAS (American Association for the Advancement of Science), die größte interdisziplinäre Wissenschaftsvereinigung der Welt, 2017 zu ihrer turnusmäßigen Konferenz zusammen. Die Jahrestreffen – einst von fast 20 000 Menschen besucht, zuletzt aber deutlich geschrumpft – sind stets ein buntes Fest der Wissenschaft. Man feiert seine Forschung und noch mehr sich selbst, präsentiert neue Erkenntnisse, hat Spaß und knüpft Kontakte. Wirklich politisch sind die Treffen in den seltensten Fällen.

Trump-Gegner demonstrieren für die Wissenschaft | Donald Trump hat in den USA immer noch viele Freunde, aber auch viele Gegner. Mit am schärfsten protestieren Wissenschaftler gegen seine Politik, die sich nicht unbedingt durch große Wissenschaftsnähe auszeichnet.

Den Mund nicht verbieten lassen

Doch dieses Jahr ist etwas anders. Nicht nur, dass wieder mehr Forscher zusammengekommen sind, viele von ihnen tragen auch Anstecker mit eindeutiger Botschaft am Revers: "Wissenschaftler lassen sich den Mund nicht verbieten", ist darauf zu lesen, "Fordert Evidenz" und "Tretet ein für die Wissenschaft".

Wenige Wochen, nachdem Donald J. Trump die Amtsgeschäfte als 45. US-Präsident übernommen hat, ist die amerikanische Wissenschaft aufgewühlt. Sie ist verunsichert. Sie ist aber auch – das wird in Boston deutlich – fest entschlossen, sich nicht alles bieten zu lassen: Einreisestopp, Maulkörbe für kritische Forscher, Wissenschaftsfeinde an der Spitze wichtiger Behörden, das ist zu viel. Wie der Widerstand aussehen soll, wie einem anscheinend irrational handelnden, wissenschaftsfeindlichen Präsidenten die Stirn geboten werden kann, dafür haben die Forscher allerdings keine überzeugende Lösung.

"Wissenschaft und Technologie sind grundlegend für das Wohlergehen unserer Nation und aller anderen Staaten", meint Schaal. "Das müssen wir unentwegt klarmachen, damit unsere Regierung die entscheidende, unumgängliche Rolle der Wissenschaft endlich kapiert." Und wie? "Die Wissenschaft hat tolle Geschichten zu erzählen. Genau das müssen wir tun. Immer und immer wieder", sagt Schaal. Ob das reicht? Es ist schwer vorstellbar, dass sich Trump und sein Beraterstab mit ihren einseitigen und eingefahrenen Meinungen von ein paar Erfolgsgeschichten aus der Wissenschaft beeinflussen lassen.

Zu mehr kann sich die AAAS, die seit Jahresbeginn 9000 neue Mitglieder geworben hat, dennoch nicht durchringen. Sie verabschiedet nicht einmal eine Resolution, anders als noch im Jahr 2006, als viele US-Bundesstaaten die Evolution aus dem Lehrplan strichen und der Wissenschaftsverband klar Stellung bezog.

Die Angst vor dem Tweet

Schaal vermeidet es vielmehr, Trumps Namen in den Mund zu nehmen. Offenbar will man es sich mit der neuen Administration nicht verscherzen. Robert Cook-Deegan, ehemaliger AAAS-Vertreter im US-Kongress, empfiehlt Forschern sogar, derzeit lieber die Klappe zu halten, sofern sie unbequeme Wahrheiten zu berichten hätten. "Niemand will am nächsten Morgen von einem Tweet kalt erwischt werden", sagt Cook-Deegan mit Blick auf den präsidialen Hang zu Twitter-Ausfällen.

Gretchen Goldman ist in Boston dafür umso aufgekratzter. Die Forschungschefin der Union of Concerned Scientists (UCS), eines Zusammenschlusses kritischer Wissenschaftler, hat vor wenigen Tagen eine Analyse zum Umgang mit Trump im AAAS-Fachblatt "Science" veröffentlicht. Nun eilt sie von Interview zu Interview. "Es steht viel auf dem Spiel, die neue Regierung hat wiederholt gezeigt, dass sie die Wissenschaft nicht respektieren will", sagt Goldman.

Niedergeschlagen oder gar verbittert ist die UCS-Forscherin trotzdem nicht, im Gegenteil. Es sind goldene Zeiten für Aktivisten: "Wissenschaftler waren stets sehr zurückhaltend, wenn es um Politik ging", sagt Goldman. "Das ist mittlerweile anders. Wir erleben politisches Engagement, wie ich es nie zuvor gesehen habe."

Die Forscher haben allerdings auch mit einem Präsidenten zu kämpfen, der wissenschaftsfeindlich und faktenresistent ist wie keiner zuvor. Goldman setzt darauf, dass Trump diese Haltung eines Tages auf die Füße fallen wird: "Selbst wenn der Präsident die Fakten ignorieren sollte, ändert das nichts an ihrer Gültigkeit und an ihren Auswirkungen auf die reale Welt." Sollte Trump die Errungenschaften bei der Lebensmittelsicherheit, beim Umweltschutz, bei sauberem Wasser und sauberer Luft zurückdrehen, werde die Regierung alsbald unter enormem öffentlichem Druck stehen, hofft Goldman: "Die Folgen werden überall im Land zu spüren sein – daran ändern auch alternative Fakten nichts."

Spiel mit dem Feuer?

Es ist ein Spiel auf Zeit – und ein Spiel mit dem Feuer. "Inzwischen sollte klar sein, dass wir einen Präsidenten haben, der sich nicht um Fakten schert und der nicht von seinen festgefahrenen Positionen abweicht", sagt John Holdren, wissenschaftlicher Berater im Weißen Haus unter Präsident Barack Obama. Holdren fürchtet um nichts weniger als um sein Lebenswerk: Bereits Obamas Vorgänger George W. Bush war ein erklärter Forschungsfeind. "Er hat die Wissenschaft manipuliert und politisiert. Es war ein Warnschuss", erklärt Goldman. Mehr als 15 000 Unterschriften gegen Bushs Praktiken kamen damals innerhalb kurzer Zeit zusammen. Die Wissenschaftler schauten der Politik auf die Finger, erwischten eine Staatssekretärin dabei, wie sie die Bestände bedrohter Tierarten schönrechnete, stoppten solche Missetaten.

Obama und Holdren setzten schließlich durch, dass die Wissenschaft bei allen wichtigen Entscheidungen mit am Tisch sitzen muss. In vielen Ministerien und Behörden gibt es seitdem Wissenschafts- oder Transparenzbeauftragte. Forscher haben das verbriefte Recht, ohne politischen Einfluss ihrer Arbeit nachzugehen und ihre Ergebnisse zu kommunizieren. All das ist in Gefahr. Die Wissenschaft stehe kurz davor, ihren Einfluss auf weit reichende politische Entscheidungen zu verlieren. "Ich fürchte, wir werden es künftig sehr, sehr schwer haben", so Holdren.

Auch finanziell wird es eng. Trump will die Steuern senken, er will den Militärhaushalt aufstocken, er will eine Billion US-Dollar in die Infrastruktur stecken, er will Obamas Krankenversicherung kippen, was weitere zwei Billionen US-Dollar kosten könnte. Für die freiwilligen Programme, die schon jetzt nur 16 Prozent des Budgets ausmachen, bleibt da wenig übrig. "Ausgaben für Forschung und Entwicklung leiden darunter erfahrungsgemäß als Erstes", sagt Holdren. Umwelt, Energie, Arznei- und Lebensmittelsicherheit könnten willkommene Opfer sein. "Auch Beschleuniger, Teleskope und Satelliten dürften nicht besonders weit oben auf der Liste stehen", fürchtet Holdren. "Die neue Administration versteht einfach nicht, dass Grundlagenforschung das Saatkorn für Technologie, Fortschritt und Wohlstand ist."

Was bringt der "March for Science"?

Auch deshalb werden viele Wissenschaftler am 22. April ihr Labor verlassen, den weißen Kittel anbehalten und auf die Straße gehen. Beim "March for Science", dem Demonstrationszug für die Wissenschaft, wollen sie in den USA und darüber hinaus Flagge zeigen. Nicht jeder Forscher auf den langen Gängen des Bostoner Konferenzzentrums ist davon begeistert. Der Marsch, so die vielfach geäußerte Kritik, könne die Wissenschaft parteiisch erscheinen lassen, ihr ohnehin schlechtes Image verstärken, sie noch mehr an den Rand drängen – und damit Trump in die Hände spielen.

Goldman kennt die Einwände, sie hat sie zur Genüge gehört. "Natürlich werde ich mir einen Laborkittel anziehen und dabei sein", sagt sie. Die UCS-Forscherin warnt allerdings vor polarisierenden Aktionen. "Wir müssen stets klarmachen, dass es nicht um uns und unserer Finanzierung geht, sondern um die Gesellschaft, um das Amerika, in dem wir leben wollen", sagt Goldman. Am besten wäre es daher, meint Holdren, wenn jeder Forscher zwei Nicht-Wissenschaftler mitbringen würde, die in der Vergangenheit von wissenschaftlichen Errungenschaften profitiert hätten. "Wir dürfen keinesfalls als elitäre Gruppe rüberkommen, die losgelöst ist von der Gesellschaft", betont Holdren.

Bei einer spontanen Demonstration in Boston, zu der am Wochenende mehrere hundert Wissenschaftler zusammenkommen, funktioniert das bereits ganz gut. Direkte Angriffe auf Trump finden sich kaum. Die meisten Plakate, die in den blauen Himmel über dem Copley Square gereckt werden, sind kreativer. "Make America smart again", ist da zu lesen, und "Wissenschaft ist real, alternative Fakten sind es nicht". Oder auch, kurz und prägnant: "Keine Wissenschaft, kein Bier."

Mitunter sind die Forscher von dem Mann, dessen Namen sie am liebsten nicht aussprechen, allerdings so besessen, dass dies leicht skurrile Formen annimmt. Kevin Hand, Astrobiologe bei der US-Raumfahrtbehörde NASA, will in Boston eigentlich von seiner Forschung erzählen. Er sagt: "Unsere Ergebnisse wurden noch übertrumpft von …" Hand stockt. Kurze Pause, Gelächter im Publikum. "Übertrumpft", im Englischen "trumped", passt nicht so recht in die neue Zeit. Nach kurzer Beratung mit den Kollegen fällt die Wahl auf das neutrale Verb "übertroffen", und Hand fährt schmunzelnd mit seinem Vortrag fort. Problem gelöst – zumindest hier auf der Konferenz. Im echten, politischen Leben wird das nicht so einfach.

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