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»Geboren für die großen Chancen«: Eine positive Vision unserer Zukunft

Ullrich Fichtner blickt trotz aller Krisen und Bedrohungen optimistisch in die Zukunft. Er plädiert für einen konstruktiven Streit um die besten Lösungen. Seine Argumente für eine positive Perspektive tragen allerdings nicht immer.
Eine Glaskugel am Ostseestrand, in der sich Strand und Meer spiegeln

Können wir es heute noch verantworten, Kinder zu bekommen? Das fragen sich viele Menschen angesichts der großen Probleme und Krisen. Für Ullrich Fichtner, Autor und Reporter des »Spiegel«, ist die Antwort ein klares »Ja«.

»Dem Menschen wächst nun ein neuer Auftrag zu: seine Irrtümer zu korrigieren, die Erde mit aller Macht zu bewahren und sie zu ihrem Besten zu gestalten«, schreibt Fichtner im Vorwort. Sein Blick auf die Gegenwart im ersten Kapitel macht anhand zahlreicher Erfindungen und technischer Entwicklungen bewusst, wie umfassend sich die Welt in vergleichsweise kurzer Zeit verändert hat. Er ist verblüfft, wie blind unsere Vorfahren für die Risiken bestimmter Verfahren und Produkte waren. Mehrfach kommt er dabei auf Klimawandel und Erderwärmung zu sprechen. Bei vielen Menschen spielten diese aber noch immer eine untergeordnete Rolle: »Der Mensch hat mehr Angst vor Armut als vor dem Aussterben.« Er sehe aber, dass ein Paradigmenwechsel stattfinde. Und so sollten wir uns bewusst machen, dass wir nicht nur gegen eine schlechte Entwicklung kämpfen, sondern auch für einen guten Ausgang.

Im Zusammenhang mit der Energieversorgung beschreibt Fichtner unter anderem die Entwicklung von Elektroautos und der Elektrifizierung insgesamt, die in einem erstaunlichen Tempo vorangingen. So vertritt er auch die These, dass sich ein heute geborenes Kind an seinem 25. Geburtstag um die Energieversorgung der Welt keine allzu großen Sorgen mehr werde machen müssen. Als weiteres positives Beispiel dient ihm das Cradle-to-Cradle-Prinzip. Dahinter steht die Idee einer kompletten Kreislaufwirtschaft, bei der möglichst erst gar kein Abfall entsteht und alle Teile endlos wiederverwendet werden können – oder zu einem natürlichen Nährstoff verrotten. Immer wieder berichtet der Autor von persönlichen Begegnungen oder verweist auf entsprechende Quellen und Bücher. So auch beim Thema Cradle-to-Cradle, zu dem er dessen Initiator Michael Braungart zitiert: »Ein Kirschbaum treibt im Frühling hunderttausende Blüten aus, von denen höchstens jede Hundertste eine Kirsche wird. Aber die überzähligen fallen zu Boden und bilden neuen Humus.«

Im zweiten Kapitel über die für Fichtner wesentlichen technologischen Revolutionen unserer Zeit geht es um Digitalisierung, künstliche Intelligenz und Robotik, um die neue Medizin sowie um die »Datafizierung«. Dabei versucht er, möglichen Ängsten vor ChatGPT und anderen Technologien etwas Positives entgegenzusetzen. Der Frage, ob dadurch nicht unter anderem Texter und Übersetzer arbeitslos werden könnten, stellt er als Antwort entgegen: Ja, das kann sein, aber zugleich dürften neue Berufe entstehen, die sich auf Entwicklung und Wartung der Systeme konzentrieren. Als schwierig erweist sich dieser Ansatz allerdings bei einer anderen auf die Zukunft gerichteten Befürchtung: dass künftig alles Digitale und damit auch Tonaufzeichnungen wie die Aufnahmen von Sicherheitskameras gefälscht und damit als gerichtliche Beweismittel untauglich werden könnten – eine positive Wendung fällt hier deutlich schwerer.

Auch mit Blick auf die neuen Bio- und Medizintechniken dokumentiert der Autor mal mit zusammenfassenden Erläuterungen, mal anhand von schlagwortartigen Einzelbeispielen erstaunliche Fortschritte. Die Wissenschaft insgesamt sei jedoch in der Bringschuld, über ihr Tun allgemein verständlich Auskunft zu geben, hält er fest. Noch allgegenwärtiger sei die Revolution der »Datafizierung«, die mit einer fortschreitenden Entmaterialisierung verbunden sei. Geräte, von Fotoapparaten bis zu Stereoanlagen, verschwänden und würden immer schneller durch digitale Alternativen abgelöst, schreibt Fichtner. Und es ergäben sich früher undenkbare Möglichkeiten, schnell an Informationen zu kommen: »Im iPhone und seinen Nachfolgern und Konkurrenten verschmilzt seit 2007 das Wissen der Welt.«

Zukunftsprognosen zum Mitdenken

Im dritten Teil des Buchs beschreibt er ausführlich, wie er sich die sich verändernden Lebenswelten eines heute geborenen Kindes vorstellt. Wie es aufwächst, arbeitet und lebt. Der Stadt gehört die Zukunft, so seine Behauptung. Diese dürfte zu den vielen Thesen des Autors gehören, denen nicht alle Leser zustimmen.

So präsentiert sich »Geboren für die großen Chancen« als ein Buch, das mal Zustimmung und dann wieder Skepsis hervorruft. Dabei widerspricht sich Ullrich Fichtner mitunter auch mal selbst. Es gehe weder um Schönfärberei noch Jammern, schreibt er im Vorwort. Und doch ist er teilweise sehr optimistisch, schreibt Probleme (zu?) klein. Gleichzeitig stellt fest, dass es auf wichtige Fragen kaum eindeutig richtige oder falsche Antworten gebe. Es müsse gestritten werden, und zwar auf der Grundlage von Welten, Weltanschauungen und Menschenbildern. Letztlich überwiegt für Fichtner beim Blick in die Zukunft der Optimismus. So fragt er: »Lohnt sich die Arbeit für eine bessere Welt nicht schon dann, wenn 50, 60 Prozent eines Plans umgesetzt sind?« Dazu passt die im Epilog erzählte Geschichte von Yacouba Sawadogo aus Burkina Faso, der mit der uralten Zaï-Methode das Problem der Verwüstung des Landes angeht – und damit Erfolg hat.

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