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»Gegen die Frauen«: Woher stammt der weltweite Hass gegen Frauen?

Trotz der Erfolge in puncto Gleichberechtigung nehmen Repressionen gegen Frauen wieder zu. Der Soziologe Abram de Swaan analysiert überzeugend die Ursachen dieser Entwicklung.
Im Hintergrund ist unscharf eine Frau zu sehen, im Vordergrund eine geballte Faust.

Der Kniff in den Po, der »aus Versehen« verrutschte Wangenkuss, der plötzlich auf dem Mund landet, oder die Pfiffe auf der Straße oder in der U-Bahn. Viele Frauen kennen solche Belästigungen beziehungsweise »sexuellen Übergriffe«. Sie seien, so Autor de Swaan, längst nicht immer triebgesteuert, sondern auch eine Machtdemonstration. Vielmehr formuliert der niederländische Soziologe und emeritierte Professor der Universität Amsterdam die These: Solche Handlungen dienten vor allem auch dazu, Frauen aus dem öffentlichen Leben zu vertreiben. Diese Sichtweise gelte auch für so freizügige Städte wie New York, Berlin oder Amsterdam.

Es ist vertrackt: Frauen haben inzwischen viel erreicht, und die Emanzipation kann viele Erfolge vorweisen. Frauen haben Zugang zu Bildung, studieren, heiraten später, arbeiten, besetzen Führungspositionen. »Bis vor 50, vielleicht 100 Jahren hatte man denken können, dass Frauen keine Schweißerinnen, keine Bauarbeiterinnen, keine Parlamentarierinnen, keine Pilotinnen von Düsenjägern« et cetera sein könnten. Doch genau das sind sie heute – und gerade jetzt erstarken Bewegungen mit dem Ziel, ihre Rechte wieder einzuschränken. Handelt es sich dabei um »ein letztes Aufbäumen des im Untergang befindlichen Patriarchats« oder »nur« um schlummernde patriarchale Relikte? »Keine herrschende Gruppe gibt ihre überlegene Position widerstandslos auf«, so de Swaan. Vielleicht sei die Sehnsucht von Männern nach einer Frau in traditioneller Frauenrolle immer noch vorhanden – also nach einer Frau, die das Haus nicht verlässt und sich stattdessen ausschließlich um »häusliche Pflichten« und den Nachwuchs beziehungsweise den Mann kümmert.

Dieses Buch ist erstmals 2019 in den Niederlanden erschienen. So reißt es in der aktuellen deutschen Ausgabe neuere Entwicklungen zwar kurz an, aktuelle Vorfälle wie etwa den unverhohlenen Hass und die brutale Gewalt gegen unverschleierte Frauen im Iran oder die Reaktion auf eine Massenvergewaltigung in Italien in Gestalt der Aussage, Frauen sollten weniger Alkohol trinken, fehlen leider. So hätte man sich für diese Ausgabe mehr konkrete Beispiele für die vom Autor kritisierten Tendenzen aus westlichen Gesellschaften gewünscht – die es gibt.

De Swaan geht in seinem Buch der Frage nach, woher der Hass gegen Frauen, der Kampf gegen die Emanzipation kommt. Er startet mit einem geschichtlichen Abriss dazu, wie sich die Unterdrückung von Frauen entwickelte, wie es dazu kam, dass Männer Gewalt gegen Frauen ausübten, ihnen Verbote auferlegten, und er analysiert, welche Mechanismen dem zugrunde lagen und liegen. Dabei benennt er auch die Rollen der katholischen und evangelischen Kirche sowie evangelikaler Bewegungen und fragt, wie es möglich war, so viele Menschen so lange kleinzuhalten.

Macht gegen Frauen: im Büro, im Bus, im Bett

Sein Schwerpunkt liegt auf der Unterdrückung und Misshandlung von Frauen durch fanatisch geprägte Gruppen wie die extreme Rechte, christliche Fundamentalisten und den Dschihadismus. Besonders erhellend ist seine Darstellung dessen, wie sich die unterschiedlichen Bewegungen in ihrem Kampf und Hass gegen Frauen gleichen. Im Kapitel über den Terror gegen Frauen führt er Beispiele aus asiatischen und arabischen Ländern an, wie Ehrenmorde, Gesichtsverätzungen, Genitalverstümmelungen oder die Abtreibung weiblicher Föten. Manche Beispiele für Gewalt gegen Frauen prägen sich besonders; etwa wenn de Swaan schildert, wie Brigaden der Terrororganisation »Islamischer Staat« Frauen, die sich nicht an die strenge Kleiderordnung hielten, mit einer scharf gezahnten Klemme tiefe Wunden zufügten – vorzugsweise in der Brust.

De Swaan schildert auch das Widersprüchliche, das uns bei diesem Thema begegnet. So betont er einerseits die Fortschritte, die in westlichen Ländern erzielt wurden und werden. Hier sei die Ungleichheit von Frau und Mann so gut wie abgeschafft. Die #MeToo-Kampagne führt er als Beispiel für den Erfolg der Frauenemanzipation an. Auch säßen inzwischen so viele Frauen in Schlüsselpositionen, dass sie in der Lage sind, dieses Thema auch als Führungskräfte öffentlich zu platzieren. Dieses Bild des Fortschritts trüben allerdings Befunde wie eine Studie aus den Vereinigten Staaten, die de Swaan anführt: In dieser Untersuchung gab immerhin ein Viertel der befragten Frauen an, schwere körperliche Gewalt durch ihren Partner erlitten zu haben. Auch in der EU kommen Studien zu ähnlich bedrückenden Ergebnissen.

Diesen Aspekt, die Gewalt gegen Frauen in einem westlichen Land, beleuchtet eindrücklich das fast zeitgleich erschienene Buch von Christina Clemm »Gegen Frauenhass«, das hier zur ergänzenden Lektüre empfohlen sei. Die Anwältin mit dreißigjähriger Berufspraxis für Straf- und Familienrecht schildert, wie allgegenwärtig auch in Deutschland die Gewalt gegen Frauen ist – bis hin zum Mord. Während de Swaan eher global berichtet und analysiert, schildert die Strafverteidigerin konkrete Beispiele aus Gerichtsprozessen. »Nirgends sind Frauen vor dem Hass und der Gewalt des Patriarchats sicher«, so Clemm, die dann auch erläutert, was dagegen von Einzelnen und dem Staat getan werden kann.

Beide, de Swaan und Clemm, zeigen auf überzeugende Weise die schockierende Wirklichkeit im Leben von Frauen. Beide Bücher sind nicht nur lesenswert, sondern gerade jetzt wichtige Beiträge. Denn viele Männer nutzen die aktuelle, von Krisen, Kriegen und Pandemien geprägte Zeit, um Frauenrechte wieder zu reduzieren. Die Kolumnistin Margarete Stokowski schreibt zu dem Buch von Clemm: »Lesen, weiterkämpfen!«

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