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Genetik: Hundekode

Pudel "Shadow" lieferte vor zwei Jahren nur das Grobraster. Jetzt kommt Boxerdame "Tasha" und betritt die genetische Arche Noah, wo sich schon Maus, Schimpanse und natürlich auch der Mensch wohl fühlen: Das Erbgut des Haushundes ist entziffert.
Canis familiaris
Eines muss man ihnen lassen: Sie sind vielseitig. Vom Zwergpinscher bis zum Bernhardiner, vom Mops bis zum Schäferhund reicht das Spektrum der rund 400 Hunderassen. Seit der Mensch vor mindestens 15 000 Jahren – vielleicht auch schon vor 100 000 Jahren – damit begann, aus den wölfischen Vorfahren Jagd-, Hof- und Schoßhündchen zu züchten, hat sich einiges getan beim "besten Freund" des Menschens: Sein Hirngewicht verringerte sich gegenüber dem des Wolfs um mehr als ein Viertel, ebenfalls büßte er erheblich beim Gesichts-, Gehör- und Geruchssinn ein, und als kleines Schmankerl besonderer Zuchterfolge zeichnen sich etliche seiner Rassen durch degenerative Skelettveränderungen aus.

Dabei soll ja Canis familiaris – wie der Haushund in Zoologenkreisen heißt – durchaus auch positive Eigenschaften haben. Für Genetiker allemal. "Die Hunderte von Jahren sorgfältiger Züchtung, aus denen die zahlreichen Hunderassen hervorgingen, haben ein genetisches Traummodell für menschliche Erbkrankheiten hervorgebracht", freut sich der Evolutionsbiologe Hans Ellegren von der Universität Uppsala.

Sein Kollege Eric Lander vom Broad-Institute im amerikanischen Cambridge kann dem nur beipflichten: "Von den mehr als 5500 heute lebenden Säugetierarten ist der Haushund wohl die bemerkenswerteste. Die unglaubliche körperliche und verhaltensbiologische Vielfalt der Hunde – vom Chihuahua bis zur Deutschen Dogge – ist in ihrem Erbgut verschlüsselt."

Shadow | Craig Venters Pudel "Shadow" lieferte im September 2003 die erste Rohfassung vom Erbgut des Haushundes (Canis familiaris).
Kein Wunder, dass der kläffende Zeitgenosse schnell in den Fokus der Genetiker geriet. Nachdem die erste Version des menschlichen Erbguts im Februar 2001 der staunenden Öffentlichkeit präsentiert wurde, folgte zweieinhalb Jahre später Shadow. Shadow ist seines Zeichens Pudel, und zwar ein ganz besonderer. Er gehört Craig Venter – jenem Privatgelehrten, der sich beim Humangenomprojekt durch seine etwas undogmatischen Methoden hervortat –, und er lieferte die erste Rohfassung des Hundekodes. Immerhin achtzig Prozent der Erbguts waren entziffert.

Doch Shadow war gestern. Heute steht Tasha im genetischen Scheinwerferlicht. Die Boxerdame konnte mit tatkräftiger Unterstützung von Züchtervereinen und tierärztlichen Einrichtungen aufgespürt werden. Gesucht wurde von den Hundeforschern um Kerstin Lindblad-Toh – zu der sich neben Lander noch weitere 44 Kollegen aus Großbritannien, Frankreich und den USA gesellten – ein möglichst reinrassiges Exemplar, dessen weit gehend homogenes Erbgut das Aufdröseln der genetischen Puzzlesteinchen erleichtern sollte. Tasha avancierte damit zum genetischen Kompass, mit dem sich die Forscher im Erbgut von zehn weiteren Hunderassen sowie von näheren Verwandten wie Wolf und Kojote orientieren konnten.

Tasha | Ihr Erbgut diente als Muster: die Boxerdame "Tasha". Jetzt sind 99 Prozent des Hundegenoms bekannt.
Dank Tashas Hilfe sind jetzt 99 Prozent der 2,4 Milliarden Basenpaare im Erbgut von Canis familiaris bekannt. Die Forscher schätzen, dass insgesamt 19 300 für Proteine kodierende Gene auf den 39 Hundechromosomen liegen. Der Vierbeiner liegt damit knapp unter dem Datensatz seines Herrchens, dessen Bestand mit 20 000 bis 25 000 Stück angegeben wird.

Im Vergleich zum Menschen taten sich weitere Parallelen auf: Etwa fünf Prozent des menschlichen Erbguts widersetzten sich hartnäckig allen Änderungsversuchen der Evolution – und finden sich auch im Hundegenom wieder. Offensichtlich übernehmen diese hoch konservativen Abschnitte – von denen übrigens nur ein geringer Teil für Proteine kodiert – wichtige Funktionen bei der Säugerentwicklung. Sie liegen im Erbgut nicht wahllos verteilt vor, sondern konzentrieren sich auf ganz bestimmte Bereiche. "Diese Verdichtung regulativer Sequenzen ist unglaublich interessant", betont Lindblad-Toh. "Sie bedeutet, dass ein kleiner Teil der entscheidenden menschlichen Gene viel ausgeklügelter kontrolliert wird, als wir uns das je vorstellen konnten."

Doch natürlich ist Bello nicht gleich Fiffi. Etwa 2,5 Millionen hoch variable Stellen, die sich nur in einem einzigen DNA-Baustein unterscheiden und im Labor kurz SNPs (single nucleotide polymorphisms) genannt werden, konnten die Forscher bei Tasha aufspüren. Damit kommt etwa ein SNP auf tausend Basenpaare – ein Wert, der ebenfalls mit dem menschlichen Genom vergleichbar ist.

"Die Hunderte von Jahren sorgfältiger Züchtung, aus denen die zahlreichen Hunderassen hervorgingen, haben ein genetisches Traummodell für menschliche Erbkrankheiten hervorgebracht"
(Hans Ellegren)
Besonders interessant sind für die Genetiker natürlich die genetischen Leiden von Fiffi, Bello und Co. Denn Mensch und Hund teilen sich mehrere hundert Erbkrankheiten, von denen manche nur bei wenigen oder sogar nur bei einer einzigen Hunderasse vorkommen. "Zu den wichtigsten Todesursachen für Hunde gehören verschiedene Krebskrankheiten," erläutert Elaine Ostrander vom Staatlichen Humangenomforschungsinstitut in Bethesda. "Und viele davon ähneln biologisch sehr stark menschlichen Krebsformen."

Nachdem schon etliche Genome, wie von Maus, Taufliege oder Fadenwurm, als wichtiges Modell für menschliche Krankheiten dienen, gesellt sich somit auch Tashas Erbgut, das für schätzungsweise 400 Millionen auf der Erde weilenden Haushunden steht, in den Reigen der genetischen Arche Noah – und erweist sich damit doch als treuer Diener seines Herrn.

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