Direkt zum Inhalt

Astronomie: In welche Richtung dreht sich die Erde?

Was Galileo Galilei seinerzeit noch eine Menge Ärger einbrachte, gilt spätestens seit Beginn der Raumfahrt als unumstößliche Tatsache: Die Erde dreht sich! Aber wie macht sie das genau?
Blaue Murmel

Das hängt ganz von der Betrachtungsweise ab. Natürlich dreht sie sich in östliche Richtung, weshalb die Sonne ja im Osten auf- und im Westen untergeht, während die Erde uns alle mit rasender Geschwindigkeit durch das All trägt. Und wenn man über dem Nordpol weit genug ins All hinausflöge, könnte man auch sagen, sie drehe sich gegen den Uhrzeigersinn.

Die Astronomen würden dann vielleicht noch etwas weitergehen und die Erddrehung als eine "prograde" oder "rechtläufige" Bewegung bezeichnen. "Prograd" bedeutet schlicht "sich in dieselbe Richtung drehend" (das Gegenteil wäre "retrograd" oder "gegenläufig"). Wenn man also sagt, die Rotation der Erde sei prograd, dann drückt dies die Tatsache aus, dass die Erde sich in derselben Richtung um ihre eigene Achse dreht, in der sie auch um die Sonne kreist. So entsteht der Eindruck, als rolle die Erde auf ewig durchs All, rastlos vorwärts auf immer demselben Weg. Tatsächlich drehen sich die meisten Planeten im Sonnensystem in haargenau derselben Weise. Die einzigen Ausnahmen stellen Venus und Uranus dar, die sich beide in einer langsamen retrograden Rotation befinden.

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus "Können Thermostate denken?" von John Farndon. Verlag J.B. Metzler, Stuttgart 2016, 224 S., € 19,95

Verblüffenderweise verläuft nicht nur die Rotation, sondern auch die "Revolution", also der Umlauf der Planeten um die Sonne, in prograder Richtung – und das gilt ausnahmslos für alle Planeten, sogar für Venus und Uranus. Das bedeutet, dass sie in derselben Richtung um die Sonne kreisen, in der die Sonne sich um sich selbst dreht. Tatsächlich dreht sich beinahe alles in unserem Sonnensystem in diese Richtung; sogar die Monde umkreisen ihre Planeten auf diese Weise. Und da nun die Astronomen neue Planetensysteme untersuchen, die um andere Sterne kreisen als um unsere Sonne, stellen sie fest, dass sich die Planeten auch dort in den meisten Fällen – von einigen Ausnahmen abgesehen – in dieselbe Richtung bewegen, in der auch ihre Sterne rotieren. Die prograde Bewegung beherrscht also den Weltraum, wenn sich auch einige "Rebellen" dagegen aufzulehnen scheinen.

Die Entstehung unseres Sonnensystems

Den Astronomen ist die verbreitete "Vorliebe" für die prograde Bewegung schon seit einigen Jahrhunderten bekannt. Beim Versuch, diesen Umstand zu erklären, entwickelten im späten 18. Jahrhundert Theoretiker wie Pierre-Simon Laplace und Immanuel Kant die so genannte "Nebulartheorie" von der Entstehung unseres Sonnensystems. Zwar gibt es mittlerweile mehrere verschiedene Hypothesen darüber, wie unsere Sonne und ihre Planeten entstanden sein könnten, doch die Kant-Laplace'sche Theorie erfreut sich unter allen Vorschlägen noch immer der größten Akzeptanz.

Der Nebulartheorie zufolge hat das Sonnensystem seine Karriere als riesige Gaswolke begonnen (diese nennt man in der Astrophysik auch "Nebel"). Dann begann diese Wolke – vielleicht nach einer Kollision mit einer anderen Wolke oder auf die Explosion eines nahe gelegenen Sterns hin –, unter der Gravitationskraft ihrer eigenen Masse in sich zusammenzustürzen. Indem die Wolke kollabierte, erhielt die nun kompaktere Materie ihren noch heute bestehenden Drehimpuls.

Tatsächlich sind es nicht nur Planeten, Sterne und Galaxien, die herumgewirbelt werden. Eine faszinierende Studie, die ein Team von Astronomen der University of Michigan unter der Leitung von Michael Longo vor Kurzem vorgelegt hat, befasst sich mit der Rotationsrichtung von mehr als 15 000 Spiralgalaxien in dem Teil unseres Nachthimmels, der dem Nordpol der Milchstraße zugewandt liegt. Dabei kam heraus, dass die weitaus überwiegende Anzahl dieser Galaxien gegen den Uhrzeigersinn rotiert. Das wiederum legt nahe, wie Longo ausführt, dass das Universum als ganzes einen gegen den Uhrzeigersinn gerichteten Drehimpuls besitzt. Da dieser von irgendwoher gekommen sein muss, steht zu vermuten, dass das Universum bereits mit dem Urknall in seine heutige Drehbewegung gekommen ist.

Innerhalb der gesamten Himmelsmechanik nimmt dieser Drehimpuls einen zentralen Platz ein. Er ist es, der die Himmelskörper wie Teile eines riesigen Aufziehspielzeugs herumwirbeln lässt. Alles, was sich bewegt, verfügt über einen Impuls – das heißt über die Tendenz, sich in derselben Richtung weiter fortzubewegen. Beim Drehimpuls ist es nun so, dass sich der Impuls kreisförmig um einen Punkt im Raum bewegt. Das geschieht, wenn ein bestehender Impuls durch die Einwirkung irgendeiner anderen Kraft beständig von seinem Kurs abgelenkt wird. Im Weltraum handelt es sich bei dieser anderen Kraft in der Regel um die Gravitation. Wo immer es Gravitation und Bewegung – also einen Impuls – gibt (und das ist praktisch überall), verwandelt die Gravitation den Impuls in einen Drehimpuls. Das erklärt, warum Dreh- und Kreisbewegungen im All so weit verbreitet sind. Ein Drehimpuls sorgt dafür, dass sich die Milchstraße und die anderen Galaxien um sich selbst drehen, die Planeten ihre Bahnen um ihre Sonnen und die Monde ihre Bahnen um ihre Planeten ziehen; ein Drehimpuls ist es auch, der die Erde zum Rotieren bringt.

Der entscheidende Punkt mit Blick auf den Drehimpuls ist, dass er – genau wie jeder lineare Impuls auch – nicht verloren gehen kann; er bleibt immer erhalten. Laut der Nebulartheorie wurde die leichte Rotation, die die Gaswolke ursprünglich gehabt haben mochte, durch ihren Gravitationskollaps verstärkt: Da der Drehimpuls ihrer Masse erhalten blieb, diese nun aber auf immer kleineren Raum zusammengezogen wurde, begann die Wolke ihrerseits immer schneller zu rotieren. Ein berühmter Vergleich erklärt die Erhaltung des Drehimpulses in Analogie zu einer sich auf der Stelle drehenden Eiskunstläuferin: Sobald diese ihre Arme an den Körper zieht, führt die Konzentration des Drehimpulses dazu, dass ihre Rotationsgeschwindigkeit zunimmt. So ist es wohl auch mit unserem Sonnensystem gewesen.

Wie ein Brummkreisel um die eigene Achse

Der Nebulartheorie zufolge wurde auf diese Weise ein Gasnebel von vielleicht einem Lichtjahr Durchmesser auf die Größe unseres heutigen Sonnensystems reduziert. Mit der Zeit kam also einiges an Drehimpuls auf kleinstem Raum zusammen. Den Kollaps der riesigen Gaswolke vergleicht man wohl am besten mit dem Aufziehen einer riesigen Spieluhr. Als dann schließlich die Massekugel, zu der sich der Nebel verdichtet hatte, ihrerseits kollabierte, zogen sich ihre Überreste zu einer flachen, rotierenden Scheibe zusammen, deren Ränder in den Raum hinausgeschleudert wurden. Indem die Schwerkraft die in dieser Scheibe verteilte Materie zu mehr oder minder dichten Kugeln – den Planeten – ballte, wurde der gesamte Drehimpuls der ursprünglich ja riesigen Wolke auf diese Kugeln konzentriert, die schon bald wie Brummkreisel um ihre eigene Achse rotierten.

Bei Neutronensternen ist ein Gravitationskollaps derart dramatisch – und die Verstärkung des Drehimpulses entsprechend stark –, dass diese vergleichsweise winzigen Sterne sich bis zu 642-mal pro Sekunde um sich selbst drehen !

Dieser erste Anschub hat ausgereicht, unsere Erde bis heute und wohl noch weit in die Zukunft hinein bei gleich bleibender Geschwindigkeit unablässig kreiseln zu lassen. Zwar treten auch gewisse Reibungskräfte auf – die so genannten Gezeitenkräfte –, die auf das gravitative Zusammenspiel von Erde, Mond und Sonne zurückgehen und durchaus bremsende Wirkung haben. Allerdings ist diese verschwindend gering: In 100 Jahren wird die Erddrehung durch sie um gerade einmal 2,3 Millisekunden am Tag verlangsamt. Auch Wettersysteme in der Atmosphäre können die Rotationsgeschwindigkeit mindern, und durch Erdbeben kann sie sogar beschleunigt oder abgebremst werden, je nachdem, wie das Beben auf die Verteilung der Erdmasse einwirkt. Das Erdbeben 2011 in Japan beispielsweise scheint die Erddrehung durch eine Verschiebung von Masse zum Äquator hin so stark beschleunigt zu haben, dass es den Tag um 1,8 Mikrosekunden verkürzte.

Bislang habe ich von der Geschwindigkeit der Erddrehung gesprochen, als ob sie überall auf dem Planeten gleich wäre. Das stimmt allerdings nicht ganz. Wenn man etwa genau an einem der beiden Pole stünde, würde es einen ganzen Tag dauern, bis man sich einmal um seine eigene Achse gedreht hätte – aber man hätte dabei natürlich überhaupt keine Entfernung zurückgelegt. Wenn man sich hingegen auf dem Äquator positioniert, wird man mit einer Geschwindigkeit von 1667 km/h herumgewirbelt – das ist schneller als die Schallgeschwindigkeit! Genau aus diesem Grund finden Raketenstarts oft in tropischen Gefilden statt: Das Raumschiff erhält durch die höhere Rotationsgeschwindigkeit der Erde einen zusätzlichen Anschub.

Auch wenn man in das Erdinnere vorstößt, verändert sich dort die Drehgeschwindigkeit. Das liegt daran, dass der Erdkern magnetisch und teils flüssig ist. Die beständige Rotation des magnetischen Erdkerns erzeugt ein Magnetfeld, und das wiederum wirkt sich auf die darin enthaltenen Metalle aus: Es lässt den festen inneren Erdkern in östlicher Richtung rotieren, und zwar schneller als der Rest der Erde; zugleich rotiert der flüssige äußeren Erdkern in die entgegengesetzte Richtung und damit – relativ zum Rest des Planeten – nach Westen.

Es kommt nicht nur auf Richtung und Geschwindigkeit an

Bei meiner Darstellung der Erddrehung ging es bis hierher nur darum, in welche Richtung und mit welcher Geschwindigkeit die Erde sich dreht – ich könnte jedoch auch danach fragen, wie sie in ihrer Drehung positioniert ist. Durch die genaue Beobachtung der Sonne und der Planeten wissen wir, dass die Rotationsachse unserer Erde keineswegs lotrecht zu ihrer Umlaufbahn um die Sonne steht, sondern leicht geneigt ist. Genau gesagt neigt sich diese Achse, die vom Nordpol zum Südpol verläuft, um durchschnittlich 23,4 Grad gegenüber der so genannten Ekliptikebene, die den Umlauf der Erde um die Sonne beschreibt. Diese Schrägstellung der Erdachse ist es, die uns Einwohnern der gemäßigten Zonen unsere ausgeprägten Jahreszeiten beschert, denn sie sorgt dafür, dass die Sonneneinstrahlung im Verlauf des Jahreskreises an unterschiedlichen Punkten auf dem Globus mehr oder minder senkrecht auftritt und somit im Sommer ihr Wirkungsmaximum beziehungsweise im Winter ihr Wirkungsminimum erreicht.

Tatsächlich verändert sich die Art und Weise, in der die Erde sich dreht, andauernd. So kippt die Neigung der Erdachse über einen Zeitraum von 42 000 Jahren zwischen den Extremen von 22,1 Grad und 24,5 Grad hin und her. Binnen 26 000 Jahren bewegt die Achse sich zudem einmal im Kreis, beschreibt also – auf Grund ihrer Schrägstellung – einen Kegel; dies bezeichnet man als die Präzession der Erdachse. Und innerhalb von gerade einmal 18 bis 19 Jahren wird diese Präzession durch ein weiteres kleines Taumeln namens Nutation überlagert, das sich aus der unvollkommenen Übereinstimmung des Erdäquators und der Umlaufbahn des Monds um die Erde ergibt: Die gegenseitige Anziehung von Erde und Mond bringt die Erdachse leicht aus ihrer Position; die Erdrotation wird unregelmäßig. Der serbische Mathematiker Milutin Milanković hat in den 1920er Jahren gezeigt, dass diese zyklischen Veränderungen die "Heizeffizienz" der Sonne beeinflussen und somit regelmäßige Klimaschwankungen einleiten, die heute als Milanković-Zyklen bekannt sind.

In dem Film "Superman" von 1978 gebraucht der Titelheld seine übermenschlichen Kräfte, um die Erddrehung umzukehren, die Zeit zurückzudrehen und seine geliebte Lois Lane zu retten. Vielleicht wird eines Tages ja irgendeine andere Macht die Rotation der Erde verändern, doch bis es so weit ist, dürfen wir ruhig damit rechnen, dass die Sonne auch weiterhin im Osten auf- und im Westen untergehen wird – ganz so, wie es sein sollte.

Man könnte zum Beispiel auch einfach sagen: "Die Erde dreht sich in meine Richtung!" – denn schließlich hängt jede Richtungsaussage von einem bestimmten Bezugssystem ab. Die einzigen unmittelbar sichtbaren Indizien für die Erddrehung sind die alltägliche "Bewegung" von Sonne, Mond und Sternen am Himmel und das damit verbundene "Wandern" der vom Sonnenschein geworfenen Schatten. Und doch ist uns diese Bewegung der Erde so wenig bewusst, dass die Menschen lange Zeit – und verständlicherweise – glaubten, die Sonne und die Sterne bewegten sich, während die Erde an ihrem Ort bleibe. Selbst heute muss man sich, wenn man einen Sonnenuntergang beobachtet, bisweilen daran erinnern, dass es die Erde ist, die sich dreht – und nicht die Sonne, die unter den westlichen Horizont sinkt. Einige clevere Astronomen der griechischen Antike, unter ihnen Aristarchos von Samos, kamen schon vor mehr als 2000 Jahren darauf, dass die Erde sich dreht. Allerdings sind die entsprechenden Hinweise derart schwer zu entdecken, dass dieser Faden erst im 16. Jahrhundert wieder richtig aufgenommen wurde, als der Astronom Nikolaus Kopernikus die Vorstellung vom Kreisen der Erde um die Sonne in Europa bekannt machte. Doch noch ein Jahrhundert später musste Galileo Galilei dieselbe Überzeugung gegen heftige Angriffe aus Kirchenkreisen verteidigen, die schließlich in seinem Hausarrest gipfelten. Sein Verbrechen? Er hatte darauf bestanden, dass die Erde sich um die Sonne bewege – und das widersprach der offiziellen Position der katholischen Kirche. Wir haben heute, vier Jahrhunderte später, gut lachen, wenn wir uns über die tattrigen Kirchenväter amüsieren, die sich gegen Galileo stellten – aber tatsächlich lief sein Beweismaterial für die Wahrheit seiner Behauptungen auf wenig mehr hinaus als einige Beobachtungen der Venusphasen, die er mit seinem Teleskop gemacht hatte und die er nun der genialen – und richtigen – Erklärung hinzufügte, die Kopernikus mit Blick auf die "Schleifen" der Planetenbahnen am Nachthimmel gegeben hatte. Nach Galileo versuchten Newton und andere, die Erdbewegung aus der seitlichen Ablenkung fallender Gegenstände zu ermessen, hatten dabei aber nur geringen Erfolg. Erst 1851 gelang es dem französischen Physiker Léon Foucault mit seinem berühmten Pendel, die Rotation der Erde um ihre eigene Achse zu beweisen: Dieses Pendel verändert im Lauf eines Tages langsam seine Schwingungsrichtung, was sich aus der Einwirkung der Erddrehung auf den sonst unveränderten Schwungimpuls erklären lässt. Heutzutage können wir natürlich die Erde verlassen und ihre Drehung gewissermaßen "von außen", aus dem Weltall nämlich, beobachten.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.