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Warkus' Welt: Haben Katzen das bessere Leben?

Katzen verbringen den Großteil des Tages mit Schlafen und müssen sich weder mit Politik noch mit Altersvorsorge herumärgern. Wäre so ein Leben nicht erstrebenswert? Ein philosophisches Gedankenexperiment.
Katze liegt auf dem Schoß einer Frau und wird mit beiden Händen gekrault
Katze müsste man sein. Oder?
Gibt es vernünftige Rassisten? Hat nicht nur der Ärger unseres Vorgesetzten eine Ursache, sondern auch alles andere auf der Welt? Und was ist eigentlich Veränderung? Der Philosoph Matthias Warkus stellt in seiner Kolumne »Warkus’ Welt« philosophische Überlegungen zu alltäglichen Fragen an.

Das Gefühl, dass ständig Entsetzliches auf der Welt geschieht und es mit der Zeit nicht besser, sondern nur noch schlimmer wird, gibt es nicht erst seit ein paar Jahren. In der jüngeren Vergangenheit ist es aber sicherlich noch einmal sehr präsent geworden. Der individuelle Alltag ist auch nicht immer ein Zuckerschlecken: Zwar ist nach eigenen Angaben die überwältigende Mehrheit der Deutschen nach wie vor ziemlich zufrieden mit ihrem Leben, aber selbst wenn man ziemlich zufrieden ist, heißt das nicht, dass man nicht ständig irgendwelche Scherereien hat.

Wie verlockend erscheint demgegenüber doch die Existenz einer Katze! (Die eines Hundes vielleicht auch, mit Hunden kenne ich mich aber nicht aus.) Katzen liegen 15 Stunden pro Tag gemütlich herum, freuen sich über ihr Futter, jagen Motten, Spielzeug oder der eigenen Schwanzspitze hinterher, leben in der Gegenwart, tun weitgehend, was sie wollen, und machen sich keine Gedanken um private Altersvorsorge. Wäre das nicht erstrebenswert?

Dem könnte man jetzt zweierlei entgegnen. Zunächst einmal: Vielleicht ist eine Katze gar nicht so zufrieden, wie wir meinen. Katzen sind bekanntlich recht schreckhaft und verwenden außerdem viel Zeit darauf, ihr Fell zu pflegen und ihm dadurch zum Beispiel einen charakteristischen Geruch zu verleihen, um von Artgenossen besser erkannt zu werden. Wer sagt uns, dass das scheinbar so behaglich zusammengerollte, flauschige Tier neben uns nicht in Wahrheit ein Nervenbündel ist, in dem sich bei jedem unerwarteten Schattenwurf die Urangst des Kätzchens regt, von einem Steinadler geschlagen zu werden, und das zudem neurotisch besessen von seinem eigenen Körpergeruch ist? Vielleicht macht sich eine Katze selbst in einem sicheren Zuhause immer noch zu viele Gedanken.

Wer ist besser dran: Joseph Haydn oder die Auster?

Der britische Philosoph Roger Crisp entwickelte 1997 ein Gedankenexperiment, in dem er dem Leben eines Menschen (in diesem Fall einem recht langen und erfüllten, nämlich dem des Komponisten Joseph Haydn) das Leben einer Auster gegenübersetzt. Der Auster unterstellt er ein Leben knapp oberhalb der Bewusstlosigkeit, eine Art halb weggetretenes Wohlbefinden, wie es ein Mensch empfinde, der »sehr betrunken in einem warmen Bad liegt«. Crisp möchte den Deal noch dadurch versüßen, dass er die Auster im Gegensatz zu Haydn praktisch unsterblich macht. Aber möglicherweise wäre sogar ein normal langes Austernleben ganz schön? Vielleicht sollten wir uns wünschen, wie eine Auster zu sein und nicht wie eine Katze?

Die zweite Entgegnung ist sozusagen eine methodische: Wir wissen natürlich überhaupt nicht, wie es wirklich ist, eine Katze oder eine Auster zu sein. Bereits die Kategorien, die wir benutzen, um ihr Leben zu beschreiben (»zufrieden«, »gemütlich«, »Nervenbündel«, »Angst«, »Besessenheit«, »weggetretenes Wohlbefinden«) sind menschliche, bloß auf die Tiere projizierte Begrifflichkeiten. Es ist schon schwer genug, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, und manche zweifeln begründet daran, dass das überhaupt möglich ist. Ich persönlich weiß noch nicht einmal, wie es wäre, Schweizer zu sein oder katholisch. Klar kann ich bestimmte Überzeugungen und Verhaltensweisen aufzählen, die ich, wäre ich Schweizer oder katholisch, vermutlich an den Tag legen würde. Aber wie es sich wirklich »anfühlen« würde, kann ich nicht sagen, und noch viel weniger, wie es sich anfühlen würde, eine Katze oder eine Auster zu sein. Schon die Kategorie des »Sichanfühlens« ist eigentlich fragwürdig. Wir können gar nicht wissen, ob eine Katze oder eine Auster überhaupt über die Fähigkeit verfügt, dass sich etwas für sie irgendwie »anfühlt«.

Am Ende bleiben wir eingesperrt in unsere menschlichen Existenzen. So, wie wir die Katze äußerlich niedlich finden, weil sie bestimmte Merkmale aufweist, auf die wir evolutionär bedingt gepolt sind, finden wir sie auch »innerlich niedlich«, weil wir ihr Verhalten mit Schablonen menschlichen Verhaltens vergleichen. Der Wunsch, lieber ein Tier zu sein, bleibt am Ende eine zutiefst menschliche Regung.

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