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Lexikon der Arzneipflanzen und Drogen: Züchtung und Anbau von Arzneipflanzen

Züchtung und Anbau von Arzneipflanzen

Chlodwig Franz

Arzneidrogen sind wie jedes Pflanzenmaterial das Produkt vorwiegend biologischer Prozesse. Die für Arzneimittel geforderte Qualität und Reproduzierbarkeit setzt deshalb voraus, alle den Ablauf und das Ergebnis der Arzneipflanzenproduktion beeinflussenden Faktoren möglichst genau zu kennen und sie steuern zu lernen, um die natürliche Restvarianz niedrig zu halten. Als wichtigste Einflußgrößen gelten in diesem Zusammenhang:

· die genetische Ausstattung des Pflanzenmaterials (genetische Variation),

· die Verteilung der Inhaltsstoffe auf die Pflanzenorgane (morphogenetische Variabilität),

· die Veränderungen des Wirkstoffgehaltes im Laufe des Vegetationszyklus (ontogenetische Variabilität),

· die Modifikation durch Umweltbedingungen,

· die Beeinflussung durch Anbaumaßnahmen wie Sortenwahl, Standort, Fruchtfolge, Anbautermin, Pflegemaßnahmen einschließlich Herbizid- und Pestizideinsatz mit entsprechender Rückstandsproblematik sowie Ernte und Verarbeitung.

Auch bei noch so guter Kenntnis und Beachtung dieser Parameter kann jedoch kaum jedes pflanzliche Ausgangsmaterial völlig identisch sowie termin- und mengenmäßig exakt für die Herstellung von Phytopharmaka erzeugt werden: saisonale Unterschiede, wie wir sie von den Nahrungspflanzen her kennen, bleiben bestehen.

Genetische Variation und Züchtung

Viele der heute verbreitet angewandten Arzneipflanzen wie Johanniskraut (Hypericum perforatum), Brennessel (Urtica sp.), Sonnenhut (Echinacea sp.), aber auch Mariendistel (Silybum marianum), Salbei (Salvia officinalis) u.a.m. befinden sich noch im Stadium der gerade erst kultivierten Wildpflanzen, nur wenige Arten wie die alten Kulturpflanzen Schlafmohn (Papaver somniferum) oder Pfefferminze (Mentha x piperita) sind systematisch züchterisch bearbeitet. Entsprechend hoch ist daher vielfach noch die genetische Variabilität: Chinarinde (Cinchona ledgeriana bzw. C. calisaya) z.B. kann entweder Chinin oder Chinidin, Cinchonin oder Cinchonidin als Hauptalkaloid enthalten, Schafgarbe (Achillea millefolium s.l.) ist proazulenhaltig oder proazulenfrei, von Kamille (Chamomilla recutita) gibt es (-)-α-bisabololreiche, aber auch bisabololarme, bisabololoxidreiche Varietäten, und bei Salbei kennen wir sowohl α- bzw. β-Thujon-, 1,8-Cineol-, Campher- als auch Sesquiterpentypen. Die Höhe des Gehalts an Sekundärstoffen beruht darüber hinaus – soweit genetisch – auf polygen bedingten quantitativen Merkmalen. Im Sinne der Qualitätssicherung (s.u.) pflanzlicher Arzneimittel wurde deshalb an mehreren Stellen mit der züchterischen Bearbeitung von Arzneipflanzen begonnen, und das deutsche Bundessortenamt hat 1996 erstmals eine "Beschreibende Sortenliste" von etwa 50 registrierten Arzneipflanzensorten herausgegeben.

Die Zuchtziele von Arzneipflanzen lassen sich in zwei Gruppen zusammenfassen (Tab. 1):

aus pharmazeutischer Sicht stehen Art und Menge an Wirkstoffen oder Leitsubstanzen als wichtigste Merkmale im Vordergrund, pflanzenbaulich und produktionstechnisch gelten vor allem Ertrag und Ertragssicherheit, eine breite Standortanpassung, aber auch Resistenzen gegenüber pathogenen Organismen wie z.B. Colletotrichum-Welke bei Johanniskraut als wesentliche Ziele.

Tabelle 1: Zuchtziele für Arzneipflanzen

Pharmazeutisch
(Wirkstoffe bzw. Leitsubstanzen)
Pflanzenbaulich
(Ertrag und Anbautechnik)
qualitativ
Wirkstoffspektrum
Anbaueigenschaften
Wuchs, Ertrag, techn. Eigenschaften (Reife, Farbe, Form, Trocknungsfähigkeit, Trennbarkeit der Teile)
quantitativ
Wirkstoffgehalt
Resistenzen gegen Krankheiten und Schädlinge
technologisch
Verarbeitungsfähigkeit
ökologische Amplitude
Anpassungsfähigkeit

Die gängigen Methoden der Pflanzenzüchtung, welche auch bei Arzneipflanzen eingesetzt werden, sind in Tab. 2 zusammengefaßt.

Tabelle 2: Methoden der Arzneipflanzenzüchtung

Selektion: Klonauslese
Individualauslese
Massenauslese
Kombination: einfache Kreuzung
Rückkreuzung
Heterosiszüchtung (Hybridzüchtung)
Mutation: Genom-Mutation (Polyploidie)
Chromosomen-Mutation
Gen-Mutation, Punkt-Mutation
Gentechnologie (transgene Pflanzen)

Bei der Mehrzahl der Arzneipflanzen ist die natürliche genetische Variabilität so hoch, daß einfache Selektionen bereits große Züchtungsfortschritte bringen. Bei Individualauslese werden Einzelpflanzen-Nachkommenschaften geprüft und vermehrt, bei Massenauslese werden die Samen aller selektierten Pflanzen gemeinsam weitervermehrt und beurteilt. Als Beispiele können Mohn-, Schafgarben- und Johanniskraut-Sorten genannt werden. Eine Sonderform der Selektion stellt die Klonauslese dar, hier werden selektierte Individuen konventionell oder mittels in-vitro-Methoden vegetativ vermehrt: (Verklonung, vgl. unten). Beispiele: Pfefferminz-, Hybridlavendel- und Ginkgo-Sorten.

Um wertvolle Eigenschaften verschiedener Individuen oder Linien miteinander zu vereinigen, sind Kreuzungen erforderlich. Danach folgen wiederum Auslesen und ggf. Rückkreuzungen. Treten in der ersten Nachkommenschaftsgeneration über die Elternpflanzen hinausgehende Leistungen auf, bezeichnet man das als Heterosis-Effekt von F1-Hybriden. Beispiele für Kreu- zungszüchtungen sind Arzneifenchel-, Ringelblumen- oder Mariendistel-Sorten.

Zur Erweiterung der natürlichen Mannigfaltigkeit der Merkmale und Erzeugung neuer Varianten werden Mutationen durch Chemikalien oder energiereiche Strahlen ausgelöst. Praktische Bedeutung haben dabei sowohl Punkt- (Gen-) als auch Genom-Mutationen (polyploide Formen) erlangt. Auf Gen-Mutationen beruhen z.B. dornenlose, steroidreiche Solanum-khasianum-Sorten,Genom-Mutation führte zu polyploiden Kamillen-, Baldrian- und Pfefferminzsorten.

Durch gentechnologische Methoden hergestellte transgene Arzneipflanzen spielen wegen der erwähnten natürlichen Variabilität und Selektionsmöglichkeit bisher noch keine Rolle.

Inhaltsstoffverteilung und Veränderungen während der Vegetation

Gehalt und Zusammensetzung an Sekundärstoffen variieren innerhalb einer Pflanze von Organ zu Organ, ebenso wie es jahreszeitliche bzw. vom Entwicklungsstadium der Pflanze abhängige Unterschiede gibt. Wegen der unterschiedlichen phytochemischen Zusammensetzung werden z.B. Löwenzahnblätter für andere Indikationen eingesetzt als Löwenzahnwurzeln, ähnliches gilt für die Brennessel. Kamille enthält nur in den Blütenköpfchen relevante Mengen an ätherischem Öl und Flavonoiden, im Handel findet man aber trotzdem oft Kamillenkraut bzw. Krautextrakt. Das Wissen über solche Unterschiede hat praktische Bedeutung für die Ernte und Erntetechnik: Vielfach sind hochspezialisierte Geräte erforderlich, denn eine unsaubere Trennung führt zu qualitativ minderwertigen Produkten.

Wirkstoffveränderungen gibt es auch im Verlauf der Vegetationsperiode und Pflanzenentwicklung. So ist z.B. bekannt, daß der Bitterstoffgehalt von Enzianwurzeln im Frühjahr während des Austriebes am höchsten und im Spätsommer am niedrigsten ist. Pfefferminze weist vor dem Ansatz der Blütenknospen ein menthonreiches, unangenehm scharfes ätherisches Öl auf, gegen Blühbeginn steigt der Gehalt an Menthol. Ebenso nimmt bis Blühbeginn der Cumaringehalt in Steinklee zu. Dementsprechend sind die Erntetermine für die einzelnen Arten zu wählen.

Umwelteinflüsse und Anbaumaßnahmen

Die planmäßige Kultivierung von Arzneipflanzen dient der Gewinnung und Sicherung der benötigten Mengen an möglichst einheitlichen und hochwertigen Drogen. Als Bestandteil der Qualitätssicherung (s.u.) pflanzlicher Arzneimittel findet sie ihren Niederschlag in Richtlinien für eine gute landwirtschaftliche Praxis (GAP = Good Agricultural Practice), welche alle Vorgaben vom Ausgangsmaterial über Anbau und Behandlung bis zur Ernte und Aufbereitung umfaßt.

Neben pflanzenbaulichen Grundkenntnissen setzt der planmäßige Anbau Informationen über die Wachstumsbedingungen und den Vegetationszyklus der einzelnen Arten voraus.

Wichtige äußere Faktoren sind der Anbaustandort bzw. dessen Klima und die Pflanzen-ernährung, wobei Sorte, Entwicklungsstadium usw. in Wechselbeziehung dazu stehen. Pfefferminze kommt als typische Langtagpflanze erst bei Tageslängen von mehr als 14 Stunden in die Blühphase, was wiederum Voraussetzung für die Ausbildung eines hohen Mentholgehaltes ist: Pfefferminzöl südlicher Provenienz ist deshalb in der Regel nicht Arzneibuch-konform. Bei Enzianwurzeln wurde festgestellt, daß ihr Gehalt an Amarogentin mit zunehmender Höhenlage von 0,025 % im Flachland auf 0,1 % in Berglagen oberhalb 1000 m ansteigt.

Die Wasser- und Nährstoffversorgung entscheidet in erster Linie über den Masseertrag, kann aber auch die Pflanzenentwicklung beschleunigen oder verlangsamen und dadurch die Wirkstoffbildung beeinflussen. Ein direkter Zusammenhang zwischen Düngung und Sekundärstoffgehalt konnte bisher hauptsächlich bei Alkaloiden – etwa dem Anstieg von Chelidonin in Schöllkraut nach Stickstoffdüngung – gefunden werden.

Umweltchemikalien und Verunreinigungen von Arzneidrogen

In Westeuropa sind nur vereinzelt Pflanzenbehandlungsmittel zum Einsatz in Arzneipflanzen-Kulturen zugelassen, so daß kaum je Rückstände in der Rohware zu finden sein werden. In vielen Drogen vor allem aus außereuropäischen Ländern findet man aber häufiger Pestizidrückstände, auf deren höchstzulässige Restmengen entsprechend dem Arzneibuch geprüft werden muß.

Es bleibt jedoch festzuhalten, daß Pflanzen – in welchem Landbewirtschaftungssystem auch immer – von Krankheitserregern und Schadinsekten befallen werden können, was nicht nur Ertragseinbußen, sondern auch erhebliche Qualitätsveränderungen z.B. durch Bildung von Abwehrstoffen mit sich bringen kann. Die Unkrautentfernung in Kulturpflanzenbeständen wiederum erfolgt nicht nur wegen der Konkurrenz um Standraum, Nährstoffe und Wasser, sondern auch um eine Minimierung des Fremdbesatzes in Drogen zu erreichen und um mögliche Infektionsquellen (Unkräuter als Herde für Schadorganismen) zu entfernen.

Zu den unerwünschten Umweltchemikalien zählen auch die Schwermetalle Cd, Pb, Ni, Hg und Cr. Als Höchstmengen in Arzneidrogen gelten im allgemeinen folgende Richtwerte:

Blei: 5 mg/kg, Cadmium: 0,2 mg/kg, Quecksilber: 0,1 mg/kg.

Einige Drogen neigen jedoch zur Cadmium-Anreicherung, hierzu zählen vor allem Leinsamen, Johanniskraut und Birkenblätter. Für diese Arten stehen deshalb Höchstwerte von 0,3 – 0,8 mg/kg für Cd zur Diskussion. Ihr Anbau sollte aber nur auf wenig belasteten Flächen stattfinden.

Jede Pflanze und die von ihr gewonnene Droge ist von einer eigenen, typischen Mikroflora umgeben, die von Boden, Düngung, Kleinklima und Pflanzenteil abhängt. Die Beurteilung der mikrobiologischen Kontamination durch natürliche, apathogene Keime auf der Basis der Arzneibuch-Grenzwerte wirft deshalb häufig Probleme auf. Grundsätzlich ist es notwendig, bei der Gewinnung von Arzneidrogen schon auf dem Feld und bei der Ernte sauber zu arbeiten und bei oberirdischen Pflanzenteilen eine Kontamination mit Erde zu vermeiden. Auch die nachfolgende Trocknung und Aufbereitung muß entsprechend hygienisch erfolgen, was in vielen Erzeugerländern nicht immer gewährleistet ist. Zur Keimzahlverminderung und "Entwesung" (Abtötung von Insekten) bieten sich verschiedene physikalische Verfahren mit Dampf oder in CO2-Druckkammern an, da die meisten chemischen Verfahren (Begasung) wegen toxischer Reaktionsprodukte nicht mehr zulässig sind. In einigen Ländern ist hingegen der Einsatz ionisierender Strahlen zur Keimreduzierung bei Drogen zugelassen.

Ernte und Aufbereitung

Die Ernte von Arzneipflanzen erfolgt je nach Stand der technischen Entwicklung

· manuell oder mit einfachen Erntehilfen (z.B. Blüten-Pflückkämme, Rinden-Schälmesser, Wurzel-Grabgabeln),

· teilmechanisiert (z.B. Schwadmäher, Rodepflüge, Standdreschmaschinen) oder

· vollmechanisiert (z.B. Mähdrescher, Wurzelvollernter, Blütenpflückmaschinen).

Den arbeitswirtschaftlichen Vorteilen maschineller Ernteverfahren stehen die größere mechanische Belastung und die meist notwendige Nachreinigung des Erntegutes als Einschränkungen gegenüber. Wichtig ist ein gleichmäßig abreifender Feldbestand, der homogene Sorten und geeignete Anbaubedingungen voraussetzt. Kraut- und Blattdrogen werden im allgemeinen kurz vor oder während der Blüte, Blütendrogen in Vollblüte, Rinden im Frühjahr und Wurzeln gegen Ende der Vegetationsperiode geerntet. Das frische Erntegut muß rasch weiterverarbeitet und konserviert werden. Hierzu zählen im Einzelfall Wasch- und Reinigungsvorgänge (z.B. bei unterirdischen Pflanzenteilen) ebenso wie die Trennung von Blatt- und Stengelanteilen oder die Zerkleinerung. Sofern nicht Preßsäfte oder Frischpflanzenauszüge hergestellt werden oder die Rohware zur Destillation ätherischer Öle dient, wird das Erntegut durch Wasserentzug haltbar gemacht. Als wichtigste Trocknungsverfahren gelten:

· die natürliche Trocknung an der Sonne oder im Schatten, die vor allem in wärmeren Ländern eingesetzt wird. Hier ist darauf zu achten, daß keine erhöhte mikrobiologische Kontamination z.B. durch Staub oder Haustiere eintritt;

· die künstliche Trocknung mittels Kalt-, Warm- oder Heißluft. Hierzu zählen Kammer- und Hordentrocknung als diskontinuierliche und Trommel- sowie Bandtrocknung als kontinuierliche Verfahren. Als Wärmequellen dienen Öl-, Gas- oder Feststoffbrenner mit Wärmetauschern, an sonnenreichen Standorten haben sich Solarkollektoren bewährt.

Die Trocknungstemperaturen liegen je nach Stabilität der Inhaltsstoffe zwischen 40 und 100 °C. Drogen dürfen nur eine Restfeuchte von weniger als 15 % aufweisen, um das Wachstum von Mikroorganismen zu verhindern.

Die Lagerung von Drogen erfolgt kühl, dunkel, trocken und sauber, d.h. vor Sonnenlicht, Feuchtigkeit, Sauerstoffeinwirkung, Staub und Vorratsschädlingen geschützt.

Anbau und Herkunft von Arzneidrogen

Viele der im Handel befindlichen Arzneidrogen stammen noch aus Wildsammlung (s.u.), mengenmäßig kommt jedoch mehr als die Hälfte aus Feldanbau. Dieser nimmt derzeit in fast allen Teilen der Welt zu, wobei als wichtigste Produzenten China, Indonesien, Thailand und Indien; Ägypten, Sudan und Südafrika; Argentinien, Chile, Brasilien und Costa Rica; aber auch Tasmanien, die USA, Kanada und verschiedene europäische Länder gelten. Traditionell war der Arzneipflanzen-Anbau in Osteuropa weit verbreitet, in den letzten zwei Jahrzehnten hat er sich jedoch in fast allen Ländern der Europäischen Union etabliert, wobei neben den Niederlanden, Frankreich und Spanien vor allem Italien, Österreich und Deutschland hervorzuheben sind. In Deutschland gibt es derzeit etwa 7000 ha Arzneipflanzenkulturen in den Bundesländern Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Als wichtigste Arten sind Kamille, Mariendistel, Sonnenhut, Pfefferminze, Baldrian und Johanniskraut zu erwähnen. Es gibt aber auch Anbau z.B. von Arnika, Schöllkraut, Malve, Goldrute, gelbem Enzian und Artischocke.

Der überwiegende Teil der Betriebe arbeitet konventionell, wenn auch mangels Zulassung kaum Herbizide und Pestizide eingesetzt werden. Kontrollierter biologischer Anbau findet auf etwa 10 % der Flächen statt. Der vermutlich größte biologisch bewirtschaftete Arzneipflanzenbetrieb in Europa liegt in der Toskana, gefolgt von einem deutschen Betrieb in Hessen. Sowohl in Österreich als auch in der Schweiz hat man in den letzten Jahren ebenso sehr erfolgreich einen Bio-Kräuteranbau aufgezogen.

Qualitätssicherung des pflanzlichen Ausgangsmaterials durch Anbau:

Die Produktion pflanzlichen Ausgangsmaterials für Phytopharmaka stellt einen vielschichtigen bio-/technologischen Prozeß dar, der nur bei geeignetem Management den heutigen Mengen- und Qualitätsanforderungen gerecht werden kann. Dazu ist es notwendig, die landwirtschaftliche Erzeugung ebenso in ein Qualitätssicherungssystem einzubinden, wie es für die industrielle Weiterverarbeitung bis zum Endprodukt (Industriedrogen) bereits besteht. In Ergänzung zu den GMP-Richtlinien (Good Manufacturing Practice) wurden deshalb seitens der Europäischen Vereinigung der Arznei- und Gewürzpflanzen-Produzenten (EUROPAM) und der Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung (GA) in Abstimmung mit anderen Verbänden Leitlinien für eine Gute Landwirtschaftliche Praxis im Arzneipflanzenanbau (GAP = Good Agricultural Practice) erstellt. Ziel der Leitlinien ist es, insofern Standards für Anbau und Verarbeitung vorzugeben, als diese geeignet sind, kritische Produktionsschritte zu identifizieren und sicherzustellen, daß das pflanzliche Rohmaterial den Erwartungen der Verbraucher entspricht und hohen Qualitätsansprüchen genügt. Insbesondere gehört dazu, daß die Pflanzen hygienisch produziert werden, um die mikrobiologische Kontamination gering zu halten, und daß sie sorgfältig hergestellt werden, um negative Einflüsse während Anbau, Ernte und Lagerung hintanzuhalten.

Die Leitlinien enthalten grundsätzliche Hinweise zum Saatgut und Vermehrungsmaterial, zum Anbau einschließlich Boden und Düngung, zu Bewässerung, Bestandspflege und Pflanzenschutz, zur Ernte und den einzusetzenden Nachernteverfahren, zu Verpackung, Lagerung und Transport, aber auch zu Maschinen, Geräten und zum Personal einschließlich Schulung. Einen wesentlichen Raum nimmt die Dokumentation aller Maßnahmen ein, für deren Überwachung jedoch ein Audit-System einzurichten ist. Die GAP-Leitlinien sind als Ergänzung zur Europäischen Direktive "Good Manufacturing Practice for Starting Materials of Medicinal Products" zu verstehen, während die Betriebsverordnung für die Herstellung von Arzneimittel-Wirkstoffen ausdrücklich keine Anwendung auf den Arzneipflanzen-Anbau findet.

Verklonung (Klonierung)

Verklonung ist die vegetative Vermehrung eines Individuums, wobei die Grundgesamtheit der Nachkommen genetisch identisch ist. Methodisch kommen sowohl konventionelle Stecklingsvermehrungen als auch in-vitro-Verfahren in Betracht. Klone haben den Vorteil der absoluten Homogenität, solange keine Spontanmutationen auftreten. Klonierung wird gern bei (sterilen) Arthybriden mit wertvollen Eigenschaften vorgenommen. Nachteil von Klonen ist, daß sie nicht samenvermehrbar sind (die Nachkommenschaften würden aufspalten), außerdem bergen sie die Gefahr in sich, daß sich Schadorganismen auf den Klon spezialisieren und erhöhte Pflanzenschutzaufwendungen erforderlich machen.

Wildpflanzen (Wildsammlung)

Bezogen auf die Artenzahl stammen etwa zwei Drittel der im Handel befindlichen Arzneidrogen aus Wildsammlung, nur ein Drittel wird systematisch angebaut. Was das Mengenaufkommen betrifft, kommen jedoch zwei Drittel aus Feldkulturen. Die Sammlung der Wildpflanzen soll durch Inkulturnahmen weitgehend ersetzt werden, da

· die Wildvorkommen begrenzt sind und bei anhaltender Sammeltätigkeit die Gefahr der genetischen Erosion bis hin zur Ausrottung mancher Arten besteht (Naturschutz!),

· Sammeldrogen eine heterogene, nicht reproduzierbare Qualität aufweisen,

· bei Wildsammlung die Gefahr von Verwechslungen bzw. Verfälschungen besteht und die Kontamination mit Umweltchemikalien schwer kontrollierbar ist.

Für die Domestikation hat sich die nachstehende Vorgangsweise als zielführend erwiesen:

· Studien am natürlichen Standort: Botanik, Boden, Klima, Wachstum, natürliche Vermehrung und Verbreitung;

· Sammlung von Pflanzen und Saatgut der wildwachsenden Pflanzen;

· phytochemische Untersuchung des Materials;

· Vermehrung des Pflanzenmaterials (generativ/vegetativ);

· Anbauversuche: Standort und Umweltvariation, Anbaumethoden, Pflegemaßnahmen;

· Beachtung phytosanitärer Probleme: Krankheiten, Schädlingen;

· Züchterische Verbesserung des Pflanzenmaterials: ökologische Amplitude, Resistenzen, Ertrag, Inhaltsstoffe (qualitativ/quantitativ);

· Kulturdauer, Ernte: Termin, Techniken; Nach-Ernte-Verfahren; Qualitätskontrolle;

· Wirtschaftlichkeitsberechnungen: Arbeitskräftebedarf, Maschinen, Geräte, Anlagen, Einsatz von Agrochemikalien;

· Erträge und Erlöse.

In der Übergangsphase bis zur erfolgten Inkulturnahme soll die Wildsammlung nach den Leitlinien für eine gute Sammelpraxis (GHP = Good Harvesting Practice) erfolgen.

Beispiele für erfolgreiche Domestikationen in den letzten Jahren sind u.a. Alchemilla xanthophylla, Arnica montana, Costus speciosus, Duboisia myoporoides, Gentiana lutea, Hypericum perforatum, Lippia graveolens, Tagetes lucida, Taxus brevifolia.

Literatur:

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Carle, R. (Hrsg.): Ätherische Öle – Anspruch und Wirklichkeit. APV-Papaerback Bd. 34, Wiss. Verlags-Ges. Stuttgart (1993)

Chizzola, R., u. Ch. Franz: Angew. Bot. 70(1996), 52-56.

Franz, Ch.: Plant Research and Development 37(1993), 101-111.

Lange, D.: Untersuchungen zum Heilpflanzenhandel in Deutschland. Landwirtschaftsverlag Münster (1996)

Pank, F., Ch. Franz, H. Schulz, G. Schumann, J.R. Sharme, T. Tatlioglu: Breeding Research on Medicinal and Aromatic Plants. Beitr. Züchtungsforsch. 2 (1) (1996)

N.N.: Beschreibende Sortenliste Heil- und Gewürzpflanzen. Bundessortenamt (1996)

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