Direkt zum Inhalt

Metzler Lexikon Philosophie: Philosophie der normalen Sprache

auch ordinary language philosophy, wird repräsentiert durch L. Wittgensteins Philosophische Untersuchungen, durch G. Ryle, J. L. Austin u. a. Die Ph. n. S. stellt eine Abkehr von der Philosophie der idealen Sprache und den damit verbundenen Forderungen nach expliziter Definiertheit der Wörter und exakter Festlegungen durch Regeln dar. Die Idee einer exakten Sprache erweist sich für Wittgensteins Philosophische Untersuchungen als eine Schimäre: Die Forderung einer idealen Sprache gründet in einer verfehlten Vorstellung davon, was es heißt, einer Sprachregel zu folgen. Grundlegend für die Entwicklung der Ph. n. S. ist Wittgensteins Argumentation gegen die Festlegung einer Wortbedeutung durch eine explizite, dem Gebrauch vorgängige Sprachregel. Um nicht in den mit einer solchen Bedeutungsfestlegung verbundenen unendlichen Regress zu verfallen, wenn wir die Bedeutung durch eine Regel festlegen wollen und für diese Festlegung ihrerseits wieder eine Regel der richtigen Festlegung benötigen, müssen wir letztlich auf ein Sprachverständnis ohne explizite Regelkenntnis rekurrieren. Die Regelkenntnis als Quelle des Sprachverständnisses wird von Wittgenstein ersetzt durch die Festlegung der Wortbedeutung durch den geregelten Gebrauch. Die grundlegende Annahme für diese Argumentation ist, dass es keine Wirklichkeit an sich gibt, die durch die Sprache abgebildet wird (Abbildtheorie), sondern erst in der sprachlichen Bedeutung erschließt sich uns die Welt. d.h. die Welt ist uns immer nur in sprachlicher Interpretation gegeben. – Ryle hat zur Begründung des Verfahrens der Normalsprachanalyse nochmals das Argument des unendlichen Regresses in Gestalt einer Kritik an der »intellektualistischen Legende« vorgebracht, d.h. an der Vorstellung, dass der Handelnde die für die betreffende Situation einschlägige Regel auszuwählen hat. Die Kenntnis der Regel ist ihrerseits noch keine Gewähr für die richtige Wahl und für die richtige Anwendung auf eine gegebene Situation, so dass für beide Fälle nochmals Regeln für die verständige Wahl und die verständige Anwendung erforderlich wären, und für die Anwendung dieser Regel bedürfte es wiederum eigener Regeln usw. Mit dieser Kritik zielt er gleichzeitig auf die Theorie des menschlichen Geistes und deren Annahme, dass eine verständige Handlung durch einer innere geistige Haltung verursacht ist. Ähnlich argumentiert Ryle in Bezug auf die Frage nach der Willentlichkeit von Handlungen. Diese ist seiner Meinung nach nicht durch die Annahme einer vorgängigen Instanz »Wille«, die als Ursache für Handlungen fungiere, erklärbar. In letzter Konsequenz betrifft die Kritik der »Legende« auch die Theorie des Selbstbewusstseins bzw. die Annahme des Wissens des Geistes von sich selbst, die in der traditionellen Philosophie als Grundlage der Erkenntnis (allerdings in anderer als der von Ryle kritisierten Form) angeführt wird. Nach Ryle besteht die philosophische Aufgabe der Sprachanalyse darin, die logische Struktur von Sachverhalten über die syntaktische Struktur von Sachverhaltsbeschreibungen aufzudecken. Mit Hilfe der Alltagssprache erscheint es ihm entscheidbar, ob ein vorliegender Satz sinnvoll oder absurd ist. Bspw. zeigt der Vergleich der Sätze »gestern habe ich Stephan getroffen« und »gestern habe ich den durchschnittlichen Steuerzahler getroffen« die Sinnlosigkeit des zweiten Satzes. Wenn ein sprachlich sinnloser Satz auf die geschilderte Weise entstanden ist, handelt es sich um einen »Kategorienfehler«. Dieses Analyseverfahren konnte Ryle fruchtbar machen im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen Wörtern für Ereignisse und Wörtern für Dispositionen (bspw. Hans ist gerade damit beschäftig, sein Fahrrad zu flicken – Hans ist gerade damit beschäftigt, sein Fahrrad zu besitzen). Diese Differenzierung soll verhindern, Dispositionen wie »sich beeilen«, »mit Überlegung handeln«, »etwas absichtlich tun« nach dem Muster von Vorgängen (wie laufen, schreien, singen) zu behandeln und entsprechend falsche Problemstellungen daraus zu entwickeln. – Austin versucht eine systematische Antwort darauf zu finden, was man mit den Wörtern tun kann (how to do things with words). Er belässt es nicht bei der Unterscheidung von Gebrauchsweisen, sondern versucht, über deren systematische Ordnung die Funktionen der Sprache zu bestimmen. Seine Analysen führten zur Entwicklung der Sprechakttheorie. – Das kennzeichnende Merkmal der Ph. n. S. ist es, bei der Arbeit an philosophischen Problemen die Untersuchung der Alltagssprache zur Basis der Argumentation zu machen. Das dafür spezifische Philosophieverständnis lässt sich anhand der vierfachen Funktion solcher Untersuchungen bestimmen: (a) Die klärende Funktion liegt in der Aufgabe, durch den Bezug auf die Umgangssprache die sinnlosen von den sinnvollen Fragen zu unterscheiden. Die Klärung vollzieht sich durch den Rückgriff auf die normalen Verwendungsregeln der Sprache, um die verwendeten Wörter in ihrer Eindeutigkeit festzulegen. (b) Die therapeutische Funktion besteht darin, dass man die Bedeutung eines Ausdrucks durch Bezug auf die Verwendungsregeln klärt, um entscheiden zu können, ob das Problem (nur) in der falschen Formulierung besteht und aufgrund eines falschen Sprachverständnisses entstanden ist und damit durch korrekten Sprachgebrauch beseitigt werden kann. (c) Um die beweisende Funktion zu erfüllen, bezieht sich die Ph. n. S. zum einen auf die Ausdrücke, mit deren Hilfe wir in der alltäglichen Sprache über die Sachverhalte sprechen, zu denen ein bestimmtes philosophisches Problem formuliert wurde, und zum anderen auf Ausdrücke der Alltagssprache, mittels derer wir uns auf die typischen Sachverhalte eines scheinbar verwandten Sachverhalts beziehen. z.B. können wir die Ausdrücke für Willenshandlungen mit den typischen Ausdrücken zur Beschreibung der Ursache-Wirkungs-Beziehung eines äußeren Ereignisses vergleichen. Das in Frage stehende Problem entpricht nur dann dem Sachverhalt, wenn die Regeln für den Gebrauch der einen Ausdrücke den Regeln der anderen gleichen. (d) Die heuristische Funktion zeigt sich darin, dass man durch die Untersuchung der Verwendungsweise der Wörter auf Sachverhalte geführt wird, deren Unterscheidung für philosophische Probleme bedeutsam sind. Die grundlegende Annahme dafür ist, dass unterschiedliche Ausdrücke immer auch unterschiedliche Sachverhalte repräsentieren.

Literatur:

  • J. L. Austin: Zur Theorie der Sprechakte. Stuttgart 1972
  • Ders.: Sinn und Sinneserfahrung. Stuttgart 1975
  • G. Ryle: Der Begriff des Geistes. Stuttgart 1969
  • E. v. Savigny: Analytische Philosophie. Freiburg/München 1970
  • Ders.: Philosophie der normalen Sprache. Freiburg/München Frankfurt 21974
  • L. Wittgenstein: Tractatus logico-philosophicus (Werke Bd. 1). Frankfurt 1984.

PP

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

  • Die Autoren
AA Andreas Arndt, Berlin
AB Andreas Bartels, Paderborn
AC Andreas Cremonini, Basel
AD Andreas Disselnkötter, Dortmund
AE Achim Engstler, Münster
AG Alexander Grau, Berlin
AK André Kieserling, Bielefeld
AM Arne Malmsheimer, Bochum
AN Armin Nassehi, München
AR Alexander Riebel, Würzburg
ARE Anne Reichold, Kaiserslautern
AS Annette Sell, Bochum
AT Axel Tschentscher, Würzburg
ATA Angela T. Augustin †
AW Astrid Wagner, Berlin
BA Bernd Amos, Erlangen
BBR Birger Brinkmeier, Münster
BCP Bernadette Collenberg-Plotnikov, Hagen
BD Bernhard Debatin, Berlin
BES Bettina Schmitz, Würzburg
BG Bernward Gesang, Kusterdingen
BI Bernhard Irrgang, Dresden
BK Bernd Kleimann, Tübingen
BKO Boris Kositzke, Tübingen
BL Burkhard Liebsch, Bochum
BR Boris Rähme, Berlin
BS Berthold Suchan, Gießen
BZ Bernhard Zimmermann, Freiburg
CA Claudia Albert, Berlin
CH Cornelia Haas, Würzburg
CHA Christoph Asmuth, Berlin
CHR Christa Runtenberg, Münster
CI Christian Iber, Berlin
CJ Christoph Jäger, Leipzig
CK Christian Kanzian, Innsbruck
CL Cornelia Liesenfeld, Augsburg
CLK Clemens Kauffmann, Lappersdorf
CM Claudius Müller, Nehren
CO Clemens Ottmers, Tübingen
CP Cristina de la Puente, Stuttgart
CS Christian Schröer, Augsburg
CSE Clemens Sedmak, Innsbruck
CT Christian Tewes, Jena
CZ Christian Zeuch, Münster
DG Dorothea Günther, Würzburg
DGR Dorit Grugel, Münster
DH Detlef Horster, Hannover
DHB Daniela Hoff-Bergmann, Bremen
DIK Dietmar Köveker, Frankfurt a.M.
DK Dominic Kaegi, Luzern
DKÖ Dietmar Köhler, Witten
DL Dorothea Lüddeckens, Zürich
DP Dominik Perler, Berlin
DR Dane Ratliff, Würzburg und Austin/Texas
EE Eva Elm, Berlin
EJ Eva Jelden, Berlin
EF Elisabeth Fink, Berlin
EM Ekkehard Martens, Hamburg
ER Eberhard Rüddenklau, Staufenberg
EWG Eckard Wolz-Gottwald, Davensberg
EWL Elisabeth Weisser-Lohmann, Bochum
FBS Franz-Bernhard Stammkötter, Bochum
FG Frank Grunert, Basel
FPB Franz-Peter Burkard, Würzburg
FW Fabian Wittreck, Münster
GK Georg Kneer, Leipzig
GKB Gudrun Kühne-Bertram, Ochtrup
GL Georg Lohmann, Magdeburg
GM Georg Mildenberger, Tübingen
GME Günther Mensching, Hannover
GMO Georg Mohr, Bremen
GN Guido Naschert, Tübingen
GOS Gottfried Schwitzgebel, Mainz
GS Georg Scherer, Oberhausen
GSO Gianfranco Soldati, Tübingen
HB Harald Berger, Graz
HD Horst Dreier, Würzburg
HDH Han-Ding Hong, Düsseldorf
HG Helmut Glück, Bamberg
HGR Horst Gronke, Berlin
HL Hilge Landweer, Berlin
HND Herta Nagl-Docekal, Wien
HPS Helke Pankin-Schappert, Mainz
HS Herbert Schnädelbach, Berlin
IR Ines Riemer, Hamburg
JA Johann S. Ach, Münster
JC Jürgen Court, Köln
JH Jörg Hardy, Münster
JHI Jens Hinkmann, Bad Tölz
JK Jörg Klawitter, Würzburg
JM Jörg F. Maas, Hannover
JOP Jeff Owen Prudhomme, Macon/Georgia
JP Jörg Pannier, Münster
JPB Jens Peter Brune
JQ Josef Quitterer, Innsbruck
JR Josef Rauscher, Mainz
JRO Johannes Rohbeck, Dresden
JS Joachim Söder, Bonn
JSC Jörg Schmidt, München
JV Jürgen Villers, Aachen
KDZ Klaus-Dieter Zacher, Berlin
KE Klaus Eck, Würzburg
KG Kerstin Gevatter, Bochum
KH Kai-Uwe Hellmann, Berlin
KHG Karl-Heinz Gerschmann, Münster
KHL Karl-Heinz Lembeck, Würzburg
KJG Klaus-Jürgen Grün, Frankfurt a.M.
KK Klaus Kahnert, Bochum
KRL Karl-Reinhard Lohmann, Witten
KS Kathrin Schulz, Würzburg
KSH Klaus Sachs-Hombach, Magdeburg
LG Lutz Geldsetzer, Düsseldorf
LR Leonhard Richter, Würzburg
MA Mauro Antonelli, Graz
MB Martin Beisler, Gerbrunn
MBI Marcus Birke, Münster
MBO Marco Bonato, Tübingen
MD Max Deeg, Cardiff
MDB Matthias Bloch, Bochum
ME Michael Esfeld, Münster
MFM Martin F. Meyer, Koblenz/Landau
MK Matthias Kunz, München
MKL Martin Kleinsorge, Aachen
MKO Mathias Koßler, Mainz
ML Mark Lekarew, Berlin
MLE Michael Leibold, Würzburg
MM Matthias Maring, Karlsruhe
MN Marcel Niquet, Frankfurt a.M.
MQ Michael Quante, Köln
MR Mathias Richter, Berlin
MRM Marie-Luise Raters-Mohr, Potsdam
MS Manfred Stöckler, Bremen
MSI Mark Siebel, Hamburg
MSP Michael Spang, Ellwangen
MSU Martin Suhr, Hamburg
MW Markus Willaschek, Münster
MWÖ Matthias Wörther, München
NM Norbert Meuter, Berlin
OB Oliver Baum, Bochum
OFS Orrin F. Summerell, Bochum
PE Peter Eisenhardt, Frankfurt a.M.
PCL Peter Ch. Lang, Frankfurt a.M.
PK Peter Kunzmann, Jena
PN Peter Nitschke, Vechta
PP Peter Prechtl †
RD Ruth Dommaschk, Würzburg
RDÜ Renate Dürr, Karlsruhe
RE Rolf Elberfeld, Hildesheim
REW Ruth Ewertowski, Stuttgart
RH Reiner Hedrich, Gießen
RHI Reinhard Hiltscher, Stegaurach
RK Reinhard Kottmann, Münster
RL Rudolf Lüthe, Koblenz
RLA Rolf-Jürgen Lachmann, Berlin
RM Reinhard Mehring, Berlin
RP Roland Popp, Bremen
RS Regina Srowig, Würzburg
RTH Robert Theis, Strassen
RW Raymund Weyers, Köln
SD Steffen Dietzsch, Berlin
SIK Simone Koch, Bochum
SP Stephan Pohl, Dresden
SZ Snjezana Zoric, Würzburg
TB Thomas Bausch, Berlin
TBL Thomas Blume, Dresden
TF Thomas Friedrich, Mannheim
TG Thomas Grundmann, Köln
TH Thomas Hammer, Frankfurt a.M.
TK Thomas Kisser, München
TM Thomas Mormann, Unterhaching
TN Thomas Noetzel, Marburg
TP Tony Pacyna, Jena
TW Thomas Welt, Bochum
UB Ulrich Baltzer, München
UT Udo Tietz, Berlin
UM Ulrich Metschl, München/Leonberg
VG Volker Gerhardt, Berlin
VM Verena Mayer, München
VP Veit Pittioni, Innsbruck
VR Virginie Riant, Vechta
WAM Walter Mesch, Heidelberg
WB Wilhelm Baumgartner, Würzburg
WH Wolfram Hinzen, Bern
WJ Werner Jung, Duisburg
WK Wulf Kellerwessel, Aachen
WL Winfried Löffler, Innsbruck
WM Wolfgang Meckel, Butzbach
WN Wolfgang Neuser, Kaiserslautern
WP Wolfgang Pleger, Cochem/Dohr
WS Werner Schüßler, Trier
WST Wolfgang Struck, Erfurt
WSU Wolfgang Schulz, Tübingen
WvH Wolfram von Heynitz, Weiburg

Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.