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Metzler Lexikon Philosophie: Schicksal

Einwirkung auf das Leben des Menschen, die außerhalb seiner Verfügungsgewalt liegt. Die Schicksal-Idee ist älter als die Philosophie. Die griech. Epiker und Dramatiker begreifen das Sch. als blinde Macht (tyche, lat. fortuna) oder als Los (moira), die frühen Naturphilosophen (Thales, Anaximander, Heraklit) fassten Naturgesetze als Sch. auf (Heimarmene, Ananke). In der Stoa, wo die Vorstellung an Präzision gewinnt, wird Sch. mit dem Weltlogos oder dem alldurchdringenden Pneuma gleichgesetzt, das das individuelle Geschehen mit dem kosmischen verknüpft. Dieser Kausaldeterminismus wirft das ethische Problem der Willensfreiheit und Verantwortlichkeit sowie das theologische der Vorsehung (pronoia, lat. providentia) auf, die die christlichen Schicksalsdiskussionen bis in die Neuzeit beeinflussten, wobei sowohl die Kirchenväter als auch Boethius u. a. auf Erklärungsmuster des Mittel- und Neuplatonismus zurückgreifen. Nachdem der Begriff in der Neuzeit zum Teil bewusst vermieden wurde – Kant will ihn aus dem philosophischen Vokabular gestrichen sehen – erfährt er im Dt. Idealismus eine Verlagerung ins Innere des Menschen (Hegel) und wird zu einem geschichtsphilosophischen Begriff (u. a. Schelling und Hölderlin). Beide Tendenzen beeinflussen die Schicksalsvorstellungen des 20. Jh. Die Remythisierung des Schicksal-Begriffs zwischen den beiden Weltkriegen, so u. a. bei Spengler und Heidegger, führte jedoch in der Folgezeit zu seiner Abwertung. – Unter religiösem Gesichtspunkt wandelt sich die Schicksalsvorstellung in den Begriff der göttlichen Prädestination, unter naturwissenschaftlichem tritt der Begriff der Determination an die Stelle von Sch., ohne dass dieses als subjektive Erfahrung verschwinden würde. Zur Schicksalsthematik gehört wesentlich und unabhängig von der spezifischen Begrifflichkeit das Ineinandergreifen von Selbst- und Fremdbestimmung, das in seiner Spannweite in zwei extreme Richtungen ausschlagen kann: Entweder ist alles Sch. im Sinne der Fremdbestimmung und der Mensch damit auch der Verantwortung entzogen, oder aber das sog. Sch. ist die unerkannte, aber natürliche Folge individueller Taten und Anschauungen, ist nicht der Gegenspieler, sondern das Resultat der jeweiligen Absichten.

Literatur:

  • A. Dihle: Die Schicksalslehren der Philosophie in der Alten Kirche. In: J. Wiesner (Hg.): Aristoteles. Werk und Wirkung. Berlin 1987. 2. S. 52–71
  • J. C. Frakes: The Fate of Fortune in the Early Middle Ages. Leiden 1988
  • W. C. Greene: Moira, Fate, Good, and Evil in Greek Thought. New York 1963
  • Ch. Graf von Krockow: Die Entscheidung. Eine Untersuchung über E. Jünger, C. Schmitt, M. Heidegger. Stuttgart 1958
  • M. Landmann: Eine Lanze für das Schicksal. In: Ders.: Das Ende des Individuums. Stuttgart 1971. S. 208–214
  • O. Marquard: Ende des Schicksals? (1977). In: Ders.: Abschied vom Prinzipiellen. Stuttgart 1981. M. E. Reesor: Necessity and Fate in Stoic Philosophy. In: J. M. Rist (Hg.): The Stoics. Berkeley 1978
  • U. Sonnemann: Negative Anthropologie. Vorstudien zur Sabotage des Schicksals. Hamburg 1969
  • R. Schulthess: Ich, Freiheit, Schicksal. Tübingen 1959
  • Schicksal? Grenzen der Machbarkeit. Ein Symposion. München 1977.

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Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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