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'Kein Patent auf Leben'; ein Schlagwort und seine Hintergründe


Die Schweizer werden in diesem Sommer über eine Volksinitiative abstimmen, die ein striktes Verbot aller Patente auf gentechnische Erfindungen in der Verfassung verankern soll. "Kein Patent auf Leben" ist eine griffige Formel, aber nur scheinbar ein klares politisches Ziel.
Der Widerstand der Öffentlichkeit gegen die Patentierung könnte die Entwicklung und Anwendung der Gentechnik in einem Land, das nicht supranationale Regelungen wie die der Europäischen Union zu berücksichtigen hat, hemmen und beschränken; das mag genügen, die Oppositionsfront zu einigen. Betrachtet man jedoch die in der Schweiz wie auch anderwärts vorgebrachten Argumente genauer, zeigen sich Risse und Widersprüche. Patente werden nämlich einerseits abgelehnt, weil sie Symbol und Instrument der Durchsetzung der Gentechnik sind, andererseits, weil befürchtet wird, daß sie gerade diese Durchsetzung behindern und vor allem die ärmeren Länder von der Nutzung ausschließen.
Das Argument, gentechnische Patente seien schlechthin sittenwidrig, appelliert an die moralische Intuition aller billig und gerecht Denkenden: Wir schulden dem Leben Respekt, der eine beliebige Instrumentalisierung und Kommerzialisierung nicht zuläßt. Mit diesem Appell kann man auf gesellschaftlichen Konsens rechnen, wenn es um menschliches Leben und um höhere Tiere geht.
Allerdings enthält dieser Konsens differenzierte moralische Wertungen. So darf man mit menschlichen Organen nicht Handel treiben, wohl aber unter anderem mit den Bestandteilen des menschlichen Blutes. Höhere Tiere darf man wie Sachen verkaufen, töten jedoch nur für einen legitimen Zweck. Auch ihre gentechnische Veränderung wird einer besonderen Rechtfertigung bedürfen, zumindest dann, wenn sie das Tier verletzt oder quält; gerechtfertigt wird die Maus, der für die medizinische Forschung ein menschliches Krebsgen eingebaut und die als erstes Tier in den USA patentiert wurde. Sofern gentechnische Verfahren und Produkte sittenwidrige Eingriffe in das Leben darstellen, sind sie auch nicht patentfähig. Ob aber die Patentierung an sich schon ein sittenwidriger Vorgang ist oder nicht – diese Entscheidung wird man davon abhängig machen müssen, ob sie dem in der Gesellschaft akzeptierten Grad der Instrumentalisierung des Lebens etwas hinzufügt. Das ist in jedem Einzelfall zu prüfen und kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden.
Schwieriger wird es, wenn jene, die Respekt vor der Würde der Kreatur fordern, auch Pflanzen und Mikroorganismen einbezogen haben wollen. Darüber gibt es keinen Konsens. Über die Frage, ob gentechnische Veränderungen an solchen Lebewesen moralisch unzulässige Eingriffe in die Natur seien, zerfällt die moderne Gesellschaft gewissermaßen in Gläubige und Ungläubige. Das allein schließt schon die Berufung auf Sittenwidrigkeit aus. Zwar steht es jedem einzelnen frei, sich persönlich zu besonders strengen moralischen Kriterien zu bekennen – so wie es ihm freisteht, sich aus Prinzip vegetarisch zu ernähren. Aber dann vertritt er eine Sondermoral, deren gesamtgesellschaftliche Geltung er nicht reklamieren kann.
Allgemein muß man damit rechnen, daß die moralische Emphase politisch ins Leere läuft, wenn sie inkonsistente Wertungen (man könnte auch sagen: Doppelmoral) produziert. Es ist wenig plausibel, Patente auf Pflanzen als eine sittenwidrige Instrumentalisierung des Lebens zu brandmarken, hingegen andere gewerbliche Schutzrechte ohne weiteres zu akzeptieren – etwa den Sortenschutz, der dem Züchter ebenfalls eine privilegierte Verfügung über die von ihm hergestellten Pflanzen einräumt. Und kann man wirklich die Patentierung von DNA-Abschnitten, die aus menschlichen Zellen isoliert worden sind, moralisch ächten, wenn die Gesellschaft – vor allem in der Erwartung neuartiger Heilmittel und medizinischer Verfahren – zugleich wünscht, erlaubt oder doch billigend in Kauf nimmt, daß mit solchem molekularen Material in der Forschung wie mit jeder anderen Chemikalie experimentiert wird?
Eine gänzlich andere Stoßrichtung hat die Argumentation der Gegner von Biopatenten, die argwöhnen, daß ein solcher Rechtsschutz Monopole schaffe. Monopole blockierten die Forschung, so erklären sie, erschwerten den Züchtern die Weiterzüchtung und schnitten Landwirten das traditionelle Recht ab, ihr Erntegut wiederum als Saatgut zu verwenden – zum Anbau auf dem eigenen Land oder auch zum Verkauf an andere Bauern.
In dieser Kritik wird nicht die Gentechnik problematisiert, sondern die Machtkonzentration, die einer gerechten Teilhabe an der Gentechnik entgegensteht. Exemplarisch dafür ist etwa, was Achim Seiler, Sozialwissenschaftler an der Universität Frankfurt am Main, in der Zeitschrift "Wechselwirkung" vom August 1997 aus Indien berichtet: Dort habe man darauf verzichten müssen, das Gen für das Bt-Toxin (Bt steht für das Bakterium Bacillus thuringiensis, das ein Insektizid produziert) "in die eigenen Baumwollpflanzen einzubauen und damit den Einsatz teurer und schädlicher Insektizide zu verringern", weil die amerikanische Firma Monsanto ein Patent für das Gen halte und überhöhte Lizenzgebühren verlange. Auch der (vom amerikanischen und europäischen Recht akzeptierte) Einwand, daß isolierte DNA-Sequenzen ohne Darlegung der vorgesehenen technischen Verwendung nicht patentfähig sein sollten, weil sie nicht als nützliche Erfindung zählen könnten, zielt darauf, die freie Verfügung über Gene nicht vorschnell einzuschränken.
Daß in der Kampagne "Kein Patent auf Leben" die Kritiker der Gentechnik sich erklärtermaßen dagegen verwahren, daß durch gewerbliche Schutzrechte der freie Zugang zur Gentechnik verstellt und die Anwendung in der Dritten Welt verzögert wird, ist gewiß eine ironische Pointe – auch wenn der politische Hintergedanke sein mag, eine Einschränkung der Schutzrechte werde die Profitabilität der Gentechnik verringern und daher im Ergebnis die Entwicklung verzögern. Die Pointe hat jedoch eine realistische Logik. Sie stellt zumindest implizit in Rechnung, daß die Gentechnik, nachdem sie nun in fast allen Ländern mit entsprechender Risikoregulierung zugelassen ist, sich weltweit durchsetzen dürfte. Dann aber wird die Auseinandersetzung darüber, wie der Nutzen dieser Innovation ausgemünzt und gerecht verteilt werden kann, der zentrale politische Konflikt. An diesem Punkt ist moralische Emphase durchaus angebracht. Allerdings sind nicht alle von den Kritikern in diesem Zusammenhang vorgebrachten Argumente gleichermaßen stichhaltig.
Der Streit darüber, ob Patente die Entwicklung auf dem jeweils betreffenden Gebiet durch Monopolbildung bremsen oder eher durch Offenlegen von Gewerbegeheimnissen beschleunigen, ist so alt wie das Patentrecht selbst. Offensichtlich aber standen Patente der einzigartigen technologischen Dynamik kapitalistischer Gesellschaften bisher nicht im Wege.
In diesem Kontext bedeutsam ist, daß alle Patentrechte ein Forschungsprivileg anerkennen: Der Patentinhaber kann nicht verhindern, daß seine Erfindung zum Forschungsgegenstand gemacht wird mit dem Ziel, sie weiterzuentwickeln und damit im Ergebnis das Schutzrecht zu unterlaufen. Alllerdings bleibt eine Verwendung patentierter Verfahren oder Produkte in der Forschung, die nicht das Patent zum Gegenstand hat, nach üblichen Kriterien lizenzpflichtig. Die sehr umfassenden Patente, die bisweilen für Methoden der Gentechnik gewährt wurden, lassen sich freilich nicht immer in der Praxis auch durchsetzen.
Einen sogenannten Züchtervorbehalt – die Möglichkeit, fremde Pflanzensorten zur eigenen Weiterzüchtung zu verwenden – wird es auch nach Inkrafttreten der europäischen Patentrichtlinie noch geben, wenngleich nur in dem eingeschränkten Umfang, wie ihn das internationale Abkommen zum Schutz von Pflanzenzüchtungen von 1991 festlegt. Danach bleibt das Weiterzüchten von Sorten, deren genetische Distanz zur Ausgangssorte gering ist, lizenzpflichtig; das wird beispielsweise gelten, wenn ein patentiertes Gen, mit dem die Ausgangssorte versehen worden war, für die neu entwickelte Sorte wesentlich bleibt.
Auf internationaler Ebene haben sich die Entwicklungsländer vehement für eine stärkere Privilegierung der Weiterzüchtung und damit für eine entsprechend schwächere Rechtsstellung der Patentinhaber eingesetzt. Sie werden damit jedoch kaum Erfolg haben. Zwar sieht das Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums, dem die Entwicklungsländer im Rahmen der Welthandelsorganisation beigetreten sind, zu diesem Punkt weitere Verhandlungen vor und überläßt formal die Ausgestaltung der Schutzrechte der nationalen Gesetzgebung. Aber die Verhandlungsposition der Entwicklungländer ist schwach; und wie die realen Machtverhältnisse im Welthandelssystem nun einmal sind, nützt die Berufung auf nationale Souveränität wenig. Letztlich ist damit zu rechnen, daß die Industrieländer einen weitreichenden Patentschutz für biotechnische Verfahren und Produkte durchsetzen werden.
Die Situation der Entwicklungsländer ist auch nach der Verabschiedung der UN-Konvention über die biologische Vielfalt nicht viel besser. Um in den Genuß des darin zugesagten Transfers moderner Biotechnologie zu kommen, müssen die Erfinderschutzrechte für die transferierte Technik in vollem Umfang anerkannt werden.
Ob das Patentrecht, wie von den Kritikern behauptet, das Landwirte-Privileg aushebeln wird, ist offen. In Europa werden für Pflanzensorten auch weiterhin die Bestimmungen des Abkommens zum Schutz von Pflanzenzüchtungen von 1991 gelten. Diese privilegieren Kleinlandwirte, indem sie die lizenzfreie Wiederaussaat von bis zu 20 Tonnen des Ernteguts im Nachbau zulassen; bei größeren Mengen werden allenfalls 50 Prozent der Lizenzgebühr fällig. Hingegen ist ausgeschlossen, das Erntegut kommerziell zu verwerten: Der Bauer darf es nicht als Saatgut verkaufen.
Was die Entwicklungsländer unter Bedingungen des Abkommens zu Rechten an geistigem Eigentum durch jeweils nationale Regelung für ihre Landwirte durchzusetzen vermögen bleibt abzuwarten. Formal könnten sie liberaler verfahren und etwa den Kleinhandel mit Saatgut im Nachbarschaftsbereich von der Lizenzpflicht befreien. Auch hier ist aber damit zu rechnen, daß Regelungen, die den Patentschutz erheblich entwerten, am Widerstand der Industrieländer scheitern werden; diese können mit dem Entzug von Handelsvorteilen drohen.
Abgesehen von der Diskussion über diese Details, die zum Teil nicht abschließend geregelt sind, bleibt festzuhalten, daß die weltweite Durchsetzung und Harmonisierung der Patentierung biotechnischer Erfindungen formale Gleichheit herstellt, nicht materielle Gerechtigkeit: Eine Gleichbehandlung von Schwachen und Starken begünstigt die Starken.
Für die Industrieländer mag es schlichtweg eine Forderung der Fairness sein, daß nicht jemand in einem anderen Land sich kostenlos Erfindungen, die auf hohem Forschungsaufwand beruhen, aneignen und dann weltweit verwerten darf. Die Entwicklungsländer sehen in solcher Nutzung weniger einen Akt der Piraterie als vielmehr die Inanspruchnahme einer entwicklungspolitisch gerechtfertigten Vorleistung der Industrienationen, die auf diese Weise einen für alle Welt verfügbaren technischen Forschritt gewissermaßen subventionieren sollten.
Diese Unterstützung wird jetzt gestrichen. Den Technologietransfer, den die Konvention für biologische Vielfalt vorsieht, müssen die Entwicklungsländer bezahlen – dadurch, daß sie Zugangsrecht zu ihren eigenen genetischen Ressourcen gewähren: zu Wildformen von Nutzpflanzen und Nutztieren etwa oder zu Organismen, die überhaupt nur in ihren Regionen vorkommen. Man kann nur hoffen und durch die Sensibilisierung einer internationalen kritischen Öffentlichkeit darauf dringen, daß es den Entwicklungsländern gelingt, dafür angemessene Preise durchzusetzen. Denn sie müssen damit rechnen, daß sie in Zukunft biotechnologische Erfindungen, die in den Industrieländern mit Hilfe dieser Ressourcen gemacht werden, nur noch gegen Lizenzgebühren nutzen können.
Es mag zutreffen, daß die Probleme der Gerechtigkeit im Welthandel nicht nennenswert davon berührt werden, ob Patente weltweit gelten oder nicht. Von den Lücken des Patentschutzes haben in der Vergangenheit Schwellenländer wie Korea, Brasilien und China profitiert, aber kaum die wirklich bedürftigen Länder. Diese haben auch keinen erkennbaren Nutzen daraus ziehen können, daß biotechnische Erfindungen bis heute nicht weltweit geschützt sind. Trotzdem bleibt es ein Verdienst der Kritik am internationalen Patentsystem, dessen Defizite an globaler Solidarität aufgezeigt zu haben. Wenn es nicht gelingt, Kriterien der Verteilungsgerechtigkeit mit zu berücksichtigen, werden gleiche Regeln für alle immer nur bewirken, daß denen, die haben, gegeben wird.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1998, Seite 33
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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