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News: Das zweite Gesicht

Der Tag-Nacht-Rhythmus unseres Organismus justiert sich an den Lichtintensitäten der Umgebung. Die dafür nötigen Messinstrumente liegen im Auge - und sind echte Spezialisten.
Die innere Uhr sorgt bei Pflanzen, Tieren und Menschen für einen geregelten Tagesablauf: Sie gibt den circadianen Rhythmus vor, der aktive und gemächliche Lebensphasen der Organismen sinnvoll an die Helligkeit der Tage und Dunkelheit der Nächte angleicht. Nun werden Tage auch nach dem härtesten Winter irgendwann wieder länger und die Nächte kürzer. Gute innere Uhren sollten darauf natürlich angemessen reagieren und sich an den wandelbaren Tageslichtlängen stets neu justieren können. Dazu sind die internen Zeitgeber allerdings auf externe Informationsquellen angewiesen – Photorezeptoren, die sie mit allen notwendigen Informationen über die Lichtverhältnisse der Außenwelt versorgen.

Bei vielen Wirbeltieren sind solche Photorezeptoren mit Spezialaufgabe längst entdeckt: Fische, Amphibien, Reptilien und Vögel besitzen Hautsensoren oder Sinneszellen im Inneren ihres Schädels, die ihre circadianen Zeitgeber direkt mit den erwünschten Tageslängen-Informationen versorgen. Nur Säugetiere sind da offenbar anders – vielleicht, weil sie von strikt nachtaktiven Vorfahren abstammen, entwickelte sich auch der Stellmechanismus ihrer inneren Uhren grundlegend subtiler.

Klar ist mittlerweile, dass Säugetiere wie auch der Mensch sich zur Synchronisation der inneren Uhr allein auf ihre Augen verlassen. Was logisch klingt, war dabei lange umstritten – erst vor nicht allzu langer Zeit wurde die eher skurrile anmutende Vermutung widerlegt, die gesuchten Sinneszellen wären bei Menschen etwa in der Haut der Kniekehle verborgen und würden durch Blaulicht angeregt [1]. Kürzlich zeigte sich nun, dass in den Augen von Mäusen und wohl auch Menschen durchaus eigenständige Systeme existieren, welche die Tageslänge ermitteln: Das Sehpigment Melanopsin bestimmter seltener Lichtsinneszellen des Auges ist – unabhängig von den für den gewöhnlichen Sehprozess zuständigen Stäbchen und Zapfen der Netzhaut – entscheidend an der Synchronisation der circadianen Rhythmik mitbeteiligt [2,3].

Genaueres über den Mechanismus dieses circadianen Melanopsin-Sensors entdeckten nun Wissenschaftler um Robert Lucas vom Imperial College London und Samer Hattar von der Johns Hopkins University und Kollegen von der Brown University [4]. In ihren Experimenten reagierten Mäuse ohne Melanopsin, sonst aber mit durchaus normaler Sehfähigkeit, bei sehr hohen Lichtintensitäten mit eigenartig verzögerten Pupillenreflexen. Das Melanopsin-System misst demnach, anders als andere Sehpigmente, besonders die Lichtintensität – und wäre damit, so schlussfolgern die Forscher, tatsächlich sinnvoll spezialisiert, um als Sensor der Tag-Nacht-Wechsel zu fungieren.

Ein Wissenschaftlerteam um Russell Van Gelder von der Washington University fügt diesem deutlicher werdenden Bild noch ein paar Puzzlestücke hinzu. Sie entdeckten in den Augen ihrer Versuchsmäuse ein weiteres, unabhängiges System zur Lichtintensitätsmessung [5]. Den Tieren wurden auf genetischem Wege die Cryptochrom-Sehpigmente entzogen – Pigmente, die bekanntermaßen in die Regulation der inneren Uhren von Pflanzen und Insekten eingespannt sind. Mäusen ohne Cryptochromen gerät der circadiane Rhythmus ebenso gründlich durcheinander wie solchen ohne Melanopsin. Und genau wie die Versuchstiere von Foster und Kollegen reagierten die normalsichtigen, aber cryptochromlosen Mäuse von Van Gelder nur bei sehr hohen Lichtintensitäten mit ihrer üblichen Pupillenreaktion.

Demnach bilden Melanopsin und Cryptochrome – die nicht wie die Sehpigmente der Retina-Stäbchen und -Zapfen aus Vitamin-A-, sondern aus Vitamin-B-Bestandteilen zusammengesetzt sind – ein komplexes, redundantes und durchaus eigenständiges System der Lichtmessung. Dieses operiert völlig unabhängig von dem sonstigen Sensorium, welche das Säugetier-Gehirn mit den übrigen optischen Reizen der Umgebung versorgt.

Die beteiligten Wissenschaftler vermuten nun, dass das Sensorsystem zur Regulation der inneren Uhr noch komplexer sein könnte. An konkrete Anwendungen des neuerworbenen Wissens ist demnach noch nicht zu denken – auch wenn durch Eingriffe in die Steuerung unserer inneren Uhr vielleicht einmal circadiane Rhythmusstörungen wie der Jetlag oder die Winterdepression behandelt werden könnten. Bis dahin werden die Tage aber wohl noch ein paar Mal länger und kürzer.

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