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Datenforensik: Mit KI auf Verbrecherjagd

KI-Datenforensiker Jan Schoenmakers erklärt im Interview, wie er Produktfälschern auf die Schliche kommt und kriminelle Netzwerke enttarnt.
Kommissar KI
Wie funktioniert die Verbrechensbekämpfung der Zukunft? »Kommissar KI« kommt schon jetzt in der Datenforensik zum Einsatz.

Wird ein Produkt entlang bekannter Drogenrouten transportiert, gehen beim Datenforensiker Jan Schoenmakers die roten Lämpchen an. Mit seinem Team und viel Rechenleistung kommt er regelmäßig Kriminellen auf die Schliche. Hier berichtet er im Interview von seiner Jagd auf Markenpiraten, den Möglichkeiten von KI in der Verhaltensanalyse sowie den rechtlichen und moralischen Schranken seiner Arbeit. Für »Spektrum.de« sprach Johannes Greß mit dem Datenforensiker. Das ist der erste von zwei Teilen eines Interviews. Lesen Sie hier den zweiten Teil, in dem Schoenmakers über Vertrauen und Verantwortung im Umgang mit KI spricht.

»Spektrum.de«: Durch Ihre Analysen konnten Sie aufzeigen, dass ein Unternehmen viele Mitarbeiter entließ, obwohl es das öffentlich nicht kommunizierte. Wie geht das?

Jan Schoenmakers: Unternehmen sind digital ziemlich nackt, sämtliche Handlungen hinterlassen digitale Spuren. Wenn ein Unternehmen Stellen aufbaut, dann hat es irgendwo Stellenanzeigen im Netz. Wenn es Werbung schaltet, dann kann man das nachvollziehen. Unternehmen werden von allen möglichen Leuten bewertet, Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten, auch das steht im Netz. Es ist über Daten des Onlineverkehrs nachvollziehbar, wie viele Menschen die Website des Unternehmens aufrufen, wie viele nach ihm suchen und vieles mehr. Wenn man diese Spuren automatisch liest und auswertet, gewinnt man ein realistisches Bild, wie das Unternehmen unterwegs ist.

Um die riesigen Datenmengen zu untersuchen, haben Sie Programme der künstlichen Intelligenz verwendet. Wie funktioniert das?

Analytische KI lebt in der wunderbaren Welt der Statistik, die es uns ermöglicht, aus dem Wust an Daten die Zusammenhänge zu erkennen – gerade auch die, die einem als Mensch nicht offensichtlich gewesen wären. Wir haben keinen besonders guten statistischen Sinn. Wir verfügen über Empathie, Improvisationstalent und viele weitere menschliche Stärken. Eine korrekte Einschätzung statistischer Zusammenhänge gehört nicht dazu, hier übertreffen uns Algorithmen bei Weitem. Dabei macht eine KI im Grunde nichts anderes als unser Gehirn: Wir holen Informationen in unseren Körper, wir führen sie im Gehirn zusammen, und wir transformieren sie zu etwas, was wir verstehen können. Analog dazu erhebt und integriert analytische KI Daten, findet Zusammenhänge, rechnet damit Szenarien durch und sagt am Ende: So sieht es aus, und das wird als Nächstes passieren. Das sind alles Daten, die man zusammenbringen kann, um damit beispielsweise eine Entlassungswelle aufzudecken.

Jan Schoenmakers | ist Gründer und Geschäftsführer der Analyse- und Beratungsfirma HASE & IGEL. Der KI-Experte hat Sozialwissenschaften und Marketing studiert.

Ist das legal?

Ja, zweifelsfrei. Privatpersonen sind durch die DSGVO davor geschützt, dass man beliebig Profile über sie erstellt. Und das ist auch gut so, das finde ich wichtig. Unternehmen hingegen haben keine Persönlichkeit, also auch keinen Persönlichkeitsschutz. Solange man die Marke nicht verletzt und Informationen nicht illegal beschafft, darf man von Unternehmen beliebig Profile bilden. Dementsprechend können wir messen, wie viele Stellen das Unternehmen ausschreibt. Wie verhält sich das im Vergleich zu anderen Firmen der Branche? Besuchen weniger Leute die Karriere-Website des Unternehmens? Kommen in der Berichterstattung Themen wie »baut Stellen auf« oder »baut Stellen ab« vor? Schnellen an den Standorten des Unternehmens Suchen nach neuen Jobs hoch, während das Unternehmen selbst keine Stellen anbietet?

»Uns geht es nicht um persönliche Daten, sondern wir wollen Aussagen darüber treffen, wie sich Unternehmen oder viele Menschen verhalten«

Und selbstverständlich: Wenn Leute entlassen werden, sind sie in der Regel sauer, und der eine oder andere wird diesem Ärger digital Luft machen. Uns geht es nicht um die persönlichen Daten einzelner Personen, sondern wir wollen Aussagen darüber treffen, wie sich Unternehmen oder viele Menschen verhalten, was sie an einem Ort politisch oder wirtschaftlich wollen: Lohnt sich dort Breitbandausbau? Soll ich hier eine Zahnarztpraxis aufmachen? Das sind alles legitime Anliegen, für die wir niemanden ausspionieren müssen.

Ein Teil Ihrer Arbeit ist die Jagd nach Produktfälschern. Wie darf ich mir das vorstellen?

In Zusammenarbeit mit dem Bundeswirtschaftsministerium, zwei renommierten deutschen Universitäten und mehreren Unternehmen in Deutschland und Singapur entwickeln wir ein KI-System, das die Netzwerke hinter gefälschten Industrieprodukten aufdecken kann. Wenn jemand gefälschte Komponenten für Windräder auf den Markt bringt, kann die KI erkennen, dass es sich wahrscheinlich um eine Fälschung handelt. Und sie kann ermitteln, welche Händler und Seilschaften dahinterstecken. Somit können wir Unternehmen frühzeitig warnen, dort nicht einzukaufen, und die kriminellen Netzwerke lassen sich zielsicherer ausheben. Akteure, die gefälschte Waren anbieten, sind für die Justiz hier zu Lande schwierig zu fassen. Umso wichtiger sind solche Warnsysteme.

Können Sie das genauer erklären?

Ich darf nicht alle Details verraten, weil wir damit den Fälschern zu viele Tipps geben würden, aber ein paar Dinge kann ich erzählen. Nehmen wir den Automobilzulieferer Schaeffler. Der hat in jedem Land autorisierte Händler mit entsprechenden Zertifikaten. Ein Fälscher bekommt per se kein Produktzertifikat. Deshalb kopieren solche Verbrecher die Zertifikate entweder von den Websites autorisierter Händler oder fälschen sie. Die von uns entwickelte analytische KI sucht deshalb nach Unstimmigkeiten in den Zertifikaten. Ist der Code korrekt – und gibt es ihn jeweils nur ein einziges Mal? Auch auf Unternehmensebene überprüfen unsere Algorithmen die Angaben. Steht zum Beispiel die vermeintliche Fabrik mitten in einem Wohngebiet und gehört die Handelsregisternummer in Wirklichkeit einem anderen Unternehmen?

Das reicht schon, um Fälscher zu überführen?

Wir gehen noch weiter. So beziehen wir etwa auch Zolldaten in die KI-Analyse ein. Nehmen wir beispielsweise ein Unternehmen, das in Ecuador Komponenten für Windräder anbietet. Wenn wir sehen, dass es diese Teile verkauft, aber nichts von dem angeblichen Hersteller oder einem seiner autorisierten Händler importiert – dann müssen die ja irgendwo anders herkommen. Wenn das Unternehmen dann noch entlang von Routen liefert, über die auch bekannterweise Drogen und Waffen geschmuggelt werden, dann wird es interessant. Das ist ein Indizienprozess, mit dem immer klarer wird: Da kann etwas nicht stimmen. Die Algorithmen geben somit einen Score für Verdachtsmomente, mit dem die Ampel immer tiefer rot leuchtet.

»Die Algorithmen geben einen Score für Verdachtsmomente, mit dem die Ampel immer tiefer rot leuchtet«

Wenn Sie und Ihr Team genug Indizien gesammelt haben – was passiert dann?

Wir sind ja keine Strafverfolgungsbehörde, es werden also nicht automatisch Agententeams losgeschickt. Wenn die Indizienlast hoch genug ist, wird der Nutzer des Systems – zum Beispiel jemand im Markenschutz oder in der Exportkontrolle eines Industrieunternehmens – informiert. Er wird diese Information prüfen und sie dann an die Behörden weiterleiten. Außerdem wird er mit Sicherheit seine Kollegen, Händler und Kunden warnen, mit diesem Akteur keine Geschäfte mehr zu machen. Und in der Regel wird der Nutzer juristische Schritte einleiten, die etwa dazu führen, dass Werbeplattformen wie Google oder Webshops wie Alibaba diesen Händler nicht mehr zulassen.

Was bedeutet das für die Verbrechensbekämpfung der Zukunft? Wird es dank KI weniger Wirtschaftskriminalität geben?

Das hoffen wir. Wichtig ist, dass wir hier nicht versuchen, »Predictive Crime« zu machen – also beabsichtigte Verbrechen zu erkennen, bevor sie geschehen – oder Individuen automatisch zu verfolgen. Beides finde ich aus Sicht der Bürgerrechte höchst problematisch. Was wir tun, ist, bereits geschehene Vergehen – die Fälschung von Produkten oder die Umgehung von Sanktionen – einfacher und flächendeckender aufzuzeigen. Wir liefern menschlichen Entscheidern Informationen, mit denen sie diese wirksamer bekämpfen können. Die Entscheidung bleibt beim Menschen, doch es können mehr Fälle geprüft und diese gründlicher untersucht werden. So steigt für Kriminelle die Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden, ohne dass dafür Unternehmen und Staaten mehr Personal und Mittel brauchen. So wird Verbrechen unattraktiver.

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