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Himmelsmechanik: Flusen im Schwerkraftloch

Mit immer besseren Instrumenten können Astronomen auch immer kleinere Details auseinander halten. Und das nicht nur in galaktischen Entfernungen: Richten sie die Sehhilfen vor die eigene Wohnungstür, dann zerbröselt mancher langweilige Fleck in Bruchstücke, die fesselnd vom Anfang des Hausbaus erzählen können.
Eine Planetoiden-Fantasie: Trojaner verfolgen Jupiter
Asche zu Asche, Staub zu Staub? Was uns am Ende des irdischen Lebens trösten soll, geschah schon lange vor seinen Anfängen: als sich im Sonnensystem Staub – quasi die Asche uralter Sterne – mit Staub nach und nach durch Kollisionen zu größeren und immer größeren Gesteinsbrocken verbuk. Am Ende vieler Verschmelzungen standen dann Planeten wie Erde, Mars und Venus sowie Riesen wie Jupiter und Saturn mit genug Schwerkraft, eine imposante Gashülle festzuhalten. Die frühen kreisenden, wachsenden Planeten schrubbten dann nach und nach sämtliche Partikel mit sich und putzten schließlich, per Gravitation, den einstmals extrem verstaubten Raum des Prä-Sonnensystems blitzblank.

Den ganzen Raum? Nun ja, das nicht – natürlich blieben beim planetaren Großputz, wie im richtigen Leben, ein paar Ecken übrig, in denen noch kleine und kleinste Rückstände herumschmutzen. Da wäre neben dem Asteroidengürtel zwischen Jupiter und Mars zuallererst jene Gegend weit draußen zu nennen, wo keine Planeten je aufwischten, eher schon im Gegenteil: In die Außenbezirke des Sonnensystems, den zwei sonst recht unterschiedlichen Gegenden namens Kuiper-Gürtel und Oort'sche Wolke, hat es offenbar eine Reihe von größeren und kleineren Brocken verschlagen, die von weiter innen durch die Schwerkraftschlingen der großen Planeten ins Off gewirbelt wurden.

Hier treffen sie sich mit Ursolarnebel-Materie, die schon vor der ersten Sonnenzündung weit draußen unverändert tieffror. Gelegentlich geschah auch immer schon das Umgekehrte: Ein Körper aus den Tiefen von Kuiper-Gürtel oder Oort-Wolke wird durch die Gravitation der großen äußeren Planeten aus der sonnenfernen in eine regelmäßige elliptische, zeitweise sonnenahe und je nach Herkunft kurz- oder langperiodische Bahn geschubst – der Bote aus der Ferne heißt dann Komet.

Patroclus verfolgt Jupiter auf Lagrange-Punkt L5 | Der Doppel-Planetoid Patroclus ist ein Trojaner: Er verfolgt Jupiter am Langrange-Punkt L5, einem von fünf Orten im Sonnensystem, wo sich die Schwerkraft von Sonne und Jupiter gegenseitig aufheben. Patroclus besteht aus zwei umeinander kreisende Objekten – das etwas kleinere wird wohl bald offiziell Menoetius genannt werden. Patroclus, der Freund Achilles', ist eine gegen Troja kämpfende Heldenfigur aus Homers Ilias, Menoetius dessen Vater.
War's das an Rest-Dreck? Fast – und was noch wirbelten nun Franck Marchis von der Universität von Kalifornien in Berkeley und seine Kollegen auf. Sie inspizierten de als Lagrange-Punkte oder Librationspunkte bezeichneten Gravitationsklammern auf der Bahn des Jupiters. Die Himmelsmechanik gebietet, dass sich – 60 Grad vor und hinter Jupiter auf seinem Orbit – die Anziehungskräfte von Sonne und Jupiter aufheben. In diese Schwerkraftfalle wurde demnach nicht selten Materie hinein-, nie aber wieder herausgewirbelt. Und so finden sich hier Planetoiden-Schmutzreste, die als Trojaner bezeichnet werden und von Marchis und Co nun mit bislang unerreichter Auflösung per Keck-Observatorium angeschaut wurden [1].

Zu Hilfe kam den Forschern Technik und Erfahrung – erstere in Form des neuartigen Keck II Laser Guide Star System, bei dem ein Laserstrahl Natrium-Atome der oberen Atmosphäre anregt, an denen dann exakt die gerade herrschenden Turbulenzen in der irdischen Lufthülle abgelesen werden können. Die Luftunruhe kann dann aus den Beobachtungsdaten ferner Objekte herausgerechnet werden, wodurch Bilder mit sonst nur durch Weltraumteleskope möglicher Auflösung entstehen.

Der Blick auf die Trojaneransammlung im Gravitationsloch der Jupiterbahn enthüllte nun zunächst Bekanntes genauer – etwa, dass der schon 1906 erstmals gefundene Planetoid 617 Patroclus, wie seit 2001 bekannt, tatsächlich aus zwei nahezu gleich großen Einzelbrocken besteht. Erstmals aber konnte Marchis messen, dass die beiden Körper Durchmesser von 122 und 112 Kilometern aufweisen und stets rund 680 000 Meter Abstand voneinander halten.

Eher aufgeregt berichten die Forscher aber über eine weitere Messgröße: Die mittlere Dichte der beiden, wahrscheinlich aus Kohlenstoff und wasserfreien, an organischen Moleküle reichen Silikaten bestehenden Partner beträgt nur 0,8 Gramm pro Kubikzentimeter. Sie ist damit extrem niedrig: Steinerne Mitglieder des Haupt-Asteroidengürtel kommen immer zumindest auf Werte größer eins. Das System 617 Patroclus ähnelt damit viel mehr den von weit außen kommenden Kometen. Was zumindest zwei Fragen aufwirft: Wie konnten die beiden an ihren jetzigen Aufenthaltsort gelangen? Und – wieso sind sie zu zweit?

Eine Antwort auf Frage eins hatten, bevor sie eigentlich gestellt war, schon im Sommer Alessandro Morbidelli und Kollegen vom Southwest Research Institute geliefert [2]: In ihrem Gravitationskräfte-Modell der ersten paar hundert Millionen Jahre des frühen Sonnensystems kreisten die wachsenden Gasriesen näher an der Sonne, durchpflügten dabei einen dichten Planetesimal-Partikel-Nebel und schleiften die kleineren Körper auch mit sich – bis die resultierenden Schwerkraftwechselwirkungen die Planeten mitsamt Schleppen-Resten vor knapp vier Milliarden Jahren in sonnenfernere Bahnen gezwungen haben. Dort spielten Jupiter und Saturn, in Resonanzbahnen zueinander, noch eine Zeit lang Schwerkraft-Pingpong mit den mitgeschleiften Bröckchen. Einige verließen das Sonnensystem für immer, manche sammelten sich im Kuiper-Gürtel – und einige blieben in der Jupiterbahn als Trojaner an den einzigen Punkten hängen, die dafür in Frage kamen: den Librationspunkten.

Stimmte das Szenario, dann sollten die Trojaner aber eben den frühen, weniger dichten Formen lockerer Materie ähneln, die sich im frühen Sonnensystem aus dem solaren Urnebel zu bilden begann – was durch die ersten Dichte-Messungen eines Trojaners durch Marchis' Team eben genau bestätigt wird. Der fluffige Urbrocken aus wenig zusammengebackenem Silikat-Schmutz könnte dann gut irgendwann einmal durch die enorme in Jupiternähe herrschende Gravitation in zwei Teile gerissen worden sein, meinen die Astronomen. Reste der frühen, noch unfertigen Reste unserer Planeten-Bausteine fliegen uns demnach nicht nur als Kometen durchs System – sie verstecken sich auch in ein paar unscheinbaren Gravitationslöchern.

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