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News: Fragmentarischer Verlust

Isolation ist tödlich: Wird ein zusammenhängender Lebensraum zerstückelt, beginnt für die nun auf Einzelparzellen beschränkten Arten der Kampf ums Überleben, den sie nur zu oft verlieren. Die Frage nach der Mindestgröße haben Forscher nun mit der Geschwindigkeit des Aussterbens beantwortet.
Regenwald Ecuador
Ein Stück Wald steht noch, wild und – beinahe – unberührt. Um ihn herum allerdings dehnen sich Viehweiden oder Sojafelder, erst in weiter Ferne lässt sich eine weitere Regenwaldparzelle erahnen. Während die Kühe und der Mensch hier bequem zu Fuß vorwärts kommen, ist die offene Landschaft für zahlreiche Waldbewohner eine unüberwindliche Barriere. Sie sind nun eingeschlossen in den Rest ihres ursprünglichen Lebensraumes, und viele von ihnen werden die Isolation nicht überleben – und mit ihnen werden ganze Arten in den Fragmenten aussterben.

Wie klein darf eine solche Parzelle höchstens sein, damit Naturschutzmaßnahmen erfolgreich ein Überleben der Bewohner sichern können? Mit dieser Fragestellung gründeten Wissenschaftler des brasilianischen National Institute for Amazonian Research (INPA) und des Museum of Natural History der Smithsonian Institution im Jahr 1979 das Biological Dynamics of Forest Fragments Project. 80 Kilometer nördlich von Manaus, im Regenwald Amazoniens, richteten sie elf Waldfragmente mit Größen von ein bis hundert Hektar ein. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte verfolgten sie die Entwicklung der Fauna und Flora in diesen Waldinseln – und wechselten letztlich zu der Frage: Wie schnell sterben Arten in einem Fragment aus?

Eine Antwort für die Vogelwelt liefern nun Gonçalo Ferraz und seine Kollegen. Mithilfe von bis zum Boden reichenden Netzen, die sie im Abstand von Wochen, manchmal gar Monaten immer wieder an denselben Stellen gespannt hatten, überwachten sie von 1979 bis 1993 die Artenzusammensetzung der im Unterholz lebenden Vögel. Über 21 600 Exemplare aus 164 Spezies gingen ihnen ins Netz: Damit hatten sie etwa 40 Prozent der regionalen Vogelarten erfasst. Es fehlten unter anderem typische Bewohner von offenen Flächen, Überschwemmungsgebieten und den oberen Kronenregionen.

Mit dieser Datenflut galt es nun vorsichtig umzugehen. Denn wird eine Art nicht nachgewiesen, heißt das noch lange nicht, dass sie ausgestorben ist: Sie könnte auch einfach zufällig nicht im Netz gelandet sein. Und wie perfekt war die Isolation? Schließlich hatte sich im Laufe der Jahre zwischen den Waldresten eine buschige Sekundärvegetation angesiedelt, die manchen Arten durchaus den Weg zu den vorher unerreichbaren Nachbarn wieder erleichterte. Nicht zu vergessen die unterschiedliche Anfälligkeit von Arten, auszusterben – bei manchen geht es schnell, während andere noch etliche Zeit überdauern können.

Mittels drei verschiedener statistischer Ansätze analysierten die Wissenschaftler ihre Fanglisten und kamen doch immer wieder zu verblüffend übereinstimmenden Ergebnissen. Zunächst einmal fanden sich erwartungsgemäß in den kleineren Waldresten weniger Arten als in den großen. Weiterhin zeigte sich im ersten Jahr nach der Rodung der umgebenden Flächen erst einmal ein Anstieg der Artenzahl – offensichtlich aufgrund von Einwanderern, die in den Resten Zuflucht suchten. Sie fiel dann aber schnell stark ab.

Die "Halbwertszeit" des Artenverlustes – also jener Zeitpunkt, an dem die Hälfte der Arten als ausgestorben eingestuft werden musste – hing eng mit dem Platzangebot zusammen: Sie verzehnfachte sich, sobald der zur Verfügung stehende Waldrest die tausendfache Fläche bedeckte. Konkret heißt das, Fragmente von etwa hundert Hektar verlieren bereits innerhalb von nur ein oder zwei Jahrzehnten sehr viele Arten, in größeren Waldstücken hingegen läuft der Prozess womöglich über mehrere Jahrzehnte bis hin zu einem Jahrhundert.

Dieses Ergebnis zeigt den Planern von Naturschutzmaßnahmen einmal mehr, dass ihnen bei zu kleinen Parzellen schlicht die Zeit davonläuft, denn die Hilfe von außen greift schließlich nicht sofort. Zudem benötigt auch der sprießende Sekundärwuchs einige Jahrzehnte, bis er wirklich unterstützend wirkt. Doch wird die Forderung nach ausreichenden Flächen schwierig: Sie müssten den Ergebnissen zufolge in der Größenordnung von mehr als tausend Hektar liegen – in der Realität aber sind die erhaltenen Waldparzellen in der Regel deutlich kleiner.

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