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Insektensterben: Häufige Insektenarten verschwinden übermäßig stark

Zunehmend stützen Studien, dass weltweit die Zahl an Insekten zurückgeht. Das geht offenbar auf Verluste bei häufigen Arten zurück. Ihre Bestände brechen am stärksten ein.
Ein Kleiner Fuchs genannter Schmetterling sitzt auf einer lilafarbenen Salbeiblüte. Die Flügel des Falters sind überwiegend orange mit schwarzen Flecken. Den Flügelrand zieren blaue Pünktchen. Der Körper ist braun und behaart.
Der Kleine Fuchs war bis in die 1970er und 1980er Jahre regional in Deutschland sehr häufig, doch seine Anzahl ist seitdem stark zurückgegangen.

Schmetterlinge wie der Kleine Fuchs (Aglais urticae) waren bis in die 1980er Jahre in Süddeutschland ein gängiger Anblick in Gärten und auf Wiesen. Doch seitdem hat die Zahl dieser Falter vielerorts stark abgenommen. Mit diesem Trend sind sie nicht allein: In weiten Teilen der Welt beobachten Forscher rückläufige Zahlen an Insekten. Eine Arbeit von Roel van Klink vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig und seinem Team in »Nature« bestätigt diese Entwicklung und zeigt, dass die Verluste vor allem auf den Rückgang häufiger Arten mit vielen Individuen zurückgehen und nicht nur auf dem Verschwinden seltener Spezies beruhen.

Für ihre Metaanalyse hatte die Arbeitsgruppe die Daten von mehr als 920 Standorten rund um die Erde ausgewertet, die in über 100 Studien untersucht worden waren. Dabei konzentrierten sie sich auf die langfristigen Tendenzen bei landlebenden Insekten wie Käfern, Nachtfaltern oder Heuschrecken. Meist umfassten die Untersuchungsreihen mehrere Jahrzehnte, wie eine Arbeit aus den Niederlanden, die sich seit 1959 mit Laufkäfern beschäftigt. Insgesamt bestätigten van Klink und Co den globalen Rückgang an Insekten. Gemittelt über die Studien nahm die Zahl der Sechsbeiner in den letzten Jahrzehnten um 1,5 Prozent pro Jahr ab.

Dieser Schwund geht jedoch überproportional auf den Verlust bei häufigeren Insektenarten zurück: Die Bestände der Spezies, die zu Beginn der Zeitreihen am häufigsten vorkamen, schrumpften um etwa 8 Prozent pro Jahr, während seltenere Arten weniger stark betroffen waren. Die Verluste der zuvor dominierenden Arten wurden jedoch nicht durch Zuwächse anderer Spezies ausgeglichen, was sich letztlich im kompletten Ökosystem niederschlägt: Massenhaft vorkommende Spezies sind beispielsweise eine Hauptnahrungsquelle für Vögel sowie andere Insekten fressende Tiere und erfüllen wichtige Funktionen wie Bestäubung oder Aasverwertung.

»Die Nahrungsnetze müssten sich als Reaktion auf diesen Rückgang bereits erheblich verändert haben«, sagte van Klink in einer Mitteilung. Studien zu anderen Organismen deuten dies bereits an.

Daneben beobachteten der Biologe und sein Team auch einen negativen Trend bei der Artenvielfalt, da seltene Insektenspezies natürlich ebenfalls von Verlusten betroffen sein können, was bei ihnen zumindest lokal zum Aussterben führt: Die Studie zeigt einen leichten Rückgang der Gesamtzahl der Arten um knapp 0,3 Prozent pro Jahr. Umgekehrt gelingt es regelmäßig neu eingewanderten Insektenspezies sich zu etablieren, wobei die meisten dieser Neozoen lokal selten bleiben und allenfalls zuvor ebenfalls seltene Arten ersetzen.

Nur in Ausnahmefällen schaffen es manche Zuwanderer, zum Massenphänomen zu werden. Dazu gehören beispielsweise europäische Hummeln in Südamerika oder Asiatische Marienkäfer und Asiatische Hornissen in Europa. Deren Zuwächse können die Verluste jedoch nur teilweise kompensieren, so dass insgesamt der rückläufige Trend dominiert.

Die Gründe für dieses Insektensterben sind mannigfaltig. Als eine der Hauptursachen gilt die industrialisierte Landwirtschaft, die gerade häufige Insekten direkt mit Insektiziden bekämpft. Sie wirkt sich aber ebenso indirekt aus, etwa durch Überdüngung, die wenige Pflanzenarten fördert, zu häufige Mahd, fehlende Beweidung oder durch den Verlust an Kleinhabitaten in der Landschaft wie Hecken, Brachstreifen oder Tümpeln. Betroffen sind jedoch auch Insektenarten der Wälder, die beispielsweise unter dem Mangel an Totholz leiden oder im Rahmen der Forstwirtschaft unterdrückt werden.

Der Klimawandel spielt ebenfalls eine große Rolle. Selbst in offensichtlich unberührten Tropenwäldern beobachteten Fachleute einen schleichenden Verlust an Insekten, etwa auf Puerto Rico oder in Costa Rica. Er lässt sich am ehesten mit steigenden Temperaturen und häufigeren Extremwetterlagen erklären, die den Lebensrhythmus und die Entwicklung der Arten stören und durcheinanderbringen.

Ein Forschungsteam am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena konnte 2023 nachweisen, dass erhöhte Ozonwerte in Folge der vom Menschen verursachten Luftverschmutzung die Sexualpheromone von Insekten abbauen. Sie sind als Paarungssignale allerdings immens wichtig; ihr Verlust verhindert damit also womöglich eine erfolgreiche Fortpflanzung, wie Nanji Jiang und sein Team in »Nature Communications« schreiben. Eine weitere Arbeit in »Science« bestätigt die negativen Auswirkungen von Abgasen: Oxidationsmittel wie Ozon oder das Nitratradikal (NO3-Radikal) zersetzen Duftmoleküle, mit denen Blütenpflanzen ihre Bestäuber anlocken.

Die Feldbeobachtungen und Laborexperimente des Teams um Jeremy Chan von der University of Washington in Seattle zeigten, dass das NO3-Radikal – das in vielen Regionen nachts vorherrschende Oxidationsmittel – bestimmte Duftstoffe wie Monoterpene rasch abbaut, die sonst Falter intensiv anziehen. Die Blüten seien in der Folge für die nachtaktiven Schmetterlinge kaum oder gar nicht mehr wahrnehmbar. Die Zahl ihrer Blütenbesuche sank auf den Untersuchungsflächen um 70 Prozent – mit Auswirkungen für beide Seiten: Die untersuchten Nachtkerzen bildeten um ein Drittel weniger Samen, die Insekten mussten mehr Energie für die Nahrungssuche aufwenden.

Viele dieser Einflüsse machen vor Schutzgebieten nicht Halt. Deshalb dürfte eine der Erkenntnisse aus der Studie von van Klink besonders erschreckend sein, wie sein Kollege Jonathan Chase vom iDiv zusammenfasst: »Diese Rückgänge wurden in Langzeitstudien in Gebieten beobachtet, die eigentlich weitgehend intakt geblieben sind, und nicht in Regionen, in denen es ohnehin zu einer massiven Umwandlung von Natur in Einkaufszentren oder zu Parkplätzen gekommen ist.«

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  • Quellen
Nature, 10.1038/s41586–023–06861–4, 2024Nature Communications, 10.1038/s41467–023–36534–9, 2023Science 10.1126/science.adi08, 2024

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