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Stammzelltherapie: Kein Chamäleon für alle Fälle

Stammzellen aus dem Knochenmark zirkulieren im Blut, wandern so in verschiedene Gegenden des Körpers ein und helfen dort - dank ihrer enormen Wandelbarkeit - beschädigte Gewebe zu reparieren. In den Händen von Forschern reift die mobile Einsatztruppe dann zu einer Allzweckwaffe gegen degenerative Erkrankungen. Leider scheint es nun so, als seien diese Vorstellungen zu schön, um wahr zu sein.
Fusion
Der Rummel um sie ist nicht ganz so laut wie der um ihre Geschwister, die embryonalen Stammzellen. Anders jedoch als bei diesen gilt der Gebrauch von adulten Stammzellen als ethisch unbedenklich. Deshalb lassen sich bei ihnen mögliche Therapien mit reinem Gewissen ersinnen.

Etwa derart: Aus Stammzellreservoirs des erwachsenen Körpers entnommene Zellen werden im Labor vermehrt und in krankes Gewebe verpflanzt. An Ort und Stelle wissen die zellulären Chamäleons dann von selbst, was zu tun ist. Sie verwandeln sich in den ortsansässigen Zelltypus und regenerieren so das Gewebe.

Als ertragreiche Quelle für adulte Stammzellen kommt etwa das Knochenmark in Frage. Aus diesem gehen beispielsweise die ohnehin sehr entwicklungspotenten blutbildenden Stammzellen hervor, die permanent die rund ein Dutzend Zellarten des Blutes erneuern. Experimente der vergangenen Jahre schürten die Hoffnung, dass Knochenmarkszellen aber noch mehr können.

So ersetzten Forscher das Mark von Mäusen durch Knochenmarkszellen, die auf Grund einer gentechnischen Manipulation grün fluoreszierten. Wenig später entdeckten sie im Gehirn der Tiere grün leuchtende Nervenzellen – die über den Blutstrom eintreffenden Stammzellen schienen sich sogar in Nervenzellen umwandeln zu können.

"Bei Stammzellen aus Knochenmark wurde bislang viele Studien zu optimistisch interpretiert"
(Anton Wernig)
Anton Wernig, Physiologe an der Universität Bonn, hoffte darauf, dass auch Krankheiten wie die Duchenne'sche Muskeldystrophie (DMD), die fortschreitend sämtliche Muskeln im Körper zerstört, mit den vermeintlichen Alleskönnern therapierbar sein könnten – einfach durch die Transplantation gesunden Knochenmarks. Die adulten Stammzellen sollten sich dazu in funktionstüchtige Muskelzellen entwickeln, die in der Lage sind, das bei der DMD defekte Protein Dystrophin herzustellen. Seine Arbeitsgruppe testete die Methode daher bei einem Tiermodell der Erbkrankheit [1].

Die Bonner Forscher markierten wie gewohnt die Kerne der gespendeten Knochenmarkszellen grün fluoreszierend und fanden einige Monate später tatsächlich grün leuchtende Kerne in Muskelzellen. Allerdings hatte sich der Zustand des lädierten Muskelgewebes nicht wesentlich gebessert. Als Ursache für die ausbleibende Heilwirkung identifizierten die Wissenschaftler fehlendens Dystrophin.

"Wenn überhaupt, produzierten nur wenige der Kerne Dystrophin – jedenfalls viel zu wenige, um eine Besserung des Krankheitszustandes zu bewirken", erklärt Wernig. Er vermutet, dass die Zellen zwar mit den defekten Muskelfasern verschmelzen, dort aber stumm bleiben – aus den Knochenmarkszellen geht also kein funktionsfähiges Muskelgewebe hervor.

Ganz ähnliche Befunde schildern Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Das Team um Thomas Braun experimentierte mit mesenchymalen Stammzellen (MSC). Diese lassen sich unter anderem aus Knochenmark regenerieren und bilden üblicherweise Fett-, Knorpel- und Sehnenzellen. Kultivierten die Forscher grün gefärbte MSC-Zellen gemeinsam mit schon fertigen Muskelzellen, konnten sie bald auch grün schimmernde Muskelfasern im Mikroskop betrachten [2].

Spannten sie aber eine für Zellen unpassierbare Membran durch die Kulturschale und trennten so MSC- und Muskelzellen voneinander, beobachteten sie auch keine grünen Muskelzellen. Thomas Braun schließt daraus – wie auch schon Wernig gemutmaßt hatte –, dass die adulten Stammzellen nur durch Fusion mit schon bestehenden Muskelzellen zu reifen Muskelfasern beitragen und sich nicht selbstständig umwandeln können.

Bei ihren Versuchen gelang es den Max-Planck-Wissenschaftlern zudem aufzuklären, wie die Fusion zustandekommt. Die Zellen kommunizieren dazu über Interleukine miteinander, also mit Signalmolekülen, mit denen sich ansonsten vor allem Immunzellen verständigen.

Die Bonner Wissenschaftler indes gingen der Sache auf den Grund, warum aus den Knochenmarkszellen keine funktionstüchtigen Muskelzellen hervorgingen – sie also nicht, wie es im Fachjargon heisst, transdifferenzierten. Sie entfernten dazu aus dem Erbgut der gespendeten Zellen chemische Markierungen, die Gene dauerhaft ausschalten. Daraufhin produzierten die Zellen im Muskelgewebe tatsächlich mehr Dystrophin – allerdings immer noch zu wenig. "Der Effekt war bei weitem zu gering, um damit DMD zu bekämpfen", räumt Wernig ein.

Der Haken bei den adulten Stammzellen ist also, dass sie anders als embryonale Stammzellen schon eine ganze Reihe von Genen in den Tiefschlaf versetzt haben. Wernig hat trotzdem die Hoffnung nicht aufgegeben, die schlummernden Zellkerne einmal wecken zu können.

Insgesamt dämpft er jedoch die Erwartungen an die Knochenmarksstammzellen: "Da wurden bislang viele Studien zu optimistisch interpretiert." So zweifelt er inzwischen auch an der bisherigen Erklärung der grün leuchtenden Mäuseneuronen: "Wahrscheinlich haben sich die Stammzellen nicht in neue Nervenzellen umgewandelt, sondern sind lediglich mit bereits vorhandenen Neuronen verschmolzen und sie so grün gefärbt."

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