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Immunsystem: Warum Männer stärker am Schnupfen leiden

Männer erkranken häufiger und schwerer als Frauen an Infekten. Wissenschaftler machen Unterschiede im Immunsystem dafür verantwortlich, die unter anderem von Hormonen und genetischer Disposition beeinflusst werden. Aber auch der Lebensstil spielt eine Rolle.
erkälteter Mann auf der Couch

Ist eine Erkältung im Anflug und setzt »Mann« eine Leidensmiene auf, sollte »Frau« nicht gleich genervt mit den Augen rollen. Denn: Männern machen Infekte offenbar in der Regel tatsächlich mehr zu schaffen als ihrem weiblichen Gegenüber. »Grob verallgemeinert erkranken Männer im Vergleich zu Frauen häufiger und schwerer an Infekten und sprechen auch auf Impfungen nicht so gut an«, sagt Beatrix Grubeck-Loebenstein vom Institut für Biomedizinische Alternsforschung an der Universität Innsbruck.

Zahlreiche Studien belegen die erhöhte Anfälligkeit von Männern für Infektionen mit Bakterien, Viren, Parasiten und auch für eine Sepsis, die als Folge von Infektionen auftreten kann. In Europa erkranken beispielsweise 1,3-mal mehr Männer als Frauen an einer Influenza. Mit Tuberkulosebakterien sind je nach Region weltweit bis zu dreimal mehr Männer infiziert als Frauen. Männer sterben außerdem häufiger an der Tuberkulose als infizierte Leidensgenossinnen. Das männliche Geschlecht erkrankt schwerer an Meningokokken, Pneumokokken und Infektionen mit Hepatitisviren. Ausnahmen gibt es auch. Von Keuchhusten und Diphtherie sind im Durchschnitt Frauen häufiger betroffen.

Obwohl man schon lange von der unterschiedlichen Reaktion auf Krankheitserreger bei Mann und Frau wisse, gebe es erstaunlich wenige Untersuchungen, die die Ursachen dieses Phänomens hinterfragten, schreiben Jan van Lunzen und Marcus Altfeld vom Heinrich-Pette-Institut in Hamburg im »Journal of Infectious Diseases«. Eine zentrale Rolle, da ist sich die Forscherwelt sicher, spielt das Immunsystem. Es erkennt die Pathogene und beseitigt sie, wird jedoch stark von Hormonen und Genen beeinflusst. Erste Hinweise auf eine Verbindung von Hormonen und der Immunabwehr gehen auf den italienischen Forscher Calzolari zurück. Er beobachtete bereits vor 120 Jahren, dass sich die Thymusdrüse bei Hasen nach einer Kastration vergrößert. Im Thymus reift eine wichtige Gruppe von Immunzellen, die T-Zellen, heran.

Stärkere Abwehr befördert Autoimmunerkrankungen bei Frauen

Später bemerkte man, dass das Blut von Frauen mehr Immunglobuline, insbesondere IgM-Antikörper, und auch T-Helferzellen enthält als das der Männer. Die Kehrseite der weiblichen Abwehrstärke sind Autoimmunerkrankungen, bei denen Immunzellen oder Antikörper eigenes Körpergewebe angreifen. Frauen leiden darunter deutlich häufiger als Männer. 80 Prozent der Patienten mit Hashimoto, Lupus oder Sjögren-Syndrom sind Frauen, und auch von der rheumatoiden Arthritis oder der multiplen Sklerose sind Frauen zwei- bis dreimal häufiger betroffen als Männer.

Das Immunsystem der Frau ist anpassungsfähig und sehr beweglich. Je nach Hormonlage, die während des Zyklus enorm schwankt, geht es mal mehr in Richtung Angriff oder mal mehr (unter dem Einfluss von Progesteron) in Richtung Toleranz. Das macht Sinn: Bei einer Schwangerschaft müssen Mutter und Kind gut vor einer Infektion geschützt werden. Aber die Immunabwehr darf auch nicht überaktiv sein, beziehungsweise sie muss sich tolerant verhalten: Schließlich beherbergt der mütterliche Körper über neun Monate ein Kind, das ihre Immunzellen eigentlich als »fremd« erkennen und angreifen müssten, weil es zur Hälfte mit väterlichen Merkmalen ausgestattet ist.

»Östrogen hat einen Schutzeffekt vor Infektionen und wirkt stärkend auf alle Immunzellen«Beatrix Grubeck-Loebenstein

»Alles in allem hat Östrogen einen Schutzeffekt vor Infektionen und wirkt stärkend auf alle Immunzellen«, sagt Grubeck-Loebenstein. Bei Frauen vor der Menopause setzen die Eierstöcke im Zyklus schwankend große Mengen Östrogen und Progesteron frei. Auch Männer produzieren Östrogene und Progesteron, jedoch in deutlich geringeren Mengen. Bei ihnen dominiert das in den Hoden gebildete Androgen Testosteron. Immunzellen tragen Rezeptoren für sämtliche Sexualhormone auf ihrer Oberfläche. Lagert sich Östrogen an die Immunzellen an, die Antikörper produzieren (die B-Zellen), werden diese aktiver. Ebenso erhöhen Östrogene den Output der Thymusdrüse, wodurch mehr T-Zellen ins Blut gelangen. Das Testosteron dagegen hemmt die T-Zellen-Aktivierung. Zudem reduziert es die Menge so genannter Toll-like-Rezeptoren; das sind die »Alarmglocken« der angeborenen Immunabwehr, die bei einer Bedrohung rasch anspringen.

2014 berichteten Forscher der kalifornischen Stanford University, wie effektiv die saisonale Grippeimpfung bei Männern und Frauen unterschiedlichen Alters ist. Unabhängig vom Alter enthielt das Blut der Frauen nach der Impfung mehr Antikörper gegen die Grippeviren, und auch die Menge an immunologischen Botenstoffen war bei den weiblichen Studienteilnehmern größer als bei den Männern. Je höher die Testosteronspiegel der Männer waren, desto schwächer fiel jedoch deren Antikörperantwort auf die Impfung aus. »Die Studienergebnisse sollten besonders den Männern zu denken geben, die über Supplementierung ihren Testosteronspiegel auch noch anheben wollen«, sagt Studienautor Mark Davis. Was bringt einem der schönste Bizeps, wenn man immer wieder verschnupft im Bett liegt.

Schon kleine Jungen sind anfälliger als Mädchen

Wie ein Mensch mit Infekten umgeht, hängt rein biologisch nicht nur von den Hormonen ab. Laut Maximilian Muenchhoff und Philip Goulder von der britischen University of Oxford reagieren Jungen und Mädchen schon lange vor der sexuellen Reifung unterschiedlich. Als Beispiel führen die beiden Forscher die Infektion mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus an, von dem fast jedes Kleinkind mindestens einmal im Jahr heimgesucht wird. Jungen träfe es aber bereits in den ersten zwei Lebensjahren häufiger und stärker als Mädchen, so die Wissenschaftler aus Oxford. Möglicherweise hat diese erhöhte Anfälligkeit mit der speziellen Anatomie und Physiologie der oberen Atemwege bei Jungen zu tun.

Die Geschlechter unterscheiden sich bezüglich ihrer Hormone, ihrer Anatomie und ganz grundlegend natürlich auch in ihrer genetischen Ausstattung. Frauen haben in jeder Körperzelle (also auch in jeder Immunzelle) zwei, Männer nur ein X-Chromosom. Während der Entwicklung wird in den Zellen des weiblichen Embryos jeweils eines der beiden X-Chromosomen inaktiviert. Allerdings ist dieses Abschalten nicht immer vollständig. Rund 15 Prozent der Gene auf dem zweiten X-Chromosom bleiben offenbar aktiv, und Frauen können daher vom jeweiligen Genprodukt bis zu doppelt so viel in ihren Körperzellen haben wie Männer. Auf dem X-Chromosom liegen etwa 1000 Gene, die direkt oder indirekt etwas mit der Immunabwehr zu tun haben. Dazu zählen zum Beispiel Gene, die die Information für die schon erwähnten Toll-like-Rezeptoren, die Alarmglocken der angeborenen Immunabwehr, tragen. Sabra Klein von der Johns Hopkins University in Baltimore konnte zeigen, dass weibliche Immunzellen im Laborversuch nach Kontakt mit Viren mehr Interferon ausschütten. Die Abwehrreaktion kommt daher bei Frauen offenbar besser in Gang, weil ihre Immunzellen schlichtweg mehr dieser TLR-7-Alarmglocken auf ihrer Oberfläche tragen.

Virus zwischen Blutzellen | Das Blut von Frauen enthält mehr Immunglobuline, weshalb sich Angreifer wie dieses Virus bei ihnen schwerertun als bei Männern.

Wie gut das Immunsystem funktioniert und vor Infekten schützt, hängt von vielen Einflüssen ab. Das Alter einer Person spielt eine Rolle, aber auch die Jahreszeit oder sogar die Tageszeit entscheidet darüber, wie die Immunabwehr mit potenziellen Krankheitserregern klarkommt. Umweltfaktoren, die Ernährung, das Mikrobiom, Stress, die Infektionsgeschichte eines jeden Menschen und auch seine Impffreudigkeit beeinflussen die Aktivität der Immunzellen. Trotz dieser vielen Einflüsse und interindividuellen Unterschiede sei die Geschlechtervarianz ein noch größerer, nicht zu unterschätzender Einflussfaktor, so Grubeck-Loebenstein. Natürlich gibt es Schnittmengen. »Ein Mann, der gut auf sich achtet, sich gut ernährt und geimpft ist, hat womöglich seltener und weniger heftig mit Infekten zu tun als eine Frau, die nichts für ihre Immunabwehr tut«, sagt die österreichische Forscherin.

»Für manche Kerle ist selbst das welke halbe Salatblatt auf dem fettigen Fast-Food-Burger ein Zeichen für ihre ausgewogene und gesunde Ernährung«
Zitat aus »Männerschnupfen« von Peter Buchenau und Ina Lackerbauer

Die Alternsforscherin aus Innsbruck sieht keine Notwendigkeit, Impfungen oder Impfstoffdosen geschlechtergemäß anzupassen. Laut Petter Brodin vom Karolinska-Institut in Solna, Schweden, sei es außerdem noch keinesfalls so klar, wie immer behauptet würde, dass Männer schwächer auf Impfungen reagierten. Möglicherweise verlaufe die Antikörperantwort bei Männern einfach anders als bei Frauen. Es gäbe Hinweise, so Brodin, dass Männer viel früher, nämlich schon an Tag eins nach der Impfung, einen Antikörperpeak zeigen, Frauen dagegen erst an Tag drei, was bei Messungen womöglich übersehen werde. Sabra Klein und Andrew Pekosz von der Johns Hopkins University in Baltimore plädieren dennoch für eine Anpassung der Impfpraxis. Frauen reagierten zwar besser auf Grippeimpfungen, sie litten aber auch stärker unter Nebenwirkungen. Das sei der Grund, so Klein und Pekosz, warum sie laut Umfragen im Fall einer Pandemie nicht so impfbereit wären wie Männer. »Wir sollten das Impfstoffdesign dem biologischen Geschlecht anpassen«, schreiben die amerikanischen Forscher. Denkbar wäre eine Variation der Dosis oder der Verabreichung.

»Da glaubt man endlich einen Mann gefunden zu haben, mit dem man alt wird, und dann erkältet der sich. Okay, ich such dann halt weiter«, zitiert das Buch »Männerschnupfen« von Peter Buchenau und Ina Lackerbauer eine Frau auf Partnersuche. Das Buch geht der Sache humorvoll auf den Grund und macht neben der Biologie noch einige andere Ursachen für die Infektanfälligkeit aus: »Männer entwickeln oftmals ein allgemein geringeres Bewusstsein für die eigene Gesundheit – für manche Kerle ist selbst das welke halbe Salatblatt auf dem fettigen Fast-Food-Burger ein Zeichen für ihre ausgewogene und gesunde Ernährung.« Lebensstil, Erziehung, Geschlechterrolle, Tradition – all das hat einen großen Einfluss auf Gesundheit und Krankheit der Menschen. Es macht einen Unterschied, ob jemand täglich arbeitsbedingt mit Chemikalien zu tun hat oder nicht, täglich in der U-Bahn unterwegs ist oder nicht, sich vielfältig ernährt oder nicht, und auch, ob er gewisse Hygieneregeln einhält oder nicht.

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