Direkt zum Inhalt

Mikrobiom: Wie Darm und Persönlichkeit wechselwirken

Ob wir kontaktfreudig sind, verträglich, gewissenhaft oder stressanfällig: Unser Erleben und Verhalten hängt unter anderem damit zusammen, welche Bakterien unseren Darm besiedeln.
Bauchgefühl
Umgängliche und gesellige Menschen beherbergen eine größere Vielfalt an Darmbakterien. (Symbolbild)

Der Darm ist eine Wohngemeinschaft der besonderen Art. Auf engstem Raum leben hier Tausende von Bakterienarten, die gemeinsam das Darmmikrobiom bilden. Und wie bei einer menschlichen WG beeinflusst die Zusammensetzung, wie wir uns fühlen. Schon länger ist bekannt, dass das Mikrobiom bei Depressionen eine Rolle spielt. Doch es mehren sich die Hinweise auf ein generelles Wechselspiel zwischen dem Mikrobiom auf der einen Seite und der Persönlichkeit auf der anderen.

Bislang stammen die meisten Hinweise zur Darm-Hirn-Connection aus der Forschung an Tieren. Und die begrenzte Anzahl von Studien mit Menschen konzentrierte sich auf den Zusammenhang zwischen dem Mikrobiom und psychiatrischen Erkrankungen. Sie legen nahe, dass Darmbakterien auf verschiedene Facetten der Psyche wirken. So könnten etwa bestimmte Spezies, die eine Rolle bei Entzündungsreaktionen im Körper spielen, zu Depressionen beitragen.

Wie aber sieht es bei gesunden Menschen aus? Das fragten sich Fachleute um Hyung-Lae Kim von der Ewha Womans University im koreanischen Seoul. In einer für dieses Forschungsfeld großen Studie untersuchten sie 2018 die Stuhlproben von mehr als 600 Erwachsenen und ließen sie Fragebogen zu ihrer Persönlichkeit beantworten.

Tatsächlich unterschieden sich die Mikrobiome der Versuchspersonen je nach Ausprägung der fünf großen Persönlichkeitsmerkmale (»Big Five«, siehe »Kurz erklärt«) ein wenig, und das unabhängig von anderen Einflüssen wie Alter, Geschlecht, Body-Mass-Index und Nährstoffaufnahme. Bei emotional instabilen Menschen fanden die Forscher vermehrt Gammaproteobakterien, eine Mikrobenklasse, zu der auch potenzielle Krankheitserreger zählen. Ähnlich sah es bei den weniger gewissenhaften Personen aus, außerdem verfügten diese über weniger Bakterien, die Butyrat produzieren – eine Fettsäure mit entzündungshemmenden Eigenschaften, die für die Darmgesundheit wichtig ist. Der Verdauungstrakt von verträglicheren Menschen beherbergte tendenziell eine größere Artenvielfalt, also mehr unterschiedliche Bakterien.

Geselligkeit zeigt sich im Darm

Wie lässt sich das erklären? Das Team spekuliert, dass sich die Persönlichkeit auf Ernährungsgewohnheiten und kulinarische Vorlieben auswirkt. So könnten etwa verträgliche Menschen beim Thema Ernährung eher auf guten Rat hören, daher mehr Obst und Gemüse essen und so für eine größere Mikrobenvielfalt sorgen. Da es sich um eine Querschnittsstudie handelte, ist allerdings unklar, ob die Persönlichkeit das Mikrobiom mitbestimmt oder umgekehrt die Zusammensetzung der Bakterien im Darm die Persönlichkeit beeinflusst.

In einer weiteren größeren Beobachtungsstudie von 2020 untersuchte die Biologin Katerina Johnson von der University of Oxford, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen der Häufigkeit verschiedener Darmbakterien und den Persönlichkeitsmerkmalen von gesunden Menschen. »Die Arbeit konzentrierte sich insbesondere auf Bakterientypen, die zuvor schon in Tierstudien mit dem Verhalten oder psychiatrischen Symptomen beim Menschen in Verbindung gebracht wurden«, berichtet Johnson. Sie wertete dafür Stuhlproben von 655 Personen aus, die Fragebogen zu ihrem Sozialverhalten und ihrer Persönlichkeit ausgefüllt hatten.

Ergebnis: Die Gattungen Akkermansia, Lactococcus und Oscillospira waren bei kontaktfreudigeren Personen häufiger anzutreffen, während Desulfovibrio und Sutterella bei weniger kontaktfreudigen Menschen öfter vorkamen. Das passe gut in das Bild, das andere Studien gezeichnet hätten, sagt Johnson. Hier wies man zum Beispiel bei autistischen Kindern die Gattungen Lactococcus und Oscillospira seltener und Desulfovibrio häufiger nach. Probleme im sozialen Umgang mit anderen Menschen sind ein typisches Merkmal von Autismus. »Dies deutet darauf hin, dass das Darmmikrobiom nicht nur zu den extremen Verhaltensmerkmalen bei Autismus beitragen kann, sondern ebenso zu Unterschieden im Sozialverhalten in der Allgemeinbevölkerung.«

Kurz erklärt: »Big Five«

Bei den »Big Five« handelt es sich um das Standardmodell in der Persönlichkeitsforschung. Demzufolge gibt es fünf Dimensionen der Persönlichkeit: Extraversion (versus Introversion), Neurotizismus (versus emotionale Stabilität), Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit. Die fünf Faktoren setzen sich jeweils wiederum aus mehreren spezifischeren Merkmalen zusammen. So gilt zum Beispiel als neurotisch, wer ängstlich ist, depressiv, impulsiv sowie in sozialen Situationen befangen und emotional verletzlich.

Die Studie förderte zudem zu Tage, dass Menschen mit größeren sozialen Netzwerken tendenziell ein vielfältigeres Mikrobiom hatten – ein Hinweis auf einen gesünderen Darm und allgemein bessere Gesundheit. »Das ist die erste Studie, die einen Zusammenhang zwischen Geselligkeit und Diversität des Mikrobioms beim Menschen herstellt«, sagt Johnson. Allerdings lässt auch diese Studie nicht erkennen, was Ursache und was Wirkung ist.

Laut der Biologin geht der Einfluss wahrscheinlich in beide Richtungen. »Wir wissen, dass das Mikrobiom das Gehirn und das Verhalten beeinflussen kann.« Viele Tierstudien hätten gezeigt, dass Darmbakterien unter anderem Stressreaktionen und Sozialverhalten verändern. »In Bezug auf Persönlichkeitsmerkmale ist es daher eine glaubwürdige Hypothese, dass das Mikrobiom eine ursächliche Rolle spielt.« Umgekehrt können sich Emotionen und Verhalten auf die Bakteriengesellschaft auswirken. Katerina Johnson verweist auf Untersuchungen bei Primaten: Bei ihnen fördern soziale Interaktionen die Vielfalt des Darmmikrobioms.

Der Weg von unserer Persönlichkeit und unserem Verhalten hin zum Mikrobiom sei bisher besser untersucht als der umgekehrte, sagt der Psychiater und Neurowissenschaftler Gregor Hasler von der schweizerischen Universität Freiburg. »Wer geselliger ist, kommt mehr in Kontakt mit anderen Menschen, und so wird das Mikrobiom vielfältiger.« Küssen, aber ebenso Berührungen mit den Händen führen zu einem Austausch von Bakterien, so Hasler. Das würde meist negativ gesehen – dabei könnten soziale Kontakte nicht nur krank machende Bakterien übertragen, sondern auch nützliche Keime. »Wer sozial verarmter ist, hat ein reduzierteres Mikrobiom.«

Das Gleiche gilt für Menschen, die emotional eher labil sind. Diese neurotischen Personen hätten ein weniger diverses Spektrum an Bakterien, berichtet der Psychiater. »Menschen mit hohen Neurotizismuswerten reagieren stärker auf Stress, und Stress kann die Diversität des Mikrobioms reduzieren.« Allerdings zeigt eine große australische Studie von 2022, dass das Darmmikrobiom bei Depressiven, die ebenfalls unter starkem Stress stehen, nicht reduziert ist. Insofern stellt sich die Frage, wie verlässlich die Befunde sind: Sie widersprechen sich oftmals. Doch das kann an unterschiedlichen Untersuchungsmethoden liegen. Vieles spricht dafür, dass Persönlichkeit und Verhalten die Bakteriengemeinschaft im Verdauungstrakt beeinflussen.

»Durch sozialen Austausch mit anderen Menschen wird das Mikrobiom vielfältiger«Gregor Hasler, Neurowissenschaftler

Zum Weg in die andere Richtung, bei der das Mikrobiom die Persönlichkeit beeinflusst, gab es bislang viel weniger Untersuchungen. Aber Tierstudien legen diese Einflussrichtung nahe. Beispielsweise veränderten Mäuse ihr Sozialverhalten, nachdem man ihnen den Stuhl von Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen implantiert hatte – sie vermieden dann Kontakte mit Artgenossen. Der mögliche Grund laut Gregor Hasler: Darmbakterien von autistischen Menschen stellen weniger Taurin her, ein Abbauprodukt der Aminosäuren Methionin und Cystein. Darunter leide die Entwicklung eines Botenstoffsystems, das den beruhigend wirkenden Neurotransmitter GABA ausschüttet. In der Folge sind die Tiere ängstlicher, auch was ihr Sozialverhalten angeht.

Ebenso verhalten sich die Mäuse weniger sozial, wenn man bei ihnen alle Bakterien des Darms abtötet. Die zu Grunde liegenden Mechanismen sind noch nicht geklärt. Klar ist mittlerweile jedoch, dass das Mikrobiom die Botenstoffe im Gehirn und damit unsere Gefühle beeinflusst. »Wir wissen: Milchsäurebakterien können das GABA-System im Gehirn fördern«, sagt Gregor Hasler. Das wiederum sorgt dafür, dass Menschen ruhiger und weniger ängstlich sind. Und weil sie weniger ängstlich sind, verhalten sie sich gleichzeitig sozialer. Fehlen diese speziellen Mikroben, ist es aus mit der inneren Ruhe.

Botschafter zwischen Darm und Hirn

Der Effekt der Milchsäurebakterien fällt kleiner aus, wenn man den Vagusnerv durchtrennt, wie eine Gruppe um John Cryan vom irischen University College Cork 2011 demonstrierte. Der Vagusnerv ist einer von zwölf Hirnnerven und zieht vom Gehirn bis in den Darm. Über ihn können die beiden Organe miteinander kommunizieren. »Einer anderen Theorie zufolge sorgt ein gesundes Darmmikrobiom ganz einfach dafür, dass das Immunsystem ruhiger ist, weniger reagiert«, sagt Hasler. Es würden weniger Zytokine – Botenstoffe des Immunsystems – ausgeschüttet, und das mache geselliger. Umgekehrt würde ein Anstieg der Zytokine dazu führen, dass wir uns sozial zurückziehen. »Wieder andere Forscher gehen davon aus, dass Menschen mit einem gesunden Mikrobiom mehr prosoziale Hormone ausschütten«, ergänzt Hasler.

Es gibt bereits erste Hinweise darauf, dass das Mikrobiom das Erleben gesunder Menschen unmittelbar beeinflusst. In einer kleinen randomisierten Studie aus dem Jahr 2023, ebenfalls von John Cryan, bekam eine Gruppe von Versuchspersonen normales Essen, eine andere dagegen mehr Gemüse, Obst und fermentierte Nahrung. Bei der zweiten Gruppe hatte die Ernährung nicht nur den Darmmikroben gutgetan, die Probandinnen und Probanden wurden zudem stressresistenter. Auch hier könnten Milchsäurebakterien am Werk gewesen sein. Gregor Hasler fasst zusammen: »Meist ist der Zusammenhang: mehr Diversität, weniger Stresserleben.«

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

  • Quellen

Berding, K. et al.: Feed your microbes to deal with stress: A psychobiotic diet impacts microbial stability and perceived stress in a healthy adult population. Molecular Psychiatry 28, 2023

Bravo, J. et al.: Ingestion of lactobacillus strain regulates emotional behavior and central GABA receptor expression in a mouse via the vagus nerve. PNAS 108, 2011

Johnson, K.: Gut microbiome composition and diversity are related to human personality traits. Human Microbiome Journal 15, 2020

Kim, H. et al.: Correlation between gut microbiota and personality in adults: A cross-sectional study. Brain, Behavior, and Immunity 69, 2018

Sharon, G. et al.: Human gut microbiota from autism spectrum disorder promote behavioral symptoms in mice. Cell 177, 2019

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.