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Klimawandel: Weltweit droht ein verheerendes Korallensterben

Ungewöhnlich warme Ozeane und El Niño bedrohen die wichtigsten Meeres-Ökosysteme. Im Golf von Mexiko und der Karibik könnten die Korallenriffe womöglich weitgehend absterben.
Korallenbleiche
Korallen bleichen aus, weil sie bei Hitze ihre Symbionten, farbige einzellige Algen, ausstoßen. Wird es nicht bald wieder kühler, verhungern sie buchstäblich.

Bilder von gebleichten und sterbenden Korallen sah man in den letzten Jahren immer wieder. Doch während in den meisten Jahren nur einzelne Regionen betroffen sind, droht 2023 womöglich die vierte und bisher schwerste globale Korallenbleiche. Ursache sind die aktuell hohen Wassertemperaturen in den meisten Regionen der Weltozeane, die durch das Wetterphänomen El Niño im Laufe des Jahres sogar noch steigen werden. Von Korallenriffen hängt rund ein Viertel der Biomasse in den Weltmeeren ab. Fachleute fürchten nun, dass eine Kombination von Faktoren die Korallenbleiche so lang und schwerwiegend macht, dass sich die Riffe in manchen Regionen, speziell dem tropischen Atlantik, gar nicht mehr erholen können.

»Wir sehen momentan die Entwicklung eines ›perfekten Sturms‹, bei dem mehrere Faktoren zusammenkommen«, sagt Sebastian Ferse vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) in Bremen. Neben dem Klimawandel und El Niño vermutet er eine zusätzliche Erwärmung durch den Einfluss des Vulkans Hunga Tonga-Hunga Ha'apai. Das könne womöglich ein noch extremeres globales Korallensterben auslösen als in den El-Niño-Jahren 2015 bis 2017. Damals sei zum Beispiel ein Drittel der Korallenbedeckung des Großen Barriereriffs vor Australien verloren gegangen, sagt der Forscher.

Korallen bleichen aus, wenn die Symbiose zwischen Korallen und den sie ernährenden Mikroalgen aus dem Gleichgewicht gerät. Die Korallenpolypen werfen ihre einzelligen Mitbewohner dabei buchstäblich raus oder verdauen sie sogar. Doch ohne die Algen können sie nicht dauerhaft überleben. Damit die Algen zurückkehren, müssen die Temperaturen jedoch rechtzeitig unter eine kritische Grenze fallen. Je wärmer das Wasser, desto länger dauert die Abkühlung – und desto höher ist der Anteil an Korallen, der durch die Bleiche abstirbt. Es gibt Anzeichen dafür, dass die Bleiche in einigen Regionen schon jetzt begonnen hat. Ein so früher Beginn spricht für lang anhaltende Wärme.

Bereits akut gefährdet sind die Korallen im Golf von Mexiko und der Karibik. Dort liegen die Temperaturen stellenweise schon jetzt bei über 30 Grad, zwei bis drei Grad mehr als normal. Und das ist wohl erst der Anfang: »Wenn dann noch El Niño dazukommt, dann kann das zu extremen Wassertemperaturen von 35 oder 36 Grad führen«, erklärt Christian Wild, Leiter der Arbeitsgruppe Marine Ökologie an der Universität Bremen gegenüber dem Science Media Center. »Die aktuelle Extremsituation wird also mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Massenbleiche mit anschließender Mortalität führen, denn die Wassertemperaturen sind so hoch, dass es lange dauern wird, bis sie wieder gefallen sind.« Er rechne deswegen damit, dass die Bleiche in der Region noch extremer wird als im bisherigen Rekordjahr 2005. Damals seien 80 Prozent der Korallen ausgeblichen, die Hälfte davon sei später abgestorben, sagt Wild.

Langfristig hilft nur Klimaschutz

Warum die Korallen bei hohen Temperaturen ihre Leben spendenden Partner rauswerfen und sich so in akute Gefahr bringen, ist bis heute rätselhaft. Fachleute vermuten einerseits, dass der Fotosyntheseapparat der Algen bei Hitze sehr aggressive Moleküle produziert, die reaktiven Sauerstoffspezies, vor denen sich die Korallen schützen. Andererseits deuten andere Messungen darauf hin, dass die Algen bei hohen Temperaturen aktiv aufhören, Nährstoffe mit ihren Wirtskorallen zu teilen – sie werden zu Parasiten und damit untragbar. »Im Prinzip können sich Korallen von einer Bleiche erholen und wieder Algen aufnehmen, wenn die Wassertemperaturen wieder fallen«, erklärt Wild. Doch das dauere umso länger, je wärmer das Wasser ist.

Im Jahr 2023 kommt hinzu, dass die Ozeane schon sehr früh im Jahr sehr warm sind und ein beträchtlicher Teil der Riffe bereits vorgeschädigt ist. Und das eben nicht nur durch frühere Bleichen, sondern auch durch Nährstoffe und Sedimente, Schadstoffe, Abwasser und andere menschliche Einflüsse. Solche schädigenden Stressfaktoren zu reduzieren, erlaubt den Korallen, mehr Energie auf den Umgang mit der Hitze zu konzentrieren. Langfristig könnten konsequente Schutzmaßnahmen sowie gezielte Zucht- und Wiederansiedlungsprogramme hitzetoleranter Arten den Riffen lediglich ein paar Jahrzehnte Zeit verschaffen, sagt Wild. »Wenn es uns aber nicht gelingt, den Klimawandel so schnell wie möglich wirksam in den Griff zu bekommen, dann werden auch diese aufwändigen Ansätze nicht nachhaltig helfen können.«

Das bestätigt Sebastian Ferse – eine andere Rettung gibt es für die Riffe nicht. »Langfristig werden Riffe nicht mit den zunehmenden Meerestemperaturen umgehen können.« Der Weg in kühlere Regionen sei versperrt, weil der Kalziumkarbonatgehalt des Wassers außerhalb der Tropen zu niedrig sei – außerdem sei der Klimawandel viel schneller, als die Korallen neue Regionen besiedeln könnten. Auch in Ansätzen wie der Aufforstung mit Setzlingen und der Zucht hitzetoleranter Arten für eine Wiederbesiedlung der Riffe sieht der Forscher ohne den konsequenten Schutz existierender Riffe wenig Perspektiven. »Das wäre ungefähr so, als würde man den Amazonasregenwald nach seinem Abbrennen mit einer Hand voll Setzlinge einiger weniger Baumarten von Hand wieder aufforsten wollen.«

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