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Coronavirus: Verbreiten Kinder das Coronavirus wie Erwachsene?

Infizierte Kinder könnten ähnlich infektiös sein wie Erwachsene. Das zeigen neue Daten des Virologen Christian Drosten und Kollegen. Die Ergebnisse reichen aber nicht, um zu entscheiden, ob Kitas langfristig geschlossen bleiben sollten. Entscheidende Fragen sind noch unbeantwortet.
Wie ansteckend sind Kinder, die keine Symptome haben?

Die aktuellen Ergebnisse der Forscher aus Berlin sind bedeutsam. Immerhin haben Kindertagesstätten und Schulen bundesweit seit nunmehr über sechs Wochen geschlossen. Eltern ächzen unter der Doppelbelastung von Homeoffice und Bespaßung beziehungsweise Beschulung. Gerade haben sich die Familienminister der Länder für einen Wiedereinstieg in die Kita-Betreuung in vier Phasen ausgesprochen. Am 6. Mai soll wollen Bund und Länder über den konkreten Weg in die viel beschworene »neue Normalität« während der Corona-Pandemie entscheiden.

Allerdings sind noch immer entscheidende Fragen über die Natur des neuen Coronavirus Sars-Cov-2 und seiner Verbreitungsdynamik unbeantwortet. Reichen eine Maskenpflicht und ein Abstandsgebot, um die Reproduktionszahl R dauerhaft unter 1 zu halten? Wann kommt die Corona-App? Und welche Bedeutung haben Infektionen unter Kindern für die Verbreitung des Virus? Davon wird es letztlich abhängen, wie schnell für alle Menschen mit schulpflichtigen oder Kitakindern eine gewisse Normalität im Alltagsleben zurückkehren kann.

Die jüngst veröffentlichte Preprint-Studie von Forscherinnen und Forschern der Berliner Charité bietet eine Teilantwort. Der Virologe Christian Drosten und seine Kollegen trugen für ihre bisher nicht begutachtete Arbeit die Test-Daten von insgesamt 3712 an der Charité und am »Labor Berlin« positiv auf Sars-Cov-2 getesteten Patienten zusammen. Dann schätzten sie für jeden Patienten aus einer Kennzahl des PCR-Tests (dem Ct-Wert) die ungefähre Viruslast im Rachen zum Zeitpunkt des Abstrichs. Anschließend teilten sie die Patienten in Altersgruppen ein und verglichen die mittlere Viruslast zwischen den Gruppen. Die paarweise Varianz-Analyse mit drei statistischen Methoden ergab, dass sich die Viruslast zwischen den Gruppen nicht nachweisbar unterscheidet — positiv getestete Kinder haben demnach die gleiche Viruslast im Rachen wie alle anderen positiv getesteten und könnte daher auch genauso infektiös sein.

Die Zahl der entscheidenden Probanden ist recht gering

In den Daten des Charité-Teams fällt eines aber sofort auf. Von den 3712 PCR-Datensätzen kamen nur 127 von Kindern und Jugendlichen zwischen 0 und 19. Nur rund 4 Prozent der von den beiden Berliner Laboren positiv getesteten stammen also aus dieser Altersgruppe. Zum Vergleich: nach dem Berliner Zensus von 2018 sind rund 16 Prozent der Bevölkerung zwischen 0 und 18 Jahre alt. Die Zahlen des RKI für ganz Deutschland zeigen ein vergleichbares Muster. Im Covid-19-Lagebericht vom 30. März sind für die Altersgruppe 0 bis 19 Jahre nur 5,9 Prozent aller Covid-19-Fälle verzeichnet. Dabei sind laut Statistischem Bundesamt 18,4 Prozent der Menschen in Deutschland jünger als 20 Jahre.

Wie viele Menschen haben sich neu angesteckt? | Die »Sieben-Tage-Inzidenz« gibt an, wie viele Neuinfektionen es in den letzten 7 Tagen pro 100.000 Einwohner gab. Stecken sich zu viele Menschen an, sollen die Landkreise Schutzmaßnahmen ergreifen.

Der Grund für diese Unterrepräsentation bei Covid-19 Fällen könnte sein, dass Kinder und Jugendliche nach einer Infektion häufig nur milde oder sogar gar keine Krankheitszeichen zeigen. So berichtete eine Studie im Journal »Lancet Infectious Diseases« vom 25. März, dass von 36 Kindern aus Wuhan zwischen 0 und 16 Jahren fast die Hälfte milde oder keine Symptome hatten. Das Muster — Kinder erkranken meist mild an Covid-19, wenn überhaupt — führt in Deutschland sehr wahrscheinlich dazu, dazu das Kita- und Schulkinder nur selten auf Sars-Cov-2 getestet werden. Die Pressestelle des RKI teilt dazu mit, dass man asymptomatische Fälle bisher in den seltensten Fällen testen würde. Umgekehrt könne man aber davon ausgehen, dass die meisten getesteten Kinder mindestens leichte Symptome hatten oder in irgendeiner Form vorerkrankt waren.

Sind Kinder mit Symptomen ebenso ansteckend wie jene ohne?

Was bedeutet das für die Interpretation der Charité-Daten? Es ist wahrscheinlich, dass die Auswahl der Kinder in der Datenbasis auf jene fiel, die nennenswerte Symptome hatten, also einen für die Altersgruppe vergleichsweise schweren Verlauf. Solche Fälle könnte man bei einer Kita- oder Schulöffnung natürlich gut erkennen, testen und dann entsprechende Maßnahmen für Kontaktpersonen einleiten. Was aber ist mit jenen, welche keine Krankheitszeichen haben? Bergen auch sie ein vergleichbares Infektions- und damit Verbreitungsrisiko?

Auch dieser Frage nähern sich die Charité-Forscher an, allerdings auf der Grundlage noch kleinerer Fallzahlen. Für 15 der 47 Kindern im Alter zwischen einem und elf Jahren war nämlich angegeben, dass sie eine Vorerkrankung hatten oder zum Zeitpunkt des Tests im Krankenhaus lagen. Diese Kinder beschreibt Drosten im NDR-Podcast als die eher symptomatische Fälle. Die anderen 32 wurden offenbar ambulant getestet und hatte keine Vorerkrankung – zumindest war keine angegeben – und seien daher tendenziell weniger symptomatisch. Ein Vergleich der Viruslast dieser beiden Gruppen zeigte ein statistisch signifikantes und zugleich merkwürdiges Resultat: die Kinder mit Vorerkrankung beziehungsweise Hospitalsierung hatten eine geringere Viruslast im Rachen als die anderen.

Drosten interpretiert das im NDR-Podcast so, dass die Kinder mit Vorerkrankung – oder Hospitalisierung –, also die symptomatischen, etwas später im Krankheitsverlauf getestet wurden und deshalb weniger Virus im Rachen hatten — aktuell wird davon ausgegangen, dass das Virus eine Woche nach Krankheitsbeginn dort nicht mehr nachweisbar ist. Man kann die Daten aber auch genau anders herum interpretieren. Nämlich so, dass diese Kinder vorsorglich früher getestet wurden, als bei ihnen erste leichte Symptome einer Atemwegserkrankung auftraten. Sie könnten also diejenigen mit den leichteren Covid-19-Symptome gewesen sein mit entsprechend weniger Erreger im Rachen. Und die vermeintlich asymptomatischen ambulanten Fälle, könnten laut RKI sogar deutliche Symptome gehabt haben.

Wie entwickelt sich die Pandemie? Welche Varianten sind warum Besorgnis erregend? Und wie wirksam sind die verfügbaren Impfstoffe? Mehr zum Thema »Wie das Coronavirus die Welt verändert« finden Sie auf unserer Schwerpunktseite. Die weltweite Berichterstattung von »Scientific American«, »Spektrum der Wissenschaft« und anderen internationalen Ausgaben haben wir zudem auf einer Seite zusammengefasst.

Es ist bei dieser Datenlage also schwer, eine Aussage darüber zu treffen, ob symptomatische und asymptomatisch infizierte Kinder das gleiche Ansteckungsrisiko darstellen. Es gibt allerdings anderen Studien, die die Annahme stützen, dass asymptomatische Infizierte mindestens so infektiös sind jene mit Symptomen.

In Baden-Württemberg läuft die Suche nach Studienteilnehmern

Nicht zuletzt aufgrund von Preprint-Daten aus der Kleinstadt Vó in Italien, rund eine Autostunde westlich von Venedig. Hier war am 21. Februar der erste italienische Patient an Covid-19 gestorben. Bald machte ein italienisch-britisches Forscherteam von der Universität Padua, des Imperial College und der Universität Oxford die Kleinstadt zum Labor für eine groß angelegte Untersuchung. Im Abstand von zwei Wochen untersuchten die Forscher Rachenabstriche von erst 85,9 Prozent und dann 71,5 Prozent der gesamten Bevölkerung. Unter den positiv getesteten hatten im Schnitt 43 Prozent keine Symptome. Wichtiger noch: die Untersuchung ergab »keinen statistisch signifikanten Unterschied in der Viruslast bei symptomatischen versus asymptomatischen Infektionen«, wie die Autoren schreiben.

Leider schlüsselt das Preprint der Studie die Ergebnisse nicht nach Alter auf. Für die Kita- und Schul-Frage wäre gerade die Kohorte zwischen 1 und 20 Jahren aber entscheidend. Eine nun in Baden-Württemberg geplante Studie könnte diese Lücke füllen. Unter Leitung des Universitätsklinikums Heidelberg sollen in den Städten Heidelberg, Freiburg, Ulm und Tübingen jeweils 500 Eltern-Kind-Paare per Rachenabstrich auf eine aktive Covid-19-Infektion und mit einem Antikörper-Bluttest auf eine überstandene Infektion getestet werden. Die Forscherinnen und Wissenschaftler wollen »die Prävalenz von Covid-19 bei Kindern von 1 bis 10 Jahren in Baden-Württemberg« feststellen — so der Titel der Studie. Teilnehmer werden per Aufruf gesucht, es wird sich bei den 2000 Kindern und 2000 Eltern also nicht um eine Zufalls-Stichprobe handeln. Die Studie hat das Potential, zu klären, wie hoch die Viruslast im Hals asymptomatischer Kitakinder tatsächlich ist. Allerdings kommen die Ergebnisse wohl zu spät, um in der aktuellen Lage relevante Entscheidungen zu treffen. Vor dem 6. Mai jedenfalls ist nicht damit zu rechnen.

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