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Corona-Schutz: Schwanger – jetzt eine Impfung?

Impfungen in der Schwangerschaft müssen sicher sein, für Mutter und Fötus. Doch Schwangere sind von Zulassungsstudien ausgeschlossen. Wie sich das Risiko trotzdem abschätzen lässt.
Schwangere bei der Impfung

Noch im Februar sprachen sich medizinische Fachgesellschaften gegen eine Corona-Schutzimpfung für schwangere Frauen aus. Nun haben sie ihre Meinung geändert: Seit Mai fordern unter anderem Gynäkologinnen und Perinatalmediziner, Schwangere bevorzugt gegen Covid-19 zu immunisieren.

Hintergrund sind neue Erkenntnisse zu schweren Verläufen bei einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus. Schwangere mit Covid-19 haben im Vergleich zu Schwangeren ohne Corona ein sechsfach erhöhtes Risiko, auf einer Intensivstation behandelt zu werden. Das ergab eine Analyse der Daten von mehr als 400 000 US-amerikanischen Müttern, die 2020 in einem Krankenhaus entbunden hatten. Ihr Risiko, beatmet werden zu müssen, war 23-mal so hoch wie das nicht infizierter Schwangerer. Auch die Wahrscheinlichkeit für Schwangerschaftskomplikationen steigt laut einer Übersichtsarbeit bei Covid-19 an, insbesondere wenn eine Frau schwer erkrankt. Als Risikofaktoren für einen schweren Verlauf gelten bestehende Krankheiten wie Diabetes und Bluthochdruck sowie Übergewicht und ein mütterliches Alter über 35 Jahre.

In mehreren Ländern werden Schwangere deshalb bereits priorisiert geimpft, darunter Österreich, die USA und Großbritannien. Die STIKO hält die Datenlage dagegen für unzureichend, um Schwangeren eine Impfung generell zu empfehlen. Nach dem Vorstoß der Fachgesellschaften passte sie ihre Hinweise nur an: Inzwischen kann nicht nur Schwangeren mit Vorerkrankungen eine Impfung angeboten werden, sondern auch werdenden Müttern mit einem erhöhten Expositionsrisiko auf Grund ihrer Lebensumstände.

Wie entwickelt sich die Pandemie? Welche Varianten sind warum Besorgnis erregend? Und wie wirksam sind die verfügbaren Impfstoffe? Mehr zum Thema »Wie das Coronavirus die Welt verändert« finden Sie auf unserer Schwerpunktseite. Die weltweite Berichterstattung von »Scientific American«, »Spektrum der Wissenschaft« und anderen internationalen Ausgaben haben wir zudem auf einer Seite zusammengefasst.

Wie Impfempfehlungen für Schwangere erarbeitet werden

»Bei der Erarbeitung einer Impfempfehlung geht die STIKO standardisiert nach einem festgelegten Verfahren vor. Das Kernstück ist die Sichtung der weltweiten Evidenz zur Sicherheit und Wirksamkeit eines Impfstoffes«, erklärt Marianne Röbl-Mathieu, niedergelassene Gynäkologin in München und Mitglied der STIKO. »Dabei stellt sich die STIKO verschiedene Fragen, zum Beispiel: Wie gut schützt der Impfstoff vor einer Infektion oder einer schweren Erkrankung? Welche Nebenwirkungen sind möglich? Wie hoch ist die Krankheitslast in Deutschland? Welche Auswirkungen hat die Infektionskrankheit im Hinblick auf Komplikationen, Krankenhausaufenthalte und mögliche Langzeitfolgen?«

Bei werdenden Müttern kommt eine weitere Überlegung hinzu: Wie gut wirkt der Impfstoff in einem schwangeren Körper? Das Immunsystem der Frau passt sich der Schwangerschaft an. Es darf das Baby nicht bekämpfen, obwohl es zur Hälfte mit väterlichen, also fremden Merkmalen ausgestattet ist. Die hormonellen Veränderungen machen Schwangere gleichzeitig anfällig für Infektionen. »Generell können Schwangere aber ähnliche Immunantworten auf Infektionen oder Impfstoffe ausbilden wie Nichtschwangere«, sagt Marianne Röbl-Mathieu. Das hätten die Erfahrungen mit vorhandenen Impfstoffen gezeigt. »Außerdem sehen wir bei Impfstoffen, die in der Schwangerschaft gegeben werden, bisher keine anderen Nebenwirkungen als bei nicht schwangeren Frauen. Schwangere reagieren durchschnittlich sogar weniger stark, zum Beispiel auf die Keuchhustenimpfung.«

Werdende Mütter sorgen sich oft weniger um sich selbst, als vielmehr um die Gesundheit ihres ungeborenen Kindes. Bevor ein Impfstoff für sie empfohlen wird, muss er auch für ihr Baby als sicher gelten. Diese Sicherheit zu schaffen, ist nicht leicht. Denn Schwangere sind von Zulassungsstudien aus ethischen Gründen ausgeschlossen.

Lebendimpfstoffe sollten in der Schwangerschaft vermieden werden

Bei der Bewertung des Risikos kommt es deshalb auch darauf an, um welchen Impfstofftyp es sich handelt. Lebendimpfstoffe enthalten veränderte Viren oder Bakterien, die bei Menschen mit einem gesunden Immunsystem zwar keine Krankheit auslösen, sich aber dennoch vermehren und auf das ungeborene Kind übergehen könnten. Um das Risiko auszuschließen, dass der Fötus durch solch eine Infektion geschädigt wird, werden Lebendimpfstoffe (zum Beispiel gegen Masern, Mumps, Röteln und Windpocken) in der Schwangerschaft nicht gegeben.

Totimpfstoffe enthalten dagegen inaktivierte Erreger oder ihre Bestandteile, die nicht nur keine Krankheit auslösen, sondern sich auch nicht mehr vermehren können. »Die STIKO hält die Impfung mit Totimpfstoffen in der Schwangerschaft für sicher«, sagt Marianne Röbl-Mathieu. Zwei Impfungen mit Totimpfstoffen werden sogar allen Schwangeren empfohlen: gegen Grippe und Keuchhusten.

Infizieren sich Frauen in der fortgeschrittenen Schwangerschaft mit dem Grippevirus, haben sie ein erhöhtes Risiko, ins Krankenhaus zu kommen und dort Früh- oder Totgeburten zu erleiden. Bei der Keuchhustenimpfung steht der Schutz des Neugeborenen im Vordergrund. Das Immunsystem der Mutter produziert als Reaktion auf die Immunisierung spezifische Antikörper, Immunglobuline genannt, um die Krankheitserreger zu bekämpfen. Immunglobuline der Klasse G (IgG) kommen am häufigsten im Blut vor. Die Mutter kann die IgG über die Plazenta an ihr ungeborenes Kind weitergeben und diesem so eine Leihimmunität schenken. Dieser so genannte Nestschutz baut sich im Fötus zunehmend auf. In den ersten Monaten nach der Geburt unterstützt die geliehene Körperabwehr der Mutter dann das unreife Immunsystem des Kindes.

Der Nestschutz ist bei Keuchhusten besonders wichtig. Denn für Neugeborene kann die Erkrankung lebensbedrohlich sein. Die USA und Großbritannien nahmen die Keuchhustenimpfung für Schwangere daher bereits 2012 in das nationale Impfprogramm auf. Deutschland zog 2020 nach. Durch ein ähnliches Vorgehen konnte die Zahl der Neugeborenen, die an einer Tetanuserkrankung starben, in den letzten Jahrzehnten deutlich verringert werden: Während 1987 noch schätzungsweise über 780 000 Babys weltweit an Tetanus starben, waren es 2010 nur noch 58 000, fast ausschließlich in Entwicklungsländern.

Tot- und Lebendimpfstoffe lassen sich also während der Schwangerschaft in sicher und unsicher unterscheiden. Im Zuge der Covid-19-Pandemie kommen jedoch neue mRNA- und Vektorimpfstoffe zum Einsatz. Sie enthalten den Bauplan für ein Eiweiß – das Spike-Protein des Coronavirus – gegen das der Körper dann eine Abwehrreaktion ausbildet. »Bei beiden handelt es sich nicht um Lebendimpfstoffe, weil mit ihnen keine Erreger verimpft werden, die sich vermehren können. Und sie können auch keine Covid-19-Infektion übertragen«, sagt Marianne Röbl-Mathieu.

Bislang keine Hinweise auf negative Folgen nach der Corona-Schutzimpfung

Erste Daten zur Sicherheit kommen aus Versuchen an trächtigen Tieren, denen die Impfstoffe im Rahmen der Zulassungsstudien verabreicht wurden. Die Hersteller Biontech/Pfizer und Moderna (mRNA-Impfstoffe) sowie Janssen-Cilag (Vektorimpfstoff) berichten, es sei keine schädliche Wirkung in Bezug auf die Schwangerschaft und die Entwicklung des Nachwuchses beobachtet worden. Die Studie von AstraZeneca ist noch nicht abgeschlossen.

»Bisher gibt es bei Schwangeren keine Hinweise auf Komplikationen oder nachteilige Auswirkungen«Marianne Röbl-Mathieu, Mitglied der STIKO

In den Zulassungsstudien bekamen außerdem mehrere Frauen die Impfstoffe, die zu dem Zeitpunkt noch nicht wussten, dass sie schwanger waren. Diese Frauen werden von den Impfstoffherstellern weiter begleitet. »Bisher gibt es bei ihnen keine Hinweise auf Komplikationen oder nachteilige Auswirkungen«, sagt Marianne Röbl-Mathieu.

Trotz der begrenzten Datenlage entscheiden sich weltweit immer mehr Schwangere für die Corona-Schutzimpfung. In den USA hat die Gesundheitsbehörde CDC (Centers for Disease Control and Prevention) bereits mehr als 114 000 geimpfte Schwangere registriert. Ein Forschungsteam wertete die Daten von über 800 dieser Frauen aus, die einen mRNA-Impfstoff erhalten hatten und deren Schwangerschaften bis zum Ende begleitet wurden. Die Studie fand keine Hinweise auf negative Auswirkungen der Impfung auf die Schwangerschaft oder das Baby. Allerdings unterscheidet sich die untersuchte Gruppe dieser Frauen von durchschnittlichen Schwangeren, zum Beispiel hinsichtlich des Alters und soziodemografischer Merkmale.

In Deutschland wird die Sicherheit der Impfstoffe durch das Paul-Ehrlich-Institut überwacht, das mit Behörden in anderen Ländern in Kontakt steht. Zusammen mit dem deutschen Schwangerschaftsregister will das Paul-Ehrlich-Institut klären, ob es bei gegen Covid-19 geimpften Schwangeren zu medizinischen Problemen kam.

Zunehmend werden weitere wissenschaftliche Publikationen zum Thema veröffentlicht. Eine Studie hat keine Hinweise darauf gefunden, dass die Funktion der Plazenta durch eine mRNA-Impfung geschädigt wird. Andere Forschungsgruppen haben gezeigt, dass eine geimpfte Mutter Antikörper gegen das neuartige Coronavirus über das Nabelschnurblut an das ungeborene Kind weitergeben kann. Bisher nahmen an diesen Untersuchungen jedoch nur wenige Frauen teil. Biontech/Pfizer hat deshalb bereits eine eigene Studie mit dem mRNA-Impfstoff und etwa 4000 schwangeren Frauen gestartet. Die Untersuchung wird voraussichtlich im August 2022 abgeschlossen sein.

Schwangere in Zulassungsstudien einzuschließen, könnte in manchen Fällen sinnvoll sein

Manchen Wissenschaftlerinnen dauert der Weg bis zu einer verlässlichen Datenlage zu lange. In den USA fordert die Bewegung »Second Wave Initiative«, Schwangere nicht mehr grundsätzlich von Zulassungsstudien neuer Arzneimittel auszuschließen. Gegründet wurde die Initiative von der Bioethikerin Anne Lyerly von der University of North Carolina und ihren Kolleginnen Ruth Faden von der John Hopkins University sowie Margaret Little von der Georgetown University. Sie sorgen sich, dass Schwangeren wichtige Medikamente oder auch Impfungen verwehrt bleiben könnten, die ihnen mehr nutzen als schaden würden.

Besonders kritisiert wird der automatische Ausschluss schwangerer Frauen bei klinischen Studien mit Medikamenten oder Impfstoffen gegen Ebola: Mehr als 90 Prozent der werdenden Mütter und ihre ungeborenen Kinder sterben durch die Infektion mit dem Erreger. Mehr Wissen über die richtige Anwendung von Arzneimitteln könnte Leben retten.

Marianne Röbl-Mathieu ist sicher: »Das Thema maternale Immunisierung, also die Impfung der werdenden Mutter, um auch das Kind zu schützen, wird in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen.«

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