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»Democracy Dies in Darkness«: Im Maschinenraum des Journalismus

Europäischen Nachrichtenagenturen kommt eine große Bedeutung in der journalistischen Arbeit zu. Doch nur wenige können als staatlich unabhängig bezeichnet werden. Clemens Pig gibt eine Einführung in die Welt des Agenturjournalismus.
Verschwörungstheorien und Nachrichten verbreiten sich schnell via Chats und im Netz.

Die Meldung der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti war offensichtlich vorschnell: Am 26.  Februar 2022 meldete sie nur wenige Tage nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine, dass Russland »nach der Tragödie von 1991« – dem Zerfall der Sowjetunion in unabhängige Staaten – »seine Einheit wieder hergestellt habe«. Doch die ukrainische Seite verteidigt sich seit nunmehr fast zwei Jahren. Die Meldung zeigt für Clemens Pig deutlich, dass die Agentur nicht unabhängig arbeitet, sondern ein Propagandainstrument des Kreml ist.

Pig ist geschäftsführender Vorstand der Austria Presse Agentur (APA). Ziel seines Buches ist es, den Leser in die Welt der journalistischen Nachrichtenagenturen einzuführen. Denn die grundlegenden Unterschiede, die Arbeitsweisen dieser Institutionen und ihre Bedeutung sind in der Öffentlichkeit häufig unbekannt. Dabei besitzen sie enormen Einfluss auf dem Medienmarkt. Pig argumentiert, dass immerhin zwei Drittel aller Informationen in den Massenmedien direkt oder indirekt auf Materialien von Agenturen zurückgehen.

Unabhängigkeit ist im Agenturjournalismus keineswegs die Regel

Er unterteilt sein Buch in 13 Kapitel. Sie geben Einblick in die Welt der europäischen Agenturen und werfen die Frage nach staatlicher Abhängigkeit oder Unabhängigkeit sowie nach zukünftigen Entwicklungen auf. Pig hebt hervor, dass tatsächlich nur ein kleiner Teil der welt- und europaweit tätigen Agenturen unabhängig arbeitet. Das heißt, sie finanzieren sich selbst, sind dadurch allerdings auch einem enormen wirtschaftlichen Druck und Konkurrenzkampf ausgesetzt. Dieser erhöht den Druck auf die Redaktionen zusätzlich zu den tagesaktuellen Ereignissen. Allein die APA erhält pro Tag etwa 15 000 Eingangsmeldungen, die zu prüfen und zu bearbeiten sind.

Doch nur, wenn eine Agentur journalistisch korrekt und seriös arbeitet, kann sie ihren Kunden wie Zeitungs- oder Rundfunkredaktionen einwandfreie Meldungen zur Verfügung stellen. Die Nachricht wird somit zu einer Ware, ihr Qualitätsstandard ist die Wahrheit.

Diese Ware wird von den Kunden der Agentur weiterverarbeitet. Pig sieht die seriöse Agenturarbeit als wichtigen Gegenpol zu Fake News, Propaganda und Desinformation. Durch ihre saubere journalistische Arbeit könne verhindert werden, dass die Demokratie »im Dunkeln« stirbt. Hier lehnt sich Pig an ein Zitat von Bob Woodward an, der als Journalist zusammen mit seinem Kollegen Carl Bernstein den Watergate-Skandal aufdeckte.

Dass nur ein kleiner Teil der Agenturen tatsächlich staatlich unabhängig arbeitet, ist für Pig genauso problematisch wie die Tatsache, dass der globale Markt nur von wenigen großen Institutionen wie Associated Press (AP), Reuters, Agence France-Press (AFP) oder der Deutschen Presse Agentur (dpa) dominiert wird. Seine Vision ist dagegen die Schaffung einer European NewsTech Alliance, die einen Wissensraum für freie Agenturen und Medien bieten könnte.

Es ist nach Pig gerade der harte wirtschaftliche Konkurrenzkampf, der die Agenturen immer neue Dienstleitungsangebote entwickeln lässt. So wird auch der Einsatz künstlicher Intelligenz ein Thema. In Programmen wie ChatGPT sieht er allerdings kein journalistisches Werkzeug. Um solch ein Programm nutzen zu können, müsste es in sicherer (vor Angriffen geschützter) und transparenter Umgebung »erzogen« werden und sein Einsatz reglementiert sein.

Pig bietet in seinem Buch eine informative und gut lesbare Einführung in den Agenturjournalismus. Das ist in Zeiten von Fake News, Desinformation und dem Vorwurf der »Lügenpresse« zu begrüßen. Allerdings bietet das Buch keine völlig neutrale Betrachtungsweise, da er selbst einer unabhängigen Nachrichtenagentur – der APA – vorsteht. Zudem gehört diese offensichtlich nicht zu den von ihm genannten großen Global Playern wie AP, Reuters, AFP oder dpa. So berechtigt Pigs Kritik an deren dominierender Stellung aus sachlicher Sicht ist, so sehr kann sie auch als Spitze gegen die Konkurrenz gelesen werden.

Das Buch eignet sich für politisch und journalistisch interessierte Leser, die mehr über die Arbeit, den gesellschaftspolitischen Einfluss, aber auch über die Schwierigkeiten und Entwicklungsfelder von Nachrichtenagenturen erfahren möchten.

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