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Killerkommandos im Mittelalter

Historiker Yuval Noah Harari beleuchtet die lange Tradition der Kommando-Operationen mit Spezialkräften.

Vom Trojanischen Pferd in der Antike bis zu den Assassinen im Mittelalter: Spezial- und Geheimoperationen sind kein neues Phänomen, sondern schon seit Jahrtausenden »integraler und äußerst wichtiger Bestandteil des militärischen und politischen Werkzeugkastens«. Das geht aus diesem höchst lebendig und spannend geschriebenen Buch hervor. Darin befasst sich der namhafte israelische Historiker Yuval Noah Harari mit diversen kriegerischen Geheimoperationen, die an verschiedenen Orten Europas und des Nahen Ostens zwischen 1098 und 1536 durchgeführt wurden.

Hararis Buch ist zweigeteilt. Im ersten Teil präsentiert er eine einführende Analyse zur Bedeutung von Spezialkommando-Operationen, die er als »räumlich und zeitlich begrenzte und von kleinen, flexiblen Einsatztrupps mit unkonventionellen oder verdeckten Methoden durchgeführte Kampfeinsätze« definiert. Der Zweck dieser Operationen sei es gewesen, »mit relativ geringem Ressourcenaufwand überproportional große strategische oder politische Wirkung zu entfalten«.

Größtmöglicher Schaden bei kleinstmöglichem Einsatz

Diese unkonventionelle Kriegführung, die sich auf das gezielte Ausschalten politischer Schlüsselfiguren fokussierte oder auf andere Methoden der Destabilisierung, beleuchtet der Autor sehr anschaulich anhand der Quellenlage. Dabei führt er seinen Lesern eindringlich vor Augen, dass in diesem »schmutzigen Krieg« auch Nichtkombattanten ins Visier genommen, Infrastruktur wie Brücken, Mühlen oder Dämme systematisch zerstört und ganze Landstriche verwüstet wurden, um dem Gegner größtmöglichen Schaden zuzufügen.

Zwar war es wenig ritterlich, wenn man seine Opfer hinterrücks ermordete oder auf andere Weise heimtückisch meuchelte. Dafür aber war es effektiv und ressourcenschonend: Einen langwierigen Krieg konnte man so mitunter abkürzen und seine Kosten drastisch mindern. Ohnehin, so Harari, habe die zeitgenössische Hofliteratur (etwa bei Wolfram von Eschenbach) mit ihren Vorstellungen eines offenen Kampfes Mann gegen Mann den Ritter in epischer Weise idealisiert, was mit der mittelalterlichen Realität wenig zu tun hatte.

Im zweiten Buchteil stellt der Autor anhand von sechs Beispielen, die den Zeitraum vom 11. bis zum 16. Jahrhundert und Europa wie den Nahen Osten überdecken, »repräsentative Spezialkommandos« vor und untersucht sie eingehend. Ob Entführungen, nächtliche Überfälle, Verrat, Sabotage, Giftmorde oder Attentate auf offener Straße: Harari beschreibt ein breites Spektrum der bei Geheimoperationen angewendeten Methoden, wobei er den Tötungsfertigkeiten der muslimischen Assassinen besondere Aufmerksamkeit widmet. Die Killerkommandos dieser Guerillakrieger aus der ismailitisch-schiitischen Glaubensgemeinschaft der Nizariten waren derart gefürchtet, dass die für sie verwendete lateinische Fremdbezeichnung »assassini« während des 13. Jahrhunderts in der verallgemeinerten Bedeutung »Attentäter« in die romanischen Sprachen und ins Englische einging.

So sehr sie sich hinsichtlich Planung und Durchführung unterschieden – Hariri attestiert den Spezialkommandos aus verschiedenen Zeiten eine gewisse Kontinuität, was die strategischen und politischen Ziele anbelangt. Diese erfuhr »auch durch die Schießpulverrevolution keine nennenswerte Veränderung «, wie der Autor ausdrücklich vermerkt.

Hararis fesselnd geschriebene Darstellung greift ein Thema auf, das bislang in der Geschichtswissenschaft wenig Beachtung gefunden hat. Es macht in überzeugender Weise deutlich, dass Mord und Entführung lange vor Machiavelli als legitime politische Instrumente an der Tagesordnung waren.

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