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Der Mathematische Monatskalender: Der Staatsmann Archytas von Tarent rettete Platon das Leben

Der Mathematiker und Philosoph war so beliebt, dass er siebenmal wiedergewählt wurde – obwohl man eigentlich nur eine Legislaturperiode lang herrschen durfte.
Statue des Plato in Athen
Platon wurde des Hochverrats beschuldigt; nur durch die guten Beziehungen von Archytas zum Tyrannen Dionysios II. konnte er entkommen.

Im 5. Jahrhundert v. Chr. entwickelte sich die Stadt Tarent zur bedeutendsten Stadt in Magna Graecia, der von Griechen besiedelten Region Süditaliens. Dort hatten die Anhänger der religiös-philosophischen Schule der Pythagoreer Zuflucht gefunden – nach und nach waren sie aus allen anderen Städten vertrieben worden. Im Peloponnesischen Krieg (431–404 v.  Chr.) waren Tarent und Syrakus (Sizilien) Verbündete Spartas im Kampf gegen Athen.

Als der Tyrann Dionysios II. in Syrakus die Macht übernahm und andere Städte in Süditalien angriff, gelang es den Regierenden in Tarent, ihre Stadt aus den kriegerischen Auseinandersetzungen herauszuhalten.

Der mathematische Monatskalender

Ihre wissenschaftlichen Leistungen sind weit verbreitet, doch wer waren die Mathematik-Genies, die unser Verständnis der Welt nachhaltig prägten? Für seine Schüler hat Heinz Klaus Strick, ehemaliger Leiter des Landrat-Lucas-Gymnasiums in Leverkusen-Opladen, den »mathematischen Monatskalender« geschrieben und mit passenden Briefmarken der vorgestellten Personen ergänzt. Alle spannenden Lebensläufe, skurrilen Porträts und unglaublichen Geschichten hinter den namhaften Persönlichkeiten finden Sie nun auch hier.

Der wohl bedeutendste Politiker und Oberbefehlshaber der tarentinischen Streitkräfte war der Mathematiker und Philosoph Archytas. Dieser kluge und auf Ausgleich bedachte Staatsmann wurde siebenmal hintereinander in seinem Amt bestätigt, obwohl ein geltendes Gesetz eine unmittelbare Wiederwahl eigentlich nicht zuließ.

Platon wird des Hochverrats beschuldigt

Zu den Freunden von Archytas gehörte der Philosoph Platon, Gründer der »Akademie«, der ersten Philosophenschule Griechenlands. Im Jahr 361 v. Chr. wurde Platon während eines Aufenthalts in Syrakus des Hochverrats verdächtigt, konnte aber dank der guten Beziehungen von Archytas zu Dionysios II. die Stadt unversehrt verlassen.

Für den überzeugten Pythagoreer Archytas war Mathematik die Grundlage aller Wissenschaften. Auf ihn geht die im Mittelalter übliche Aufteilung der mathematischen Grundwissenschaften des »Quadrivium« (wörtlich: vier Wege) zurück: Arithmetik (Zahlentheorie), Geometrie, Astronomie und Musik.

Berühmt wurde Archytas unter anderem, weil er eine Lösung für das so genannte delische Problem fand. Der Legende nach hatten sich die Bürger der Insel Delos an das Orakel in Delphi gewandt, um zu erfahren, wie sie eine von Apollo gesandte Seuche besiegen könnten. Das Orakel antwortete ihnen, dass sie die Größe ihres würfelförmigen Apollo-Altars verdoppeln müssten, um von weiteren Todesfällen verschont zu werden. Da den Bewohnern von Delos diese Antwort seltsam vorkam, wandten sie sich an Platon, der ihnen empfahl, sich mit Mathematik zu beschäftigen, um das Problem der Verdopplung des Volumens eines gegebenen Würfels zu lösen. Konkret gab Platon den Rat, Archytas von Tarent, Eudoxos von Knidos und Menaichmos zu befragen.

Drei Lösungen, doch keine passt

Alle drei Mathematiker fanden eine jeweils andere Lösungsmethode, die Platon jedoch ablehnte, da sie als mechanische Lösungen gegen die »Reinheit« der Mathematik verstießen. Erst 1837 konnte der französische Mathematiker Pierre-Laurent Wantzel beweisen, dass eine Konstruktion der gesuchten Seitenlänge x = ∛2 · a ≈ 1,26a des verdoppelten Würfels mit Kantenlänge a mit Zirkel und Lineal nicht möglich ist.

Hippokrates von Chios, der auch wegen der von ihm entdeckten »Möndchen« berühmt ist, erkannte als Erster, dass sich das Problem lösen lässt, wenn man zwei mittlere Proportionale x und y zur Kantenlänge a des Altars bestimmen kann, welche die Bedingung a : x = x : y = y : 2a erfüllen. Denn Einsetzen der Bedingung y = x2 / a in die Gleichung x : y = y : 2a ergibt x3 = 2a3, also x = ∛2 · a ≈ 1,26a.

Menaichmos, Lehrer von Alexander dem Großen, entdeckte, dass beim Schnitt von Kegeln besondere Kurven auftreten: Parabeln und Hyperbeln. Er bestimmte die Lösung mit Hilfe von zwei Parabeln mit den Gleichungen y = x2 / a und x = y2 / (2a).

Die Lösung von Archytas lässt sich (aus heutiger Sicht) vielleicht am einfachsten mit den Methoden der analytischen Geometrie beschreiben. Er betrachtete drei zueinander senkrechte Kreise mit Radius a und Mittelpunkt (a, 0, 0), die jeweils parallel zu den Koordinatenebenen liegen. Durch den Kreis, der senkrecht zur x-Achse liegt, wird ein Kegel gezeichnet, dessen Spitze im Ursprung liegt, und durch den Kreis in der x-y-Ebene ein Zylinder. Der Kreis in der x-z-Ebene wird um die z-Achse rotiert, so dass ein Torus ohne Loch entsteht (ein so genannter Horntorus). Punkte auf den Oberflächen der Körper können durch folgende Gleichungen beschrieben werden: x2 = y2 + z2 (Kegel), (x − a)2 + y2 = a2 (Zylinder) und (x2 + y2 + z2)2 = 4a2 · ( x2 + y2) (Torus). Diese drei Flächen haben genau einen Punkt gemeinsam, dessen x-Koordinate gleich x = ∛2 · a ≈ 1,26a ist.

Einen Würfel verdoppeln

Von den Werken des Archytas sind zwar nur Fragmente erhalten, doch vieles ist durch andere Autoren der Antike bekannt geworden, die sich mit seinen Arbeiten auseinandergesetzt haben. Archytas war demnach davon überzeugt, dass eine berechenbare ausgewogene Besitzverteilung Voraussetzung für den sozialen Frieden einer Gesellschaft ist. Er lehnte es grundsätzlich ab, jemanden im Zorn zu bestrafen, und verzichtete eher auf die Bestrafung, wenn kein Urteil ohne Emotion möglich war. Nach seiner Ansicht gelangt der Mensch zu wissenschaftlichen Erkenntnissen, indem er vom Allgemeinen zum Besonderen voranschreitet. Archytas hielt ferner das selbstständige Entdecken für effektiver als das Lernen von dokumentiertem Wissen.

Frühe Forschungen zur Harmonie und Musik

Außerdem widmete sich Archytas der Musik. Die Pythagoreer untersuchten Gesetzmäßigkeiten von musikalischen Klängen, die als angenehm empfunden wurden; dabei spielten ganzzahlige Verhältnisse eine wichtige Rolle: Halbiert man bei einem Monochord die Saitenlänge, dann wird ein Ton erzeugt, der eine Oktave höher ist als der Grundton (Verhältnis 12 : 6 = 2 : 1). Wird die Saitenlänge um ein Drittel verkürzt, so entspricht dies einem Ton, der eine Quinte über dem Grundton liegt (9 : 6 = 12 : 8 = 3 : 2), das Verkürzen der Länge um ein Viertel ergibt eine Quarte (12 : 9 = 8 : 6 = 4 : 3).

Dass hier die Zahlen 1, 2, 3, 4 der Tetraktys auftreten, war für die Pythagoreer die Bestätigung der existierenden Weltharmonie. Außerdem gilt: Unterteilt man die Saitenlänge in zwölf gleich große Abschnitte, dann ist neun das arithmetische Mittel von sechs und zwölf und acht ist das harmonische Mittel von sechs und zwölf (die Bezeichnung »harmonisch« stammt von Archytas).

In seiner »Theorie der Mittelwerte und Proportionen« konnte Archytas beweisen, dass das geometrische Mittel von zwei Zahlen nicht rational sein kann, wenn diese im Verhältnis n : (n + 1) stehen. Eine Unterteilung von Tonintervallen ist daher nur durch das Bilden von arithmetischen oder harmonischen Mittelwerten möglich.

Euklid führte die Musiktheorie des Archytas in seiner Schrift »Sectio canonis« weiter. Auch kann man davon ausgehen, dass Euklids Lehre von den Proportionen (Buch VII und VIII der »Elemente«) im Wesentlichen auf Texten von Archytas beruht.

Archytas vertrat die Ansicht, dass Schall durch Zusammenprall bewegter Körper entsteht und als Druck durch die Luft übertragen wird. Höhere Töne entsprechen dabei einer schnelleren Bewegung des Schalls und tiefere Töne einer langsameren Bewegung.

Archytas hielt das Universum für unendlich groß, also für nicht begrenzt. Denn: »Wäre es begrenzt und man würde sich an den äußersten Rand begeben – wäre es dann nicht paradox, wenn man seine eigene Hand oder einen Stab nicht weiter nach außen bewegen könnte?«

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