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Der Mathematische Monatskalender: Otto Toeplitz, der engagierte Lehrer

Der beliebte Professor musste seine Lehrtätigkeit im Nazi-Deutschland niederlegen und ins damalige Palästina fliehen.
Ein Mann steht vor einer riesigen Tafel voller mathematischer Berechnungen

Als Otto Toeplitz 1881 in Breslau geboren wurde, war sein zukünftiger Werdegang fast schon vorhersehbar: Sowohl sein Großvater Julius als auch sein Vater Emil waren als Mathematiklehrer an Gymnasien in Breslau beziehungsweise in Lissa (Kreis Posen) tätig; auch hatten beide Beiträge zum Mathematikunterricht veröffentlicht. Darüberhinaus war Emil Toeplitz im gesamten Deutschen Reich als Herausgeber des jährlich erscheinenden Philologenjahrbuchs (Kunzes Kalender) bekannt, einem bis heute existierenden Verzeichnis aller an Gymnasien und vergleichbaren Einrichtungen tätigen Lehrpersonen.

Nach bestandener Abiturprüfung begann Otto Toeplitz das Studium der Mathematik an der Universität Breslau. 1905 folgte seine Promotion über ein Thema aus der Algebraischen Geometrie (»Zur Transformation der Scharen bilinearer Formen von unendlich vielen Veränderlichen«). Danach wechselte er nach Göttingen, wo er sich 1907 habilitierte und als Privatdozent tätig wurde.

Angeregt durch David Hilbert beschäftigte er sich intensiv mit der Theorie der Integralgleichungen, worüber er mehrere Arbeiten verfasste, später auch einen Lexikonbeitrag für die »Enzyklopädie der mathematischen Wissenschaften«.

1911 veröffentlichte Toeplitz einen Beitrag über Gleichungssysteme, deren Koeffizientenmatrix die oben gezeigte Form hat. Für endliche Systeme treten also nur höchstens 2n – 1 statt n2 verschiedene Koeffizienten auf; die Lösungsverfahren vereinfachen sich erheblich. Matrizen dieses Typs werden inzwischen als Toeplitz-Matrizen bezeichnet.

Beginn der Karriere als Professor

1913 nahm Toeplitz eine Stelle als außerordentlicher Professor an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel an; 1920 wurde die Stelle in eine ordentliche Professur umgewandelt. Für seine Lehramtsstudenten richtete der leidenschaftliche Hochschullehrer ein didaktisches Kolloquium ein, in dem er insbesondere Themen aus der Mathematikgeschichte behandelte.

Der mathematische Monatskalender

Ihre wissenschaftlichen Leistungen sind weit verbreitet, doch wer waren die Mathematik-Genies, die unser Verständnis der Welt nachhaltig prägten? Für seine Schüler hat Heinz Klaus Strick, ehemaliger Leiter des Landrat-Lucas-Gymnasiums in Leverkusen-Opladen, den »mathematischen Monatskalender« geschrieben und mit passenden Briefmarken der vorgestellten Personen ergänzt. Alle spannenden Lebensläufe, skurrilen Porträts und unglaublichen Geschichten hinter den namhaften Persönlichkeiten finden Sie nun auch hier.

1926 hielt Toeplitz auf der Jahrestagung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte in Düsseldorf einen vielbeachteten Vortrag zum Analysisunterricht, in dem er dafür plädierte, die Schüler die historische Entwicklung der Analysis nachvollziehen zu lassen (die so genannte genetische Methode): »Die Mathematik und das mathematische Denken sind nicht nur Teil einer speziellen Wissenschaft, sondern auch eng mit unserer allgemeinen Kultur und ihrer historischen Entwicklung des mathematischen Denkens verbunden, eine Brücke zwischen den sogenannten Künsten und Wissenschaften und den scheinbar so unhistorischen exakten Wissenschaften kann gefunden werden ... Unser Hauptziel ist es, eine solche Brücke zu bauen. Nicht um der Geschichte willen, sondern um der Genese von Problemen, Fakten und Beweisen willen, um der entscheidenden Wendepunkte dieser Genese willen...«

Um dieses Anliegen umzusetzen, plante Toeplitz ein zweibändiges Werk, konnte dieses aber nicht mehr in die Tat umsetzen. 1949 erscheinen posthum die von Gottfried Koethe zusammengestellten Materialien als Buch mit dem Titel »Die Entwicklung der Infinitesimalrechnung – eine genetische Annäherung«, bestehend aus den drei Kapiteln »Das Wesen des unendlichen Prozesses«, »Das bestimmte Integral«, »Differential- und Integralrechnung«. Wegen der fehlenden Vorkenntnisse der Studienanfänger empfahl Toeplitz, den Grenzwertbegriff erst zu einem späteren Zeitpunkt exakt zu fassen, außerdem die Integralrechnung vor der Differenzialrechnung zu behandeln – entsprechend der historischen Entwicklung (Archimedes, Cavalieri, Fermat, Saint Vincent, …). Das Buch endet mit Ausführungen zu den Keplerschen Gesetzen.

Sein großes Interesse an historischen Zusammenhängen führte 1926 zur Gründung der Zeitschrift »Quellen und Studien zur Geschichte der Mathematik, Astronomie und Physik« (zusammen mit Otto Neugebauer und Julius Stenzel).

Otto Toeplitz, der engagierte Lehrer

1928 nahm Toeplitz einen Ruf nach Bonn an, wo er bessere Arbeitsmöglichkeiten als in Kiel hatte und wo auch eine größere Anzahl von Studenten eingeschrieben war. An der Bonner Universität freundete er sich mit Felix Hausdorff an.

Zusammen mit seinem Assistenten Gottfried Köthe entwickelte er eine eigene Theorie unendlich-dimensionaler Räume, da ihm die Theorie des polnischen Mathematikers Stefan Banach zu abstrakt erschien.

Auch mit dem Münsteraner Professor Heinrich Behnke stand Toeplitz im regen Austausch; von 1932 an erscheinen die Mathematisch-Physikalischen Semesterberichte, die sich – bis heute – insbesondere an Mathematiklehrkräfte richten.

Flucht aus Nazi-Deutschland

Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums von 1933 konnte der Professor jüdischer Herkunft seine Lehrtätigkeit zunächst fortsetzen, da eine Ausnahmeregelung für diejenigen Personen galt, die bereits vor 1914 als Hochschullehrer tätig waren. Diese Regelung wurde 1935 durch die Nürnberger Gesetze aufgehoben, und Toeplitz wurde gegen seinen Willen in den Ruhestand versetzt.

Der bis dahin kaum praktizierende Jude Toeplitz übernahm das Amt des Vorstehers in der jüdischen Gemeinde in Bonn. Er gründete eine Schule für jüdische Kinder, an der er auch selbst Unterricht übernahm.

Als Leiter der Hochschulabteilung in der Reichsvertretung der Juden in Deutschland vermittelte er Stipendien für besonders begabte jüdische Studenten und organisierte deren Ausreise in die USA.

Als die Anzahl der Selbstmorde in seinem Umfeld dramatisch zunahm und auch er selbst sich dem Druck durch die Nationalsozialisten nicht mehr gewachsen fühlte, emigrierte er im Februar 1939 in das britische Mandatsgebiet Palästina. Dort beteiligte er sich sogleich am Aufbau der jüdischen Universität auf dem Mount Scopus in Jerusalem; aber ein Jahr nach seiner Ankunft erkrankte er schwer und starb.

Beliebter Lehrer

Von seinen Studentinnen und Studenten wurde Toeplitz – ebenso wie von seinen Kollegen – als freundlicher und hilfsbereiter Mensch beschrieben, der sich stets Zeit für den anderen nahm. Im Lauf seiner Tätigkeit als Hochschullehrer betreute er insgesamt zwölf Doktoranden, darunter drei Frauen.

1930 erschien eine Sammlung populärer Themen aus seinen Vorträgen, das auch heute noch lesenswerte Buch »Von Zahlen und Figuren – Proben mathematischen Denkens für Liebhaber der Mathematik« (in Zusammenarbeit mit Hans Rademacher, Lehrstuhlinhaber in Breslau; der Pazifist Rademacher musste bereits 1934 emigrieren).

In 22 Abschnitten versuchen die beiden Autoren »die Scheidewand zu durchbrechen«, durch die die Nicht-Mathematiker von der Welt der Mathematiker getrennt sind.

Zu Beginn breiten sie die geniale Idee des euklidischen Beweises aus, das erklärt, warum es unendlich viele Primzahlen gibt. Als Nächstes erläutern sie Aspekte, wie sich eine optimale Linienführung in einem Straßenbahn-Schienennetz entwickeln lässt. Im dritten Abschnitt wird bewiesen, dass unter allen n-Ecken, die einem Kreis einbeschrieben sind, das regelmäßige den größten Flächeninhalt hat.

Auf den Nachweis der Irrationalität von √2 folgen zwei anschauliche Beweise, dass unter allen Dreiecken, die einem Dreieck einbeschrieben werden können, das Dreieck der Höhenfußpunkte den kleinsten Umfang hat.

In Kapitel acht geht Toeplitz auf die Cantorschen Überlegungen zur Mächtigkeit von Mengen ein und spricht die Kontinuumhypothese an. Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit den Schnitten am geraden Kreiskegel, gefolgt von einem Abschnitt über das Waringsche Problem für n = 2, 3, 4: »Jede natürliche Zahl lässt sich als Summe von höchstens g(n) Potenzen mit Exponent n darstellen, wobei g(2) = 4, g(3) = 9, g(4) = 19.

In Abschnitt zehn beschäftigt sich Toeplitz mit Doppelpunkten von geschlossenen, sich selbst durchdringenden Kurven, in Kapitel elf wird gezeigt, dass die Zerlegung von natürlichen Zahlen in Primfaktoren im Unendlichen eindeutig ist.

In Kapitel zwölf stellt er das Vierfarben-Problem und den Eulerschen Polyeder-Satz vor.

Kapitel 13 widmet sich der Aussage der (1930 noch unbewiesenen) Fermatschen Vermutung; zunächst wird erläutert, wie man im Fall n = 2 alle pythagoreischen Zahlentripel x2 + y2 =  z2 findet.

Im nächsten Abschnitt geht es um die Frage, wie groß der Radius eines Kreises höchstens gewählt werden muss, in dem alle Punkte eines gegebenen Punkthaufens liegen.

Der 15. Abschnitt beschäftigt sich mit der Annäherung von irrationalen Zahlen durch rationale Zahlen.

In Kapitel 16 untersuchen die Autoren die Geradführung durch Gelenkmechanismen, im nächsten Abschnitt erläutern sie, was Euklid und Euler über die vollkommenen Zahlen herausgefunden haben. Dann wird beschrieben, warum bei gegebenem Umfang der Kreis die Figur größten Flächeninhalts ist (Beweisidee nach Jacob Steiner).

Kapitel 19 befasst sich mit periodischen Dezimalbrüchen, Kapitel 20 mit Kurven konstanter Breite. Das vorletzte Kapitel ist der Frage der Konstruierbarkeit mit Zirkel und Lineal gewidmet, und bei welchen Konstruktionen man auf den Zirkel oder auf das Lineal verzichten kann.

Zum Abschluss beschäftigt sich Toeplitz noch einmal mit Primzahlen und deren Wachstum. Es zeigt sich, dass 30 die größte Zahl ist, für die gilt, dass alle unter ihr gelegenen, zu ihr teilerfremden Zahlen Primzahlen sind.

Von Otto Toeplitz stammt eine Vermutung aus dem Jahr 1911, die bis heute für viele Typen von Kurven, aber noch nicht allgemein bewiesen werden konnte: »In jede geschlossene Jordan-Kurve C (das heißt eine stetige, sich nicht überschneidende ebene Kurve) kann man ein Quadrat einbeschreiben«.

Beispiele: Ist C ein Dreieck, dann kann man – je nachdem, ob es sich um ein spitzwinkliges, ein rechtwinkliges oder ein stumpfwinkliges Dreieck handelt – ein beziehungsweise zwei beziehungsweise drei Quadrate einzeichnen, deren Eckpunkte auf der Umfangslinie liegen.

Ist C ein Kreis oder ein Quadrat, dann kann man unendlich viele Quadrate einzeichnen, ist C ein regelmäßiges Sechseck, dann drei Quadrate, ist C ein Oval, dann ein Quadrat.

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