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Metzler Lexikon Philosophie: Daoismus

chinesische Philosophenschule, benannt nach dem zentralen Begriff dieser Schule, dem Dao. Dao ist das namenlose, dynamische Urprinzip, dessen Abbild die Natur ist. In dessen Harmonie soll sich der Mensch einlassen. Man kann zwischen einem philosophischen (Dao Jia) und religiösen D. (Dao Jiao) unterscheiden, wobei die Grenzen zwischen beiden fließend sind und in den verschiedenen Epochen unterschiedlich gezogen werden müssen. – (1) Klassischer D. (6.–3. Jh. v. Chr.): Als Ahnherr des D. gilt der in seiner Historizität umstrittene Lao Zi. Das ihm zugeschriebene Werk Dao De Jing ist zwischen dem 5. und 3. Jh. v. Chr. entstanden. Das in Versform verfasste, apokryphe Werk hat sowohl für den philosophischen, als auch für den religiösen D. eine entscheidende Rolle gespielt. Neben den Abschnitten über »metaphysische« Konzepte wie Dao, De, Wu (Nichts) oder You (Sein) enthält das Werk gesellschaftliche Vorstellungen, die von Naturnähe und Zivilisationskritik geprägt sind. Zhuang Zi (ca. 369–286 v. Chr.), der zweite Hauptvertreter des frühen D., gilt als Autor der inneren Kapitel des stilistisch komplexen Buches Zhuang Zi. Die »metaphysische« Argumentation hat in der Auseinandersetzung mit der Schule der Logiker (Ming Jia) an logischer und argumentativer Schärfe im Vergleich zum Dao De Jing gewonnen, nutzt aber zunehmend auch eine gleichnishafte Bildersprache. Zhuang Zis philosophisches Interesse gilt insbesondere der Frage nach dem Verhältnis der dynamischen Einheit (Dao) und der relationalen Differenz der Dinge. – (2) Der Huang-Lao D. (4./3. Jh. v. Chr. – 1. Jh. n. Chr.) beruft sich auf den mythischen Gelben Kaiser (Huang Di) und auf Lao Zi. Diese Schule hatte ihren Höhepunkt im 2. Jh. v. Chr. Kosmologische Spekulationen in der Tradition der Yin-Yang-Lehre und des Yi Jing vermischen sich mit »metaphysischen« Vorstellungen des klassischen D. Legistische und konfuzianische Einflüsse kennzeichnen den Huang-Lao D. als der sozialen Zivilisation positiv gegenüberstehend. Als Hauptwerk gilt das Mitte des 1. Jh. v. Chr. kompilierte Huai Nan Zi. Der für spätere Schulen charakteristische Synkretismus tritt hier erstmals auf. – (3) Religiöser D. der Westl. Han-Zeit (1. Jh.–2. Jh.): Aus einer Vermischung des klassischen D., kosmologischer Vorstellungen und schamanistischer wie magischer Traditionen entwickelte sich eine Volksreligion, die in verschiedenen, häufig subversiven Sekten organisiert war. Die Person Lao Zis erfährt eine Vergöttlichung; die Unsterblichkeit wird mit magischen, diätischen, sexuellen und meditativen Praktiken angestrebt. Die philosophischen Vorstellungen des religiösen D. kommen am ehesten im Werk von Ge Hong (ca. 280–340) zum Ausdruck. – (4) Neodaoismus (3. Jh.–4. Jh., chin. Xuan Xue, spekulative Lehre vom Unergründlichen): Wiederbelebung des philosophischen D. Wang Bi (226–249) und Guo Xiang (gest. 312) verfassen Kommentare zum Dao De Jing, zum Yi Jing, bzw. zum Zhuang Zi. Diese Interpretationen, die eine metaphysische Auslegung mit einem weltzugewandten, prokonfuzianischen Verständnis verbindet, wurde entscheidend für die Rezeptionsgeschichte der Texte. Wang Bi betont insbesondere das Nichts (Wu), Guo Xiang den Gedanken des Zi Ran (Selbsterweis). Der Neod. gilt als entscheidender Anknüpfungspunkt für die Akkulturation des Buddhismus in China. – (5) D. als Religion (5. Jh.–12. Jh.): Unter dem Eindruck der buddhistischen Kirche konstituiert sich auch der D. als Kirche, mit Tempel- und Klosterwesen. Die Shanqing-Sekte konnte sich seit dem Ende des 4. Jh. als erste Richtung des religiösen D. auf einen festen Kanon und ein liturgisches Ritual stützen. Stärker unter buddhistischem Einfluss entstand im 5. Jh. die Lingbao-Sekte, die sich in eine Reihe von Schulen spaltete. In beiden vermischen sich alchemistische und magische Praktiken und der frühe D. zu einer Religion mit regional ausdifferenzierten Auslegungen und Zeremonien. Im 10. Jh. entwickelte sich die, auf meditativen Techniken der Erleuchtung begründete Neidan-Schule. Ihr spekulatives Denken und die Adaption des Zen-Buddhismus rückt sie in die Nähe der philosophischen Tradition des D. Diese Schule übte erheblichen Einfluss auf den Neokonfuzianismus aus. In der Auseinandersetzung mit der westlichen Philosophie spielt der philosophische D. eine bedeutende Rolle.

Literatur:

  • Wing-tsit Chan: A Source Book in Chinese Philosophy. Princeton 1963
  • A. Forke: Geschichte der alten chinesischen Philosophie. Hamburg 21964
  • Fung Yu-lan (D. Bodde, übers.): History of Chinese Philosophy. 2 Bde. Princeton 1952, 1953
  • I. Robinet: Geschichte des Taoismus. München 1995.

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Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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