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Metzler Lexikon Philosophie: Erlebnis

allgemein sowohl ein Geschehnis oder Ereignis, durch das jemand stark und nachhaltig beeindruckt wurde, eine bedeutungsvolle, emotional stark gefärbte Erfahrung als auch jedes von jemandem (mit-)erlebte Geschehen. »Erleben« bedeutet daher: von etwas betroffen oder beeindruckt werden, etwas auf sich wirken lassen, etwas durchmachen, durchleben oder erfahren. In der Psychologie bezeichnet »E.« entweder den Inhalt des Erlebens, das, was erlebt wird, oder das »Innewerden« von Inhalten des Bewusstseins. Dem Begriff des E.ses werden zum mindesten die folgenden Merkmale zugesprochen: (1) die Bestimmtheit des einzelnen E.ses durch seinen Inhalt; (2) die Unmittelbarkeit des Erlebens, d.h. das Erleben ist nicht begrifflich vermittelt ; (3) das Gebundensein des E.ses an die Perspektive des erlebenden Subjekts, d.h. das Erlebte ist immer Selbsterlebtes; (4) die Bedeutsamkeit des einzelnen E.ses für das Ganze des Lebenszusammenhanges eines Subjekts. Davon abzugrenzen sind das Zumutesein als einer bestimmte Lebensäußerungen begleitenden Gemütsverfassung einerseits, und die Erfahrung von Außenwelt, insofern als sie eine begrifflich vermittelte Erkenntnisleistung darstellt, andererseits. Zu einem Grundbegriff der Philosophie und Psychologie des 19. und frühen 20. Jh. avancierte der Begriff des E.ses vermöge der durch ihn zur Sprache kommenden Unmittelbarkeit, in der sich einem Subjekt sein Leben erschließt (Introspektion). Sie wurde in polemischer Funktion sowohl gegen den Absolutheitsanspruch der Hegel’schen Spekulation als auch gegen den Wahrheitsanspruch der naturwissenschaftlich-materialistischen Interpretationen menschlicher Lebensäußerungen ins Feld geführt. Die Diskussion des Begriffs im Neukantianismus (Natorp), in der Phänomenologie Husserls (Intentionalität) sowie in der Lebensphilosophie und Hermeneutik (Dilthey) hat zu seiner Klärung als eines Grundbegriffs, mit dem Psychisches als Psychisches ausgezeichnet werden soll, insofern etwas beigetragen, als sie die Aporien freigelegt hat, die in dem Begriff enthalten sind, wenn man ihn im Zusammenhang mit der Frage nach dem Selbstbewusstsein erörtert: Wie kann das erlebende Subjekt von seinem Erleben wissen? In der analytische Philosophie des Geistes wird der Begriff des E.ses bzw. des Erlebens, nachdem ihm lange kaum Beachtung geschenkt wurde, gegenwärtig in engem Zusammenhang mit dem Thema Bewusstsein diskutiert. Seine Rolle wird hier durch die Auseinandersetzung mit der Frage bestimmt, ob und, wenn ja, wie mentale Phänomene im Allgemeinen und das Phänomen Bewusstsein im Besonderen im Rahmen einer naturalistischen Konzeption der Welt vollständig beschrieben und erklärt werden können (Physikalismus). Gegen eine solche Konzeption wird eingewandt, dass das Erleben ein wesentliches Merkmal mentaler Phänomene sei und aufgrund seiner charakteristischen Eigenschaften: Gebundensein an die Perspektive des erlebenden Subjekts, Unmittelbarkeit und Nicht-vollständige-Mitteilbarkeit, sich notwendig einer objektiven und daher auch jedweder naturalistischen Beschreibung entziehe (Qualia). Demgegenüber hat bereits Farrell geltend gemacht, dass das so charakterisierte Phänomen nichts sei, über das sich sinnvoll sagen ließe, es könne oder könne nicht vollständig beschrieben oder erklärt werden.

Literatur:

  • K. Cramer: Art. Erleben, Erlebnis. In: HWPh II, Sp. 702–711
  • Ders.: Erlebnis. In: Hegel-Studien, Beiheft 11 (1971). Bonn 1971. S. 537–603
  • D. C. Dennett: Consciousness. In: R. Gregory (Hg.): The Oxford Companion to the Mind. Oxford 1987. S. 160–164
  • B. A. Farrell: Experience. In: Mind (1950). S. 170–198
  • Th. Nagel: What is it like to be a bat? In: Philosophical Review 83 (1974). S. 435–450.

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Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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