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Künstliche Organe: Erstmals menschliches Nierengewebe in Schweineembryo gezüchtet

Spenderorgane sind Mangelware und Transplantationen nicht ohne Risiko. Forschungsgruppen weltweit arbeiten an Alternativen. Nun verkündet ein chinesisches Team einen Durchbruch.
OP-Saal, in dem eine Organtransplantation stattfinden soll
Jährlich brauchen knapp 10 000 Menschen in Deutschland eine Organtransplantation. Statt auf Organspender angewiesen zu sein, könnten Nieren oder Lebern künftig in Schweinen aus körpereigenen Stammzellen herangezüchtet werden.

Die Bereitschaft zur Organspende ist in vielen Ländern deutlich geringer als der Bedarf. Jedes Jahr sterben etliche tausend Menschen, da ihnen nicht mehr rechtzeitig ein gesundes Organ transplantiert werden konnte. Bereits seit vielen Jahren forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler daher daran, menschliche Organe in anderen Lebewesen zu züchten. Einer Gruppe um Liangxue Lai von den Guangzhou Institutes of Biomedicine and Health in China ist es nun gelungen, Nierengewebe mit überwiegend menschlichen Zellen in Schweineembryonen heranwachsen zu lassen. Die Forschenden stellen ihre Vorgehensweise in der Fachzeitschrift »Cell Stem Cell« vor.

»Es wurden bereits Rattenorgane in Mäusen und Mäuseorgane in Ratten produziert, aber frühere Versuche, menschliche Organe in Schweinen zu züchten, waren erfolglos«, erklärte Lai laut einer Mitteilung des Instituts. Die Integration menschlicher Stammzellen in Schweineembryonen war bisher eine Herausforderung, da Schweinezellen und menschliche Zellen unterschiedliche physiologische Bedürfnisse haben und die Fremdzellen in aller Regel verdrängt werden. Das Problem ist vergleichbar mit Organspenden, wenn Spender und Empfänger nicht gut zueinander passen: Dann wird das Organ vom Körper des Empfängers abgestoßen, weil das Immunsystem es als fremdes Gewebe erkennt und Abwehrmaßnahmen einleitet.

Für ihr Vorhaben präparierten die Fachleute die aus Nabelschnurblut gewonnenen pluripotenten menschlichen Stammzellen zum einen vorab so, dass sich ihre Überlebensfähigkeit erhöhte. Zum anderen gaben sie die Stammzellen in ein erst kürzlich von ihnen entwickeltes Nährmedium namens 4CL, das die Überführung der Stammzellen in frühere Entwicklungsstadien bewirkt; sie ähneln dann frühen menschlichen embryonalen Zellen. In den einzelligen Schweineembryonen entfernten die Forscher mit Hilfe der Genschere CRISPR-Cas die beiden Gene SIX1 und SALL1, die beim Schwein für die Entstehung von Nieren notwendig sind. Dadurch gab es eine Leerstelle, in der sich die injizierten menschlichen Zellen weitgehend konkurrenzlos entwickeln konnten.

Nieren bestehen zu zwei Dritteln aus menschlichen Zellen

Die derart genetisch veränderten Schweineembryonen pflanzten die Wissenschaftler anschließend mehreren Sauen ein. Insgesamt übertrugen die Forscher 1820 Embryonen auf 13 Leihmütter. Nach spätestens 28 Tagen beendeten sie die Trächtigkeit. Bei fünf Embryonen stellten sie fest, dass diese für ihr Entwicklungsstadium strukturell normale Nieren hatten, welche zu 50 bis 60 Prozent aus menschlichen Zellen bestanden. Zudem untersuchte das Team, ob die menschlichen Zellen sich noch in anderen Gewebestrukturen anreicherten. Insbesondere im Rückenmark oder auch im Bereich der Fortpflanzungsorgane könnte dies gravierende ethische Implikationen nach sich ziehen. Es habe sich allerdings gezeigt, so schreiben die Autoren, dass die menschlichen Zellen hauptsächlich in den Nieren zu finden waren.

Auch wenn dies als gewaltiger Fortschritt zu früheren Experimenten gelten kann, ist das Verfahren noch verbesserungsbedürftig. Selbst die gut gewachsenen Nieren enthalten noch zu mehr als einem Drittel Zellen vom Schwein, was bei einer Organverpflanzung zu Abwehrreaktionen im menschlichen Organismus zu führen kann. »Da Organe nicht nur aus einer einzigen Zelllinie bestehen, müssten wir die Schweine wahrscheinlich auf viel komplexere Weise manipulieren, um ein Organ zu bekommen, in dem alles vom Menschen stammt«, sagte Mitautor Miguel Esteban.

Medizinethiker Wolfram Henn vom Deutschen Ethikrat hob gegenüber der Deutschen Presseagentur positiv hervor, dass als Grundlage der menschlichen Stammzellen Nabelschnurblut verwendet wurde. Dadurch werde die Nutzung menschlicher Embryonen vermieden. Außerdem biete das Verfahren eine Perspektive dafür, dass künftig eigene Blutstammzellen eines Patienten, der auf ein Spenderorgan angewiesen ist, als Basis für die Züchtung des Organs verwendet werden könnten. Weil dann die eingesetzten Zellen vom Patienten selbst stammen würden, dürfte es in der Regel keine Abstoßungsreaktionen geben. Insgesamt beurteilt er das Vorgehen der Forscher als vernünftig und verantwortungsbewusst.

Auch im Hinblick auf den Tierschutz hält Henn das Verfahren für ethisch vertretbar: »Wir züchten Tiere, um sie zu essen, da ist es nicht verwerflich, Tiere zu züchten, um Menschenleben zu retten.« Für wichtig hält Henn vor allem, dass das deutsche Recht modernisiert wird. Das Embryonenschutzgesetz ist mittlerweile mehr als 30 Jahre alt. Viele der heute angewendeten Verfahren habe es damals noch nicht gegeben, so dass die gesetzliche Grundlage für eine Forschung, wie sie in der Studie beschrieben wurde, neu gefasst werden müsse, forderte der Medizinethiker.

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