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Partielle Sonnenfinsternis: Finstere Minuten für Stromversorger

Wenn sich am 20. März die Sonne über Europa um bis zu 80 Prozent verdunkelt, steht die Energiebranche vor einer neuen Herausforderung. Denn bei keiner vergleichbaren Sonnenfinsternis zuvor waren so viele Fotovoltaikanlagen in Betrieb. Darauf will die Energiebranche gut vorbereitet sein, um einen Versorgungsengpass zu verhindern
Partielle Sonnenfinsternis

"Am liebsten wäre uns schlechtes Wetter. Denn dann bekommen wir die Sonnenfinsternis praktisch nicht zu spüren", sagt Ulrike Hörchens, Pressesprecherin des Übertragungsnetzbetreibers TenneT – und stellt sich damit gegen zahllose Amateurastronomen und andere Interessierte, die am 20. März auf klare Sicht hoffen: Sie wollen die partielle Sonnenfinsternis über Mitteleuropa beobachten, während der Energiebranche ein bedeckter Himmel wohl eher gelegen käme. Ein wolkenfreier Himmel konfrontiert die Netzbetreiber womöglich mit einer bislang einzigartigen Situation: Dann könnte es im Stromnetz kurzfristig zu beträchtlichen Leistungsschwankungen kommen, wie sie in diesem Umfang noch nicht aufgetreten sind.

Allein in Deutschland hingen während keiner vergleichbaren Sonnenfinsternis so viele leistungsfähige Fotovoltaikanlagen am Netz wie heute. Die maximale Gesamtkapazität für die Erzeugung von Solarstrom beläuft sich hier zu Lande aktuell auf rund 39 000 Megawatt. Damit ist Deutschland im europäischen Vergleich führend. Der Verband ENTSO-E, in dem 41 Übertragungsnetzbetreiber aus 34 europäischen Staaten zusammengeschlossen sind, schätzt die Kapazität für Solarstrom in Kontinentaleuropa derzeit auf 90 000 Megawatt. Während der Sonnenfinsternis könnte die Einspeisung bei klarem Himmel europaweit kurzzeitig um rund 30 000 Megawatt zurückgehen und anschließend wieder rasch ansteigen, schreibt ENTSO-E in einer Studie.

Fotovoltaik | Die Fotovoltaik leidet noch heute unter dem Altmaier-Knick; der damalige Umweltminister war verantwortlich für die Novellierung der Fotovoltaik-Förderung 2012, die nicht bloß die Fördersätze senkte, sondern auch das Ziel formulierte, jedes Jahr nur den Zubau von Solarzellen mit einer Leistung von 2,5 bis 3,5 Gigawatt zu fördern. Damit sollten vor allem die kräftig steigenden Kosten der Energiewende- oder EEG-Umlage auf den Preis des elektrischen Stroms gebremst werden, die private Haushalte und Gewerbe auf jede Kilowattstunde Stromverbrauch zahlen müssen. Wie erwartet, wurde daraufhin deutlich weniger Fotovoltaik installiert – zu wenig, um den Ausstieg aus der Kernkraft zu kompensieren.

Da ist es verständlich, wenn das bevorstehende Himmelsereignis in der Energiebranche eine hektische Betriebsamkeit auslöst und die Spannung bei den Beteiligten im Vorfeld ein wenig in die Höhe treibt. Um der Situation angemessen begegnen zu können, beschäftigen sich die Übertragungsnetzbetreiber, die letztlich sicherstellen müssen, dass die Leistung im Stromnetz stabil bleibt, seit gut einem Jahr mit den möglichen Auswirkungen der Sonnenfinsternis. Auf Grund der hohen Kapazität an Fotovoltaikanlagen und der starken Verdunkelung der Sonne hier zu Lande wäre das deutsche Stromnetz bei entsprechenden Wetterbedingungen besonders stark betroffen.

Starke Schwankungen

So haben etwa die vier in Deutschland ansässigen Übertragungsnetzbetreiber (TenneT, Transnet BW, Amprion und 50Hertz) bei verschiedenen Forschungseinrichtungen gemeinsam Studien in Auftrag gegeben, um zu simulieren, wie die Sonnenfinsternis am 20. März die Stromversorgung beeinträchtigen könnte. Bei wolkenlosem Himmel etwa könnte laut Berechnungen des Instituts für elektrische Anlagen und Energiewirtschaft an der RWTH Aachen die Solarstromleistung am Vormittag des 20. März zunächst um rund 13 Gigawatt zurückgehen und anschließend um einen noch größeren Betrag, nämlich 19 Gigawatt, ansteigen – das wäre so, als würde man gleichzeitig alle momentan noch laufenden Kernkraftwerke auf einen Schlag gleichzeitig vom Netz nehmen. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch zwei unabhängige Studien, durchgeführt an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin beziehungsweise am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg.

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"Ausschlaggebend dabei ist, auf welcher Zeitskala die Leistungsänderung stattfindet", erläutert Johannes Mayer, der an der ISE-Studie beteiligt war. "Denn je steiler dieser Leistungsgradient ist, desto schneller müssen die Stromanbieter die Erzeugung ihrer Kraftwerke reduzieren oder erhöhen, um die Stromversorgung stabil zu halten." Besonders spannend wird daher jene Phase der Finsternis, während der unser Mond die Sonnenscheibe wieder freigibt. Je nach Standort wird sich die Sonne etwa zwischen 9.30 Uhr und 12.00 Uhr teilweise verdunkeln. Da sich die Austrittsphase entsprechend auf die Mittagszeit zubewegt und das Tagesgestirn dann bald seinen Höchststand am Himmel erreicht hat, ist auch die Sonneneinstrahlung wesentlich stärker als während der Eintrittsphase. In dieser zweiten Phase könnten, so die Forscher des Fraunhofer-Instituts ISE, Fotovoltaik-Leistungsgradienten auf 15-Minuten-Basis auftreten, die die bisher erreichten Maximalwerte um das Zweieinhalbfache überschreiten. Der Viertelstundentakt ist deshalb relevant, da sowohl der tagesaktuelle als auch der am Vortag abgefertigte Stromhandel unter anderem in Viertelstundenpaketen als kleinste Einheit auf dem freien Markt getätigt wird. Daher haben die Netzbetreiber den Markt aufgerufen, für diesen Tag ausreichend 15-Minuten-Produkte bereitzustellen.

Von Seiten der Stromerzeuger sollten solche Leistungsschwankungen prinzipiell unproblematisch sein. Konventionelle Kraftwerke wie etwa Gas- oder Pumpkraftwerke lassen sich in der Produktion auf entsprechend kurzen Zeitskalen regulieren. Und im Zweifelsfall ließen sich auch nachhaltige Kraftwerke wie Wind- oder Solaranlagen rasch herunterregeln oder vollständig abschalten. Derlei Schritte sind aber bisher nicht geplant. Vor allem werden die Übertragungsnetzbetreiber entsprechend höhere Mengen an Regelenergie als gewöhnlich beauftragen, die bei Bedarf abgerufen werden kann und unabhängig vom freien Markt gehandelt wird.

Wettermodelle schaffen Abhilfe

Wie viel Regelenergie in etwa benötigt wird, lässt sich jedoch erst abschätzen, wenn klar ist, wie das Wetter am 20. März sein wird – im schlechtesten Fall also erst einen Tag vorher. Als Wettermodell dienen hier unter anderem Simulationen, die Carmen Köhler vom Deutschen Wetterdienst gemeinsam mit Kollegen vom Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik IWES in Kassel entwickelt hat. Sie berücksichtigen neben den konventionellen Methoden der Wettervorhersage und der Sonneneinstrahlung bei unterschiedlichen Witterungsverhältnissen auch Änderungen in der Atmosphäre, die die Sonnenfinsternis selbst hervorruft. So wird die Entwicklung konvektiver Bewölkung, etwa Schönwetterwolken, durch die fehlende Einstrahlung gehemmt, während beispielsweise Hochnebel eher verstärkt wird. In der Woche bis zur Sonnenfinsternis wird Köhler täglich aktuelle Wetterprognosen liefern, die zur weiteren Analyse in den relevanten Bereichen wie Stromfluss- und Marktentwicklung frei zur Verfügung stehen werden.

Partielle Sonnenfinsternis | Am 20. März 2015 verdunkelt sich die Sonne über Europa um bis zu 80 Prozent. Ist das Wetter gut, könnte das große Leistungsschwankungen im Stromnetz hervorrufen.

Präventiv haben die Übertragungsnetzbetreiber auch ihre Mitarbeiter speziell für die neue Situation geschult und mögliche Szenarien für das Geschehen am 20. März durchgespielt. Die Schaltstellen zu Stromnetz, Partnernetzbetreibern und Strommarkt werden verstärkt mit Personal besetzt sein, um entsprechend rasch und flexibel reagieren zu können. Zudem wird die Kommunikation zwischen den verschiedenen Übertragungsnetzbetreibern verstärkt. "Wir haben unser Bestes getan, um gut vorbereitet zu sein. Endgültig lässt sich die exakte Situation aber nicht vorhersagen. Ein Restrisiko bleibt also bestehen. Schwer kalkulierbar ist vor allem das Verhalten des Marktes", so die Sprecherin von TenneT.

Doch auch hier ist vorgesorgt. Der Strombörsenhandel selbst setzt auf 15-Minuten-Produkte, die sich sehr kurzfristig handeln lassen. "Auf diese Weise können starke Schwankungen besser abgebildet und die Nutzung der Regelenergie auf ein Minimum beschränkt werden", erläutert ein Sprecher der Europäischen Strombörse. "Die EPEX SPOT hat ihre Kunden über den Sachverhalt aufgeklärt. Wir sind davon überzeugt, dass dieses außergewöhnliche und sehr seltene Ereignis gemeinsam mit allen Marktteilnehmern ohne signifikante Risiken zu meistern ist."

Und auch Thomas Gobmaier von der Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE) in München sieht dem astronomischen Ereignis relativ entspannt entgegen. "Wir wissen genau, was am 20. März auf uns zukommen wird, und können uns darauf einstellen." Es gebe ausreichend konventionelle Kraftwerke, die für die Solarzellen Ersatz liefern. "Sie sind in der Lage, die starke Ab- und Zunahme der Solarleistung auszugleichen", erklärte Gobmaier gegenüber der "Süddeutschen Zeitung".

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