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Klimaschutz: Die übertriebene Hoffnung namens Aufforstung

Wälder pflanzen gegen den Klimawandel - das hört sich gut an. Aber weltweit fallen immer noch Urwälder, und Absichtserklärungen allein reichen nicht aus.
Holzplantage gegen die Erderwärmung

Für den globalen Klimaschutz durch Wälder war 2019 ein katastrophales Jahr: In Amazonien nahm die Abholzung und die Zahl der Feuer verglichen mit den Vorjahren drastisch zu, in Bolivien gingen mehr als fünf Millionen Hektar Waldland in Flammen auf. In Indonesien brannten Wälder ebenso ab wie im Kongo. Und auch in Sibirien, in Kanada und Alaska tobten riesige Flächenfeuer in den Nadelwäldern der Region. Die Gesamtbilanz 2019 steht noch aus, doch vorläufige Schätzungen beziffern die freigesetzte Kohlendioxidmenge höher als die mancher Industriestaaten in einem ganzen Jahr.

Wie Hohn mutet es da an, dass manche Politiker gerade auf das vermeintliche Potenzial der Aufforstung als beste Klimaschutzmaßnahme verweisen – während gleichzeitig weltweit kohlenstoffreiche Urwälder verbrennen. Sie beziehen sich auf eine Studie von Wissenschaftlern um Jean-Francois Bastin von der ETH Zürich in »Science«, die das weltweite Potenzial für Wiederbewaldung berechnet haben. Und dieses scheint auf den ersten Blick gewaltig: Bis zu 200 Milliarden Tonnen Kohlenstoff könne man der Atmosphäre entziehen, wenn wir mehr als eine Billion Bäume pflanzen würden. Und laut den Forschern gäbe es dafür weltweit mehr als genug Flächenreserven, etwa marginales Ackerland, extensiv bewirtschaftete Weiden oder ungenutzte Brachen von den Tropen bis in die borealen Breiten.

Schon kurz nach der Veröffentlichung der Studie regte sich unter Klimawissenschaftlern Kritik. Sie galt teils den daraus von der Politik gezogenen Schlüssen, teils aber auch den eigentlichen Resultaten. Mehrere »Letters« an »Science« unterstützen und verstärken nun diese Zweifel.

Übersehene Einschränkungen

Kritisiert wird beispielsweise, dass der Trend in den Tropen (vor allem in Südamerika und Südostasien) in den nächsten Jahren auf eine weitere Ausdehnung landwirtschaftlicher Flächen auf Kosten von Wäldern hindeutet. Angesichts der aktuellen Politik von Jair Bolsonaro in Brasilien oder Evo Morales in Bolivien oder den indonesischen Plänen auf Borneo und Neuguinea spricht kaum etwas dafür, dass hier bald eine Umkehr stattfindet. Andere Wissenschaftler bezweifeln das Potenzial für Aufforstungen in ariden Gebieten wie Teilen Australiens oder in kühlen borealen und subarktischen Breiten – wo Aufforstungen sogar kontraproduktiv sein könnten: Da Wälder relativ dunkel sind, verringern sie die Albedo der Gebiete; weniger Sonneneinstrahlung wird ins All reflektiert und stattdessen mehr in Wärmeenergie umgewandelt. Diese könne die Freisetzung von Methan aus den Permafrostgebieten beschleunigen und so kurzfristig die Erderwärmung weiter antreiben. Manche der eingesandten Anmerkungen bezweifeln sogar die kalkulierte Senkenwirkung von 200 Milliarden Tonnen Kohlenstoff durch die neuen Wälder. Die Werte seien fünffach zu hoch, so der Einwand.

Prinzipiell ist es natürlich gut, wenn wir es Wäldern wieder »erlauben«, sich auszudehnen. Riesige Flächen in Amazonien, auf Sumatra und Borneo, in Sibirien, aber auch in Europa und den USA kämen dafür in Frage. Schon einige Maßnahmen reichen beispielsweise aus, um wenig ergiebige Viehweiden im Amazonasbecken ertragreicher zu machen und so den Flächenverbrauch zu reduzieren. Auch gezielte Aufforstungen können helfen, wenn es sich nicht einfach nur um Holzplantagen mit exotischen Hölzern handelt, sondern mit einheimischen Bäumen Ökosysteme wiederhergestellt werden – was auch der Artenvielfalt helfen würde.

Wie entwickelt sich die Waldfläche?

Umstritten ist allerdings, wie sich die Waldfläche im globalen Maßstab verändert. Die Welternährungsorganisation FAO stellte 2018 einen Bericht vor, laut dem die weltweit von Wäldern bedeckten Gebiete weiter geschrumpft sind: Laut den damals vorhandenen neuesten Daten von 2015 war der Waldanteil auf der Erde seit 1990 nochmals von 31,6 auf 30,6 Prozent geschrumpft. Hohen Verlusten in Südamerika, Afrika und Südostasien standen Gewinne in Europa und China gegenüber. Ein Vergleich der Zahlen von 1982 und 2016 in »Nature« zeigte dagegen in diesem Zeitraum einen Zuwachs um sieben Prozent oder 2,2 Millionen Quadratkilometer.

Der »Global Forest Watch« zweifelt wiederum die Zahlen der FAO massiv an, weil sich diese zu sehr auf die von den Mitgliedsländern übermittelten Daten verlasse. Eigene Satellitenauswertungen kämen dagegen zum Schluss, dass sich vor allem in den Tropen die Abholzung noch weiter beschleunigt hätte: Sie betrug demnach 2017 rund 160 000 Quadratkilometer und war fast so hoch wie im Jahr zuvor, dem bisherigen Rekordhalter seit Beginn der Aufzeichnungen 2001.

Auch wenn viele Politiker also vollmundig ankündigen, dass sie Wälder pflanzen wollen: In zahlreichen Staaten der Erde findet das Gegenteil statt. Auf den Satellitenbildern tauchen immer neue Brennpunkte auf, etwa Bolivien, Paraguay oder der Kongo, wo sich die Entwaldung rapide beschleunigt. Die Menschheit tut demnach genau das Gegenteil dessen, was sie tun sollte. Und deshalb sollten wir nicht allzu große Hoffnungen auf die Aufforstung zum Klimaschutz setzen.

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