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Meinels Web-Tutorial: Wer regiert das Internet?

Das Internet verdankt seinen Erfolg wohl auch der Tatsache, dass niemand an den Hebeln der Macht sitzt. Wer die Entwicklung des Netzes koordiniert, erklärt unser Web-Tutorial.
Das Internet wird eher koordiniert als beherrscht

Fragt man heute, wer das Internet oder World Wide Web »regiert«, dann hört man oft die Namen von den berühmten CEOs der großen Digitalkonzerne. Auch von Regierungs- und Behördenchefs der im Netz aktiven Staaten und Geheimdienste ist die Rede. Das ist vordergründig und faktisch sicher nicht ganz falsch.

Es verkennt aber zum einen, wie schnell der wirtschaftliche Erfolg im Web dahin sein kann, und zum anderen, welche kurze Halbwertszeit staatliches Knowhow hat. Die eigentlichen Köpfe und Macher von Internet und Web sind internationale Forschungs- und Entwicklerorganisationen, die mit ihren technischen Entwicklungs- und Standardisierungsleistungen das Internet und WWW im Hintergrund und in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt vorangetrieben haben und es weiter vorantreiben. Sie haben mit Internet und WWW ein äußerst dichtes, persistentes und umfassendes Gewebe geschaffen, auf dem die ganze neue digitale Welt gründet. Will man wissen, wer das Web tatsächlich webt, muss man hinter die Kulissen schauen.

Zunächst einmal gehört es zu den wesentlichen Merkmalen des Internets, dass es nicht zentralistisch organisiert ist, sondern aus einem Netz von Millionen, über verteilt agierende Zwischensysteme verbundener, eigenverantwortlich betriebener Netzwerke besteht. Es gibt hier keine Stelle, die vor allen anderen ausgezeichnet wäre und von der aus das Internet gesteuert und Befehle gegeben werden könnten. Beständig kommen neue Netzwerke und Systeme hinzu, während alte Systeme abgeschaltet werden, ohne dass davon der Betrieb des Internets als Ganzem betroffen wäre – wie in einem lebenden Organismus, der seine Zellen regeneriert, wächst und totes Gewebe abstößt.

Welche clevere Technik steckt hinter dem Begriff TCP/IP? Wie bekommt man Videos ins Netz? Und warum erscheint uns das Internet aus einem Guss, obwohl es aus Milliarden unterschiedlicher Rechner besteht? Das und mehr beleuchtet Informatikprofessor Christoph Meinel alle drei Wochen bei seinem Blick hinter die Kulissen des World Wide Web.
Alle Folgen gibt es hier: »Meinels Web-Tutorial«

Damit das funktioniert, müssen alle Einzelbestandteile und Akteure im Internet perfekt zusammenpassen – hier spielen Standards eine entscheidende Rolle – und es braucht Organisationen, die diese Standards festlegen und notwendige Maßnahmen steuern. Aber auch für die Entwicklung von Internetstandards gibt es keine zentrale Instanz. Auch heute noch, wo wir alle vom Internet und seinen Diensten abhängen, ist dies ein weitgehend sich selbst steuernder Prozess, getrieben von der weltweit vernetzten Community von IT-Fachleuten, die Standards vorschlagen, ausprobieren, begutachten und empfehlen. Die sehr offene, die weltweite Internetgemeinde involvierende Gestaltung der Entwicklung und Weiterentwicklung des Internets ist wohl einmalig in der Technikgeschichte und wohl auch ein für den Erfolg ganz entscheidendes Charakteristikum des Internets.

Bereits Anfang der 1980er Jahre wurde klar, dass es in diesem sich selbst steuernden Entwicklungsprozess der zahlreichen, dezentral und unabhängig vorangetriebenen Entwicklungen einer die Standardisierung koordinierender Stelle bedarf. So wurde das Internet Architecture Board (IAB) eingerichtet mit der Maßgabe, einen Überblick über die ständig neu geschaffenen Standards zu behalten, wichtige Neuentwicklungen anzustoßen und zwischen den verschiedenen Organisationen, die an der Entwicklung des Internets beteiligt sind, zu koordinieren. Das IAB beauftragt verschiedene Internet Task Forces (ITF) damit, anfallende Forschungs- und Entwicklungsaufgaben zu erledigen, die für die Weiterentwicklung des Internets notwendig sind, wie die Entwicklung und Testung vorgeschlagener neuer Funktionalitäten oder das Patchen und Erweitern von Protokollen. Die ITFs berichten mit regelmäßigen Statusreports dazu dem Vorstand des IAB.

Besondere Bedeutung bei der Unterstützung des IAB kommen der Internet Engineering Task Force (IETF) und der Internet Research Task Force (IRTF) zu. Die IETF ist damit befasst, neue Kommunikationsstandards wie IP, TCP http umzusetzen und in die Breite der Anwendung zu bringen, und wird dazu von der Internet Engineering Steering Group (IESG) unterstützt. Das IRTF ist ein Gremium, das sich speziell den Forschungsfragen widmet, die zur Entwicklung neuer Funktionalitäten und Internetkommunikationsprotokolle führen. Forschungsgruppen des IRTF beschäftigen sich zum Beispiel mit Fragen des Routing, der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, dem Schutz der Privatsphäre und Fragen der Sicherheit und des Servicemanagements.

Das Internet Architecture Board | Das IAB koordiniert die Task Forces für Forschung und Entwicklung.

Im Zuge des rasanten Wachstums des Internets wurde Ende der 1980er Jahre die Internet Assigned Number Authority (IANA) gegründet, die global für die Steuerung der Vergabe und Verwaltung von IP-Adressen sowie der Registrierung von Name-Rootservern und der Network Information Center sorgte. Die erste der genannten Aufgabe wurde dann 1998 an eine privat organisierte und heute deutlich bekanntere Organisation ausgelagert, die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN).

Um die vielen global und dezentral agierenden Organisationen zu koordinieren, wurde als übergreifendes Dach 1992 in Japan die Internet Society (ISOC) gegründet. Sie überwacht die Entwicklungs- und Forschungsarbeiten des IAB sowie die Registrierungen und Publikationen von IANA beziehungsweise ICANN und ist heute die wichtigste internationale Instanz zur Verabschiedung von Standards, die ihr von den nachgeordneten Gremien empfohlen werden.

An der Spitze steht die Internet Society | Sie ist heute die wichtigste internationale Instanz zur Verabschiedung von Standards.

Die wichtigste Organisation, die sich mit der Weiterentwicklung und Empfehlung neuer Standards im WWW beschäftigt, ist das World Wide Web Consortium (W3C). Dieser durch Mitgliedsbeiträge und Spenden finanzierte Verein wurde 1994 vom Web-Pionier Tim Berners Lee aus einer IETF-Arbeitsgruppe ausgegründet und wird bis heute von ihm geleitet. Da das W3C keine anerkannte internationale Organisation ist, kommt ihm nicht das Recht zu, eigene Standards und ISO-Normen zu veröffentlichen. Formal hat das W3C lediglich ein Vorschlagsrecht für die Weiterentwicklung des WWW. Faktisch ist das W3C aber dennoch sehr bedeutend, da die vom W3C erarbeiteten Empfehlungen großes Gewicht haben und von der ISOC in aller Regel direkt zu neuen Standards erhoben werden. Das W3C befasst sich außerdem mit der Pflege der wichtigsten WWW-Standards wie HTML, CSS und XMS.

Wenn wir auf die Entwicklung des Internets in Deutschland schauen, dann erkennt man, dass Deutschland hier keine Pionierrolle gespielt hat und lange hinterherhinkte. Man tat sich sehr schwer mit der Grundidee des Internets, Daten (»nur«) so gut es geht, aber ohne Garantie auf Vollständigkeit weiterzuleiten. Erst 1984 wurde der Verein zur Förderung eines Deutschen Forschungsnetzes (DFN-Verein) von deutschen Informatikern gegründet und von der Bundesregierung finanziert. Das DFN befasste sich vor allem damit, die rasante Entwicklung der Internettechnologien in den USA, die dort durch den geförderten Anschluss aller Universitäten ans Netz mit Macht voranschritt, in Deutschland nachzuholen. Im Gründungsjahr wurde an der Universität Dortmund der erste Großrechner mit Internetanschluss installiert, aber es sollte noch bis in die 1990er Jahre dauern, bis das erste Schmalbandnetz bei 64 Kilobit pro Sekunde seinen Betrieb aufnehmen konnte. Erst 1991 entstand der erste deutsche Name-Server für die Top-Level-Domain .de in Dortmund. Inzwischen hat zumindest das deutsche Wissenschaftsnetz den Vorsprung der Amerikaner aufgeholt. Alle deutschen Universitäten verfügen über ein modernes Gigabitnetz.

So mag es zwar heute so aussehen, als würden Internetgiganten wie Facebook, Google oder Amazon das Internet beherrschen. Bei genauem Hinsehen zeigt sich allerdings, dass alle diese Unternehmen darauf angewiesen sind, dass eine offene globale Internetgemeinde die lebenswichtigen Standards für das Funktionieren von Internet und WWW bereitstellt.

Mit dieser Kolumne endet unsere Tour durch die Welt der Internettechnologie, die uns von kleinen und großen Netzwerken ausgehend an interessanten Dingen und einem echten Cookie-Monster vorbeiführte, und das ganz ohne Stau. Alle 38 bisher erschienenen Folgen des Web-Tutorials finden Sie zum Nachlesen hier aufgeführt.

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