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Lexikon der Astronomie: Strahlungsprozesse in AGN

Es gibt eine große Vielfalt möglicher Strahlungsmechanismen, die in AGN ablaufen können:

thermisch

Jede Form von Materie emittiert thermische Strahlung (Wärmestrahlung), weil sie eine endliche Temperatur aufweist. Es handelt sich um einen Schwarzen Strahler (engl. black body), dem eine charakteristisch zur jeweiligen Temperatur eine Plancksche Strahlungsverteilung zugeordnet ist. Diesem Gesetz gehorchen alle Wärmestrahler. Die heißesten Körper geben die Wärmestrahlung als Röntgenstrahlung ab.
Die dünne Akkretionsscheibe weist eine nach innen zunehmende Temperaturverteilung auf. Nun kann man sich die Scheibe in Ringe konstanter Temperatur zerlegt vorstellen, wobei jeder Ring seine eigene charakteristische Planck-Kurve hat. Das thermische Spektrum der ganzen Akkretionsscheibe ist also eine Überlagerung dieser einzelnen Planck-Kurven – ein so genannter Multi-color black body – die wie ein 'breiter Buckel' im Spektrum erscheint. Reicht die Akkretionsscheibe nahe an das Zentrum des AGN heran, so macht sich dieser Buckel als Weicher Exzess (engl. soft excess) im Röntgenspektrum bemerkbar.

nicht-thermisch

Eine Form nicht-thermischer Emission ist die Synchrotronstrahlung. Sie entsteht immer dann, wenn sich Ladungen in Magnetfeldern beschleunigt bewegen. Diese Strahlung kann man durch Polarisationsmessungen bestätigen, weil sie stets linear polarisiert ist. Bewegt sich die Ladung mit relativistischen Geschwindigkeiten, so ist die Strahlung in Bewegungsrichtung kollimiert (Beaming, siehe auch Blauverschiebung). Die Synchrotronstrahlung der Elektronen ist von besonderer Relevanz, weil sie einerseits auf kurzen Zeitskalen den heißen Akkretionsfluss effizient kühlt und andererseits den größten Teil der Strahlungsemission im Jet ausmacht.

Bremsstrahlung tritt immer dann auf, wenn schnelle, elektrisch geladene Teilchen abrupt abgebremst oder abgelenkt werden. Diese Strahlungsform ist besonders bei den Jets wichtig, wo Jetplasma auf Umgebungsplasma trifft (z.B. am Bugschock).

Das Comptonisierte Kontinuum hat wie bereits beschrieben folgende Ursache: Weiche Photonen (SX in der Abbildung) der kalten, geometrisch dünnen und optisch dicken Scheibe (Standardscheibe, kurz SSD, s.o.) dienen als Eingangsstrahlung, die in der heißen Korona Comptonisiert wird, also durch inverse Compton-Streuung Energie gewinnt (CX in der Abbildung). Dieser Mechanismus wird in der Theorie mit einer Integro-Differentialgleichung, der Kompaneets-Gleichung, beschrieben, die für solche Geometrien, Elektronenverteilungen und Strahlung numerisch gelöst werden muss. Das Resultat ist ein typisches Röntgen-Gamma-Spektrum mit einem charakteristischen exponentiellen Abfall bei einigen 100 keV. Dieser Cut-off lässt bei vorhandenen Röntgendaten (beispielsweise von den Röntgenobservatorien ASCA, ROSAT, Chandra oder XMM-Newton) direkt die Plasmatemperatur ablesen.
Die Strahlung aus der Korona kann auch an der optisch dicken Scheibe reflektiert werden (RX in der Abbildung). Direkte Strahlung von sämtlichen Komponenten ist natürlich auch detektierbar (HX in der Abbildung).

SSD meets ADAF

Der kleine Kasten in der Abbildung vergrößert einen interessanten Bereich, wo die dünne, rotierende Standardscheibe in den aufgeblähten, heißen, ebenfalls rotierenden Akkretionsfluss hineintaucht. Diese Geometrie ist nicht zwingend, kann aber unter gewissen Umständen auftreten. Eine solche Sandwich-Konfiguration wird bei den Experten SSD-ADAF transition, also Übergangszone von Standardscheibe nach advektionsdominierten Akkretionsfluss genannt. Der Übergang ist zeitabhängig und schwingt in radialer Richtung hin und her. Das sorgt auch für eine variable Strahlung aus dieser Region. Dieses räumliche Hin- und Herschwingen ist eventuell eine Ursache (von weiteren Möglichkeiten, z.B. Lense-Thirring-Effekt) für die quasi-periodischen Oszillationen (QPOs), die die Röntgenastronomen in so genannten Powerspektren beobachten. Powerspektren sind im Prinzip die Fourier-Transformierten der Lichtkurve und zeigen periodische Vorgänge als scharfe Spitzen. Die QPO-Frequenzen sind bei den AGN jedoch vermutlich zu klein. In ihrem viel kleineren, stellaren Analog, den Mikroquasaren, wo ein stellares Schwarzes Loch die Materie eines nahen Begleitsterns akkretiert, sind die QPO-Frequenzen groß genug, um beobachtbar zu sein. Ein prominentes Beispiel ist der Röntgendoppelstern Cygnus X-1. Die Mikroquasare sind wesentliche Studienobjekte auch für die AGN-Physiker, weil sie eine ähnliche Physik aufweisen (jedoch keinen Staubtorus) und die Quellen viel näher (innerhalb der Milchstraße!) und damit besser beobachtbar sind.

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  • Die Autoren
- Dr. Andreas Müller, München

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