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Naturschutz: Die Freiheit beginnt hinter dem Zaun

Neuseeland wird von Tieren geplagt, die dort nicht vorkommen sollen. Um die einheimische Fauna zu schützen, werden massive Zäune gebaut. Das soll Inseln auf dem Festland retten.
Takahe in Zealandia

Auf der saftigen Wiese rupft eine Takahe-Ralle mit metallisch-blau schimmerndem Gefieder von der Größe einer Gans eifrig Gras. Ein paar Meter weiter sonnt sich eine urtümliche Tuatara-Brückenechse vor ihrer Höhle in der Frühlingssonne. Im Wald daneben flattern Kakas – eine von mehreren nur in Neuseeland heimischen Papageienarten – krächzend von einem Baumwipfel zum nächsten, während am Boden ein Sattelvogel durchs Unterholz hüpft und Insekten sucht. Gleichzeitig zwitschert vom Hang her ein "Hihi" genannter Vogel in schwarz-grau-gelbem Gefieder sein Lied.

Wer diese Tiere keine zehn Autominuten vom Zentrum der neuseeländischen Hauptstadt Wellington entfernt im Karori-Wildlife-Reservat sieht, fühlt sich wahrscheinlich um zwei bis drei Jahrhunderte zurückversetzt. Schließlich galten Tuatara, Sattelvogel und Hihi bereits vor mehr als 100 Jahren auf den beiden großen Inseln Neuseelands als ausgestorben. Takahes überlebten ausschließlich auf der Südinsel, Kakas im Norden des Landes, doch stehen beide kurz vor dem Aussterben. Aus Übersee eingeschleppte Säugetiere, von Ratten über Wiesel und Hermeline bis zu verwilderten Hauskatzen, haben sie und viele andere der nicht an solche Raubtiere angepassten einheimischen Arten massiv dezimiert. Nur auf einige abgelegene Inseln drangen die invasiven Arten nie vor. Dort überlebten ein paar Vertreter der endemischen Tierwelt. In einem herkömmlichen Naturschutzgebiet auf dem neuseeländischen Festland haben diese Tiere hingegen nicht den Hauch einer Chance gegen die überlegenen Raubtiere.

Zealandia aus der Luft | Früher sollten hier Stauseen die Wasserversorgung von Wellington garantieren. Doch eine aktive Erdbebenlinie sorgte dafür, dass das Wasser abgelassen wurde. Stattdessen entsteht hier wieder ein Stück urtümlicher neuseeländischer Natur.

Das Karori-Reservat, auch Zealandia genannt, ist alles andere als ein herkömmliches Schutzgebiet. Als die Europäer diesen Landstrich in der Mitte des 19. Jahrhunderts besiedelten, rodeten sie die Laubwälder in einem Tal unmittelbar neben der heutigen Vorstadt Karori, um dort ihre Farmen anzulegen. Lange blieben die Bauern allerdings nicht, denn schon relativ kurze Zeit später wurde hier das Wasser für die wachsende Stadt Wellington gewonnen und in zwei Stauseen gespeichert. Dann schlugen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Geoforscher Alarm: Das Tal liege genau über einer aktiven Erdbebenspalte, weshalb im Katastrophenfall berstende Staumauern und Flutwellen drohten – seither kommt das Trinkwasser Wellingtons aus anderen Regionen. Aus einem der Stauseen wurde das Wasser komplett abgelassen, im anderen der Spiegel auf ein ungefährliches Niveau abgesenkt. Und die Metropole besaß plötzlich eine riesige neue Grünfläche.

Zurück zur ursprünglichen Natur

Statt dort aber ein normales Naherholungsgebiet zu schaffen, wollten engagierte Bürger ein Stück neuseeländischer Natur zurückholen – was ohne zusätzlichen Schutz aber schnell scheitern würde. Nur ein Zaun, der unerwünschte Eindringlinge aus dem Schutzgebiet aussperrt, konnte dies erreichen. 1993 setzten sich daher 22 Naturschützer, Ingenieure und Wissenschaftler zusammen, um ein Sperrwerk auszutüfteln, das 14 gefährliche Invasoren draußen halten sollte: Haus- und Wanderratten, Kaninchen und Hasen, Ziegen und Schweine, Hausmäuse und Hauskatzen, Igel, Rotwild, Wiesel, Hermeline und Frettchen sowie den Fuchskusu, ein Beuteltier aus Australien.

Genaue Kenntnisse zur Biologie und der maximalen Leistungsfähigkeit der Tiere lieferten dann die Grundlage für die Barriere: So springen Katzen von den Beutegreifern am höchsten, bei 1,80 Metern ist aber auch für die kräftigsten und geschicktesten Individuen das Maximum erreicht. Da sich der Zaun durch hügeliges Gelände zieht, wurde zudem eine Sicherheitsreserve eingeplant, weshalb sich die Experten auf eine Höhe von 2,20 Metern einigten. Mäuse wiederum quetschen sich durch die engsten Spalten, Maschengrößen von 6 mal 50 Millimetern sollten aber auch für ein Mäusebaby zu schmal sein. An den rund zwei Millimeter dicken Stahldrähten des Geflechts beißen sich die stärksten Kiefer die Zähne aus. Sollten Ratten an den Maschen hochklettern, stießen sie ganz oben auf ein unüberwindbares Hindernis in Form eines überstehenden Dachs. Um grabende Arten auszusperren, zogen die Konstrukteure zudem zusätzliche 40 Zentimeter Maschengeflecht in den Untergrund ein.

Doch würde ein Prototyp auch den Praxistest überstehen? 200 Tiere, von Hermelinen und Wieseln über Katzen bis zu Ratten und Mäusen, durften sich an der Neuentwicklung versuchen, keines davon überwand das Hindernis. Damit waren 1998 Planung und Tests abgeschlossen, der Zaun konnte in Auftrag gegeben werden. Fast ein Jahr später umschloss ein knapp neun Kilometer langer Zaun das Reservat – inklusive Alarmanlage: "Ganz oben auf dem Zaun liegt ein durchgehender Überwachungsdraht", erklärt Julie Milne vom Hersteller solcher "XCluder"-Zäune. Dort fließt ein schwacher Strom, der unterbrochen wird, wenn ein Baum auf den Zaun stürzt, den Draht zerreißt und das Hightech-Konstrukt beschädigt. Eine Zentrale registriert die Stromunterbrechung und schickt den Reparaturtrupp los. Der kann auf einem breiten Weg direkt außerhalb des Reservats das Gelände umrunden und findet so rasch die neu entstandene Lücke, durch die unerwünschte Siedler in das Reservat eindringen könnten. Dieser Weg bildet gleichzeitig eine Pufferzone, in der keine Bäume und hohen Büsche wachsen, über die kletternde Säuger die Grenze übertreten könnten.

Zaun um Zealandia | Nur mit einem massiven Hochsicherheitszaun lassen sich invasive Arten aus dem Naturschutzgebiet halten: Er muss kletternden, springenden und grabenden Säugetieren den Zutritt verwehren.

240 Neuseeland-Dollar hat jeder einzelne Meter gekostet. Zusammen mit einer aufwändigen und mit Videokameras überwachten Sicherheitsschleuse, durch die Besucher ohne heimliche Begleitung von Mäusen, Igeln und anderen Säugetieren das Gelände betreten können, kam die Gesamtrechnung auf satte 2,3 Millionen Neuseeland-Dollar (rund 1,5 Millionen Euro). Zusätzlich verschlingt die Unterhaltung jedes Jahr bis zu 7,5 Prozent der ursprünglichen Baukosten.

Der Kampf gegen die Insassen

Nach der Montage folgte auf den eingezäunten 225 Hektar ein groß angelegtes Ausrottungsprogramm: In nur acht Wochen wurden in Fallen weit mehr als 1000 Fuchskusus gefangen, die nicht nur die einheimische Vegetation niederfressen, sondern auch Vogeleier als Delikatessen schätzen. Naturschützer legten auf der gesamten Fläche massenweise Köder aus, die mit dem für Säugetiere hochgiftigen Natriumfluoracetat präpariert waren. Diese ursprünglich pflanzliche Substanz schaltet mit dem Zitronensäurezyklus die zentrale Energieversorgung in den Zellen von Säugetieren ab. Ihren Erfolg kontrollierten die Naturschützer mit einem dichten Netz kleiner Tunnel aus Pappkarton, an deren Eingang Tiere über eine Art Stempelkissen tappen. Normalerweise finden die Ranger daher in solchen Tunneln rasch die Tintenspuren kleiner Pfoten, die sehr häufig von Nagetieren oder Mardern stammen. Im Karori-Reservat waren sie nach der Vergiftungsaktion offensichtlich verschwunden. Daneben lief die Jagd auf größere Tiere wie Schweine, Ziegen und Rotwild auf Hochtouren, auch die Fallensteller waren weiter unterwegs. Im November 1999 hatten sie die letzten vier Fuchskusus geschnappt, im Dezember tappte der letzte Igel in eine Falle und im Januar 2000 wurde das letzte Kaninchen geschossen. Innerhalb eines halben Jahres war das Reservat von allen unerwünschten Tieren mit Ausnahme der Mäuse befreit. Der Zaun verhindert seither im Prinzip, dass Säugetiere aus anderen Regionen wieder in das Tal eindringen.

Und das kontrollieren die Ökologen laufend. 2004 fanden Ranger tatsächlich wieder Pfotenabdrücke eines Wiesels, 2008 waren erneut Ratten über die Stempelkissen geflitzt. Sehr wahrscheinlich hatten die Tiere eine kurze Chance genutzt, als ein Sturm Bäume auf den Zaun warf und so eine Bresche in die Barriere geschlagen hatte. Doch vergiftete Köder und Schlagfallen machten ihnen rasch wieder den Garaus. Auch dieses Monitoring kostet natürlich Geld, weshalb engagierte Bürger um Jim und Eve Lynch bereits 1995 die Stiftung Karori Sanctuary Trust ins Leben riefen, um Wellingtons Stadtkassen zu entlasten. Seitdem wird das Reservat zwar auch mit öffentlichen Geldern, vor allem jedoch mit Spenden von Privatleuten und Wirtschaftsunternehmen finanziert. Eintrittspreise und Mitgliedsbeiträge decken ebenfalls einen Teil der Kosten von Zealandia, das sich längst zum beliebten Erholungsort und Touristenziel entwickelt hat.

Zwergkiwi | Die Art war auf den neuseeländischen Hauptinseln vom Aussterben bedroht. Nur ein Zuchtprogramm konnte sie retten. In Zealandia haben die Zwergkiwis eine neue, sichere Heimat – solange es gelingt, gefräßige Raubtiere außen vor zu halten.

Die Einheimischen kehren zurück

Schließlich wollen die Besucher aus nah und fern die Ureinwohner Neuseelands kennen lernen, die schon seit Jahrmillionen auf den Inseln leben. Etliche Arten sind seit Juni 2000 nach und nach in das ehemalige Wasserschutzgebiet zurückgekehrt – etwa die flugunfähigen, aber wehrhaften Weka-Rallen, die mit ihren kräftigen Beinen und einem mächtigen Schnabel sogar Ratten fernhalten können. Sie hatten auf den Hauptinseln Neuseelands überlebt und wurden im Reservat ausgewildert. Dagegen ist der Zwergkiwi zwar ähnlich groß, allerdings taugt sein langer Schnabel weniger als Waffe, sondern eher zum Stochern nach Würmern und Insekten im Boden. Sie überdauerten nur auf abgelegenen Inseln; dank eines Zuchtprogramms konnten sie jedoch ebenfalls nach Zealandia übersiedeln. Bei vielen Arten wiederholte sich diese Erfolgsgeschichte.

Tui | Diese zu den Honigfressern zählende Art gehört wohl zu den schönsten Vögeln Neuseelands. Auch sie leidet unter eingeschleppten Fressfeinden. Da die Tuis jedoch im Gegensatz zu vielen anderen Vogelspezies des Landes fliegen und daher fliehen können, ist ihr Bestand noch sicher.

Gleichzeitig begannen die Naturschützer, den Rest des einst gerodeten und zum Teil überfluteten Ökosystems wiederherzustellen. Sie pflanzten mehr als 10 000 einheimische Gewächse bis hin zu den typischen Bäumen der Region, die mit der Zeit den eingeschleppten Bewuchs ersetzen sollen. Bis allerdings wieder der ursprüngliche Steineibenurwald in Zealandia wächst, dürften noch 500 Jahre vergehen. Weniger Geduld brauchen die Einwohner von Wellington, um festzustellen, dass das Karori-Reservat zumindest den bis heute überlebenden Teil der Vogelwelt wiederauferstehen lässt. Flugfähige Arten wie Maori-Glockenhonigfresser, Hihi oder Langbeinschnäpper vermehrten sich so stark, dass sie mittlerweile immer wieder außerhalb des Reservats in den Vorgärten Wellingtons auftauchen. Seit einigen Jahren vermehren sich in Zealandia sogar die urtümlichen Tuataras. Diese Brückenechsen sind die letzten Überlebenden einer ganzen Reptilienordnung, deren Blütezeit in die Ära der frühen Dinosaurier fällt und die sich nur auf einer Hand voll Inseln vor Neuseeland in das 21. Jahrhundert retten konnten.

Vor Ort sprach sich der Erfolg von Zealandia schnell herum. In der Nähe der größeren Städte begannen daher meist private Initiativen, bald weitere Reservate dieser Art aufzubauen. Vielleicht am spektakulärsten ist ein Projekt in der Nähe der nicht einmal 20 000 Einwohner zählenden Stadt Cambridge im Zentrum der Nordinsel. Ein Verein, in dem neben etlichen Farmern und Einwohnern der Stadt auch die staatliche Naturschutzbehörde DoC (Department of Conservation) engagiert ist, riegelte dort einen längst erloschenen Vulkan mit einem 49 Kilometer langen XCluder-Zaun vom Rest des Landes ab. "Auch wenn jeder Meter Zaun zwischen 180 und 250 Neuseeland-Dollar gekostet hat, rentiert sich diese Investition für den Naturschutz", versichert Julie Milne, sichert doch das 13 Millionen Euro teure Projekt des Maungatautari-Reservats rund die 15-fache Fläche von Zealandia. Hier existieren teilweise sogar noch die ursprüngliche Vegetation – und Arten, die man eigentlich seit Jahrzehnten oder Jahrhunderten auf den Hauptinseln nicht mehr beobachtet hat, wie den Duvaucels Gecko (Hoplodactylus duvaucelii): Ihn entdeckten Biologen in einer der aufgestellten Mäusefallen – tot, aber dennoch ein Beleg, dass die Art überlebt hat und eine neue Chance bekommen kann.

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