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Hirnforschung: Neuronale "Schmerzsignatur" erweist sich als Phantom

Lässt sich im Hirnscanner ablesen, ob jemand unter Schmerzen leidet? Das sollte jetzt eine Studie klären - mit Probanden, die seit ihrer Geburt keine Schmerzen empfinden können.
Kopfschmerzen

Eine vermeintlich charakteristische Reaktion des Gehirns auf Schmerz ist vermutlich gar keine. Das ist das Ergebnis einer Studie, für die Wissenschaftler die so genannte Schmerzmatrix des Gehirns genauer untersucht haben. Sie baten dazu Menschen in den Hirnscanner, die auf Grund einer extrem seltenen Mutation keinerlei Schmerzen empfinden können.

Verpasst man einer Versuchsperson im Hirnscanner leichte Schmerzreize, reagiert das Gehirn auf immer ähnliche Weise durch Aktivierung bestimmter Hirnregionen. Weil sich dieses Signal so immer wieder zeigt und auch bei ganz unterschiedlichen Reizen auftaucht, gingen viele Wissenschaftler bisher davon aus, dass sich hier das subjektive Schmerzempfinden neuronal manifestiert. Das heißt: Sieht man dieses Erregungsmuster im Hirnscanner, dann hat die gescannte Person Schmerzen. Haben sie damit Recht, könnte man beispielsweise auch bei Probanden, die sich nicht mitteilen können, objektiv messen, ob sie unter Schmerzen leiden. Auch bei der Entwicklung und Genehmigung von Medikamenten könnte ein solches Messverfahren von großem Vorteil sein.

Doch als nun das Team um John Wood vom University College London zwei Versuchspersonen in den funktionellen Magnetresonanztomografen legten und sie mit einem Apparat in den Handrücken piksten, fanden die Forscher genau die gleiche Aktivität in der Schmerzmatrix wie bei den vier ebenso behandelten Kontrollprobanden. Und das, obwohl die beiden Probanden rein körperlich nicht in der Lage sind, Schmerzen wahrzunehmen.

Irritierende Reaktion

Wood und Kollegen ziehen daraus den Schluss, dass Aktivität in der vermeintlichen Schmerzmatrix nicht mit subjektiv empfundenen Schmerzen einhergeht. Stattdessen könnte sich darin eine Antwort des Gehirns auf Reize ausdrücken, die besonders stark die Aufmerksamkeit auf sich ziehen – unabhängig davon, ob diese mit Schmerz auftreten oder nicht.

Das Forscherteam bestätigt mit ihrer Studie die Skepsis anderer Fachkollegen. Diese hatten bereits aus rein logischen Gründen an der Aussagekraft der Schmerzmatrix gezweifelt: Das grundsätzliche Problem ist, dass Schmerz immer mit aufmerksamkeitsheischenden Stimuli einhergeht. Folglich lässt sich beides experimentell nicht strikt voneinander trennen. Zumindest bei der allergrößten Mehrheit der Probanden. Dank der Beteiligung der beiden sicher schmerzfreien Versuchspersonen konnten die Forscher nun erstmals beide Phänomene unabhängig voneinander betrachten.

Bei den Freiwilligen hat das Gen SCN9A seine Funktion verloren; den Betroffenen fehlt dadurch ein spezieller Natriumkanal, mit dem die Nervenzellen des für die Schmerzweiterleitung verantwortlichen Systems normalerweise ihre Reize empfangen. Ohne den Natriumkanal bleiben diese Nervenverbindungen stumm, im Gehirn der Menschen kommen keinerlei Signale an. Für die Betroffenen ist dies mit erheblichen Gesundheitsgefahren verbunden, da ihnen die Schutzfunktion des Schmerzes fehlt. Weltweit sind nur wenige Menschen mit dieser Mutation bekannt.

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