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Rosetta-Mission: Komet Tschuri ist ein harter Brocken

Die Landung der Sonde Philae auf dem Kometen Tschurjumow-Gerasimenko ist ein Glanzstück der Raumfahrt. Doch seine Geheimnisse gab der Brocken nicht so einfach preis.
Zu den erfolgreichsten und weltweit wohl am stärksten beachteten Missionen der ESA in der jüngeren Vergangenheit gehört die von Rosetta und ihrer Tochtersonde Philae, die auf dem Kometen 67P gelandet ist.

Hart oder weich? Vor der ersten Kometenlandung der Geschichte war das eine der am heftigsten diskutierten Fragen. Wie würde die Oberfläche beschaffen sein, auf der erstmals eine Raumsonde weich landen würde? Der huckepack auf der Kometensonde Rosetta mitfliegende Lander Philae hätte an einer Eiswand abprallen oder ebenso gut in einer metertiefen Schicht feinen Regolithstaubs einsinken können, auf Nimmerwiedersehen. Die Realität war indes viel komplizierter. Philae landete nicht sofort, er hüpfte über die Kometenoberfläche. Am Ende blieb er einfach liegen, in einer wenig vorteilhaften Position, seine rundum ausgerichteten Kameras halb auf kaum beleuchtetes Gestein, halb in den Sternenhimmel gerichtet. Die erste Kometenlandung war irgendwie geglückt, und die Forscher lernten: Kometen sind wirklich harte Brocken.

Anflugbild von Philae | Dieses Bild nahm die Kamera ROLIS an Bord von Philae am 12. November 2014 um 15:38 Uhr MEZ aus einer Entfernung von rund drei Kilometern zum Kometenkern beim Anflug auf. Der Landeplatz befindet sich in der Bildmitte. Das Bild hat eine räumliche Auflösung von drei Metern pro Bildpunkt, rechts oben ist ein Teil eines der drei Landebeine zu sehen.

Über 120 an Philae beteiligte Wissenschaftler werteten nun im Fachjournal "Science" den Ritt zum und über den Kometenboden aus. Ihnen kam zugute, dass Philae wie kaum eine bisher gestartete Raumsonde mit Sensoren und Messinstrumenten durchsetzt ist. Ein Viertel seiner Masse besteht aus Geräten, die irgendwelche Daten aufnehmen: von der Antenne über die komplett von Solarzellen bedeckte Außenseite bis zu den Sohlen der Landefüße. Dadurch hat sich auch unser Bild von den Kometen verändert – obwohl Philae bis heute nur zwei Tage sinnvoll Daten lieferte, nämlich direkt während und nach seiner Landung.

Wind ohne Atmosphäre

Um 09:35 Uhr am 12. November 2014 schieben drei Spindeln den gerade 100 Kilogramm schweren Lander von seiner Muttersonde weg, auf eine Bahn nach unten. Der Lander sinkt langsam wie ein gemächlicher Fußgänger dem Kometenboden entgegen, während eine Kamera auf der Unterseite des waschmaschinengroßen Sondenkörpers eifrig Bilder macht – erste wissenschaftliche Daten. Die Aufnahmen zeigen kleine Punkte, die sich nahe am Boden als gewaltige Felsen aus Eis und Staub offenbaren. Vor einem dieser meterhohen Brocken nahe an Philaes erster Landestelle liegt jede Menge Kometenstaub, nicht aber dahinter. Auf Planeten mit einer Atmosphäre könnte der vom Wind dorthin geblasen worden sein, aber auf einem Kometen?

Für den Entwickler der hinabblickenden Kamera, Stefano Mottola vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, ist die Frage nicht leicht zu beantworten. Zwar schießt aus tiefen Röhren in der Kometenoberfläche Gas hervor, an deren Rand Staub mitgerissen und auch wieder abgelagert werden kann. Aber das kann nur in der Nähe dieser Röhren passieren, während Philaes erste Landestelle namens Agilkia auf einer Ebene ohne erkennbare Einbuchtungen liegt. Mottolas Team vermutet daher, dass eingeschlagene Meteoriten das feine Material aufwirbelten und kurzzeitig eine Art von Wind erzeugt haben könnten.

Schächte unter der Oberfläche | Die schachtartigen Vertiefungen erlauben einen Blick bis zu 200 Meter ins Innere des Kometen. An ihren Innenseiten zeigen sich zum Teil geschichtete Strukturen. Diese Vertiefungen finden sich in der Region Seth auf dem "Rücken" des Kometen. Die Aufnahme entstand im September 2014 aus einer Entfernung von 28 Kilometern.

Eine Menge Staub

Die Abstiegskamera wird schließlich abgeschaltet, als Philae sieben Stunden nach dem Abdocken von Rosetta zum Landen ansetzt. Ein Ruck geht durch den Lander: Zuerst registriert ein Beschleunigungsmesser an einem der drei Landebeine den Boden. Dann drückt Philaes träger Körper auf eine darunter gelagerte Spindel – sie soll die Energie des Aufpralls abfangen. Tatsächlich dürfte sie aber nur ein Viertel von Philaes Bewegungsenergie aufgenommen haben. Einen vielfach größeren Teil fing unverhofft der Kometenboden selbst ab: eine über 20 Zentimeter dicke Staubschicht über einer harten Kruste.

Eis auf 67P/Tschurjumov-Gerasimenko | Beispiele für Wassereisflächen auf dem Rosetta-Kometen: Es gibt sie als Ansammlung sowie auch vereinzelt.

In nur 0,8 Sekunden bremste Philae auf null – fast. Tatsächlich hätten nun Harpunen an den Füßen und ein Triebwerk auf der Kopfseite feuern müssen, doch beide versagen. Mit gemächlichen 32 Zentimetern pro Sekunde erhebt sich der Lander wieder in Richtung Südost. Er wird noch fast zwei Stunden im freien Raum verbringen, nur leicht gebremst durch die Kollision mit einer Kraterwand auf seinem Weg und einem weiteren Bodenkontakt.

Schon kurz nach dem ersten Aufsetzen macht Philae ungewollt seine wohl wichtigsten Messungen. Denn der Lander glaubt durch den kurzen Fußkonktakt, gelandet zu sein. Und er lässt vollautomatisch sein Programm ablaufen. Während viele Instrumente im Flug aber gar nichts taugen, zeichnet ausgerechnet das wohl komplizierteste Gerät an Bord eifrig Daten auf. Es trägt den Namen "Cometary Sampling and Composition" (COSAC) und soll organische Moleküle im Kometenstaub untersuchen. Und beim Aufsetzen haben Philaes Landefüße viel davon aufgewirbelt: Die von der Muttersonde aus der Ferne aufgezeichneten Staubwolken lassen auf gut 400 Liter Material schließen. Und weil ein kleiner Messrüssel für COSAC auf der Unterseite des Landers sitzt, wird der Kometenstaub an seinen Bestimmungsort geschleudert, direkt in das schnüffelnde Massenspektrometer.

"Das lieferte uns das saftigste Spektrum", sagt Versuchsleiter Fred Goesmann vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen. Noch während des Fluges zerlegt COSAC den schwarzen Kometenstaub, von dem Forscher schon wussten, dass er einfache organische Moleküle enthält. Bisher waren solche Messungen aber nur aus der Ferne gemacht worden, nie zuvor vor Ort. COSAC findet 16 organische Moleküle, allesamt auf der Basis von Wasserstoff, Sauerstoff, Kohlenstoff und Stickstoff. Vier davon wurden nie zuvor auf Kometen nachgewiesen, einige sind auch im Stoffwechsel irdischer Organismen bedeutsam. Darunter ist etwa das organische Lösungsmittel Acetamid, das bei Bildung der fürs menschliche Erbgut wichtigen Nukleinsäure eine Rolle spielt. Überbewerten will Fred Goesmann die Ergebnisse aber nicht: "Diese Moleküle wurden alle schon mal in Kometensimulationen gefunden", sagt er. Und gerade die erwarteten komplexeren Moleküle wie Aminosäuren fand COSAC nicht. Dazu hätte der an COSAC angeschlossene Gaschromatograf ebenso mit Bodenproben versorgt werden müssen, was aber misslang.

Falschfarbenaufnahme von 67P

Kurze Forschung bei Abydos

Gerade zwei Tage und sieben Stunden ist Philae an seinem ungewollt düsteren Landeort aktiv, den die Forscher Abydos taufen. Hier starten sie das wissenschaftliche Programm nach der Ankuft neu, bei dem bis auf ein Spektrometer alle zehn Instrumente an Bord Daten aufnehmen. Darunter ist auch ein an einem Ausleger angebrachter Hammer namens "Multipurpose Sensors for Surface and Sub-Surface Science", kurz MUPUS. Der versucht mit zunehmender Kraft, die Kometenoberfläche zu durchdringen, scheitert aber letztlich. Offenbar ist die Oberfläche von Abydos viel härter als gedacht.

Es ist der zweite Eindruck von der Kometenkruste, die sich offenbar vom ersten Kontakt unterscheidet: Bei Agilkia war die oberste Bodenschicht viel weicher. Die Forscher vermuten allerdings, dass auch dort eine vergleichbare harte Kruste existierte, aber von der federnden Staubschicht bedeckt war. Die harte Kruste ist ein Zeichen dafür, dass der Komet seit seiner Entstehung nicht aus völlig unverändertem Material besteht, sondern sich dieses Material bei jedem Vorbeiflug durch die Sonnenwärme veränderte. Eis verdampfte aus der oberen Bodenschicht, während die schwarze Kruste aus fest zusammenhaltenden organischen Molekülen wie am Boden einer angebrannten Pfanne zurückblieb, allerdings nicht durch übermäßige Hitze, sondern von ultravioletter Strahlung zu chemischen Reaktionen angeregt.

Als sich Philae am 15. November kurz nach Mitternacht schließlich abschaltet, haben zwar alle seine Instrumente gearbeitet, aber längst nicht jeder Forscher ist zufrieden. Fred Goesmann etwa würde am liebsten noch mal nach komplexeren Molekülen wie Aminosäuren suchen. "Ich hätte gern eine Bodenprobe", sagt er, weil das Ankratzen des Kometenstaubs in der Höhle von Abydos misslingt. Philae wacht zwar am 13. Juni aus seinem Kälteschlaf auf, bislang konnten die Ingenieure ihn aber nicht zum wissenschaftlichen Arbeiten überreden. Die Ingenieure vermuten, dass die zwei Sender an Bord defekt sein könnten. Nach über sechs Wochen mit unstetem Datenaustausch wechselt die Muttersonde Rosetta am 24. Juli auf eine fernere Umlaufbahn außer Reichweite von Philae. Denn ausgerechnet auf der entgegengesetzten Hemisphäre des Kometen dampft gerade viel Staub und Gas hervor, weil der Komet Mitte August seinen sonnennächsten Punkt durchläuft – Material, das der Sonde schaden könnte. Alle paar Wochen wird Rosetta dennoch zurückkehren, um Kommandos an ihren Lander zu übermitteln. Denn noch gibt es Hoffnung auf einen zweiten Satz Messungen von Philae – bevor sich Rosetta selbst auf den Kometen stürzen soll, um in einem furiosen Finale letzte Daten zu sammeln.

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