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Guatemala: Warum die neuesten Maya-Entdeckungen keine Sensation sind

Haben Forscher wirklich über Jahrzehnte abertausende Gebäude der Maya übersehen? Natürlich nicht. Das steckt hinter den Meldungen über einen angeblichen Durchbruch.
LiDAR-Aufnahmen über Guatemala

60 000 Gebäude, darunter steinerne Paläste und Pyramiden, die über Jahrhunderte im dichten Dschungel Guatemalas verborgen waren: Wissenschaftler hätten eine riesige Mayastätte im Regierungsbezirk Petén im Norden des Landes entdeckt, so lautete die Nachricht, die Anfang 2018 für Aufsehen sorgte. Viele Medien wie etwa die »Tagesschau«, »Spiegel.de« oder »GEO.de« berichteten von bedeutenden Erkenntnissen für die Mayaforschung. Zwei- bis dreimal so viele Menschen wie bisher angenommen, hätten zur Blütezeit der Maya gelebt.

Diese Neuigkeiten veröffentlichte die Foundation for Maya Cultural and Natural Heritage (Pacunam), die das Projekt in Petén mit Forschern aus Guatemala, den USA und Europa leitete, am 1. Februar 2018. Das Forscherkollektiv habe ein Gebiet von 2100 Quadratkilometern mit Hilfe von LiDAR, einer Lasertechnologie, untersucht und sei dabei auf eine riesige Metropolregion gestoßen. Zeitgleich berichtete »National Geographic« exklusiv über die Erkenntnisse und strahlt am 6. Februar eine Dokumentation dazu aus.

»Die Entdeckungen sind von ›National Geographic‹ leider sehr übertrieben präsentiert und in der Öffentlichkeit falsch dargestellt worden«, sagt Nikolai Grube, Professor für Altamerikanistik am Institut für Archäologie und Kulturanthropologie der Universität Bonn. Grubes Schwerpunkt ist die Mayaforschung. Für seine Studien, unter anderem an den Inschriften der Hochkultur, unternahm er mehrere Expeditionen im Bezirk Petén und forschte in Belize, Honduras und in Mexiko. »Es handelt sich bei der jüngsten Veröffentlichung weder um völlig neue Technologien noch um neue Erkenntnisse«, so der Experte.

Laserscans von Angkor Wat bis Göppingen

Die Pacunam-Forschergruppe arbeitete mit LiDAR, dahinter verbirgt sich die Abkürzung für »Light Detection and Ranging«, eine Art Radar mit Laser: Dabei wird an einem Flugzeug ein Scanner installiert, der beim Flug ein Bündel von Laserstrahlen in Richtung Boden schickt. Der Scanner empfängt die von dort reflektierten Signale und erstellt anhand von Reflexionsstärke und Laufzeit des Signals ein Höhenprofil des Untergrunds. Die Wissenschaftler können später am Computer die dichte Vegetation des Regenwalds herausrechnen und so alle Gebäude und Strukturen sichtbar machen, die unter dem dichten Blätterdach verborgen sind.

Die Methode stammt ursprünglich aus der Landvermessung, wird aber seit mehreren Jahren in etlichen Bereichen eingesetzt, so soll sie autonomen Autos dabei helfen, ihre Umgebung zu erfassen. Und auch Archäologen profitieren schon länger davon. Einsatzorte waren beispielsweise die Tempel im kambodschanischen Angkor Wat oder das Boyne-Tal in Irland. In Deutschland haben Archäologen mit Hilfe der LiDAR-Methode die keltischen Anlagen am Glauberg in Hessen neu vermessen, in einem Wald bei Göppingen in Baden-Württemberg ein ganzes Befestigungssystem entdeckt und im Schwarzwald tausende neue Fundstätten ausfindig gemacht.

Seit Jahren erforschen Mayaexperten das dicht besiedelte Hinterland

Auch in der Mayaforschung ist die Methode nicht neu: »Seit 2009 wird im Mayatiefland mit LiDAR gearbeitet«, sagt Archäologe Grube. In dem Jahr begann ein Team unter der Leitung von Arlen und Diane Chase von der University of Las Vegas mit der großflächigen Erforschung der Siedlungen im Hinterland. »Diese Untersuchungen fanden in Belize statt und haben eine viel größere Dimension als die jetzt berichtete LiDAR-Forschung«, erklärt Grube.

Die Belize-Untersuchungen konnten seinerzeit bestätigen, was Forscher schon länger vermuteten: Das ländliche Hinterland der Mayastädte war überraschend dicht besiedelt. Bereits 2011 publizierten Arlen und Diane Chase diese Ergebnisse im Magazin »Science«. Daraufhin wurde die LiDAR-Technologie auch in weiteren Ländern zur Erforschung der Mayasiedlungen eingesetzt.

Überragende Bauten in Tikal, Guatemala | Der dichte Regenwald verbirgt zahlreiche Strukturen, die die Maya einst geschaffen haben. Doch nur wenige Tempel und Pyramiden dürften der Forschung noch gänzlich unbekannt sein.

In Honduras führte ein europäisch/US-amerikanisches Forschungsteam eine großflächige Untersuchung der Stadt Copan durch und fand dabei zahlreiche Siedlungen. Im Bundesstaat Campeche in Mexiko machte der slowenische Archäologe Ivan Sprajc ein breit angelegtes LiDAR-Screening und fand eine enorme Siedlungsdichte und zahlreiche Gebäude, zum Teil mit monumentaler Architektur wie Pyramiden und Palästen.

Auch die Zahl von 60 000 neu entdeckten Gebäuden, wie sie nun durch die Medien geistert, sei irreführend, meint der Experte. »Man assoziiert damit große, steinerne Tempelanlagen und Paläste«, sagt Grube. Es handele sich aber nicht um prächtige »Stätten« mit monumentaler Architektur. Im Wesentlichen habe die Forschergruppe kleine Wohngebäude und Plattformen aus Lehm entdeckt, auf denen die Häuser der einfachen Menschen standen. »Das ist nicht weniger spannend, wird in den Medien aber aufgebauscht und falsch dargestellt«, so der Wissenschaftler.

Statt ausgedehnten Palastgebäuden fanden die Forscher vor allem Strukturen unterschiedlichster Art wie Wege, Hausplattformen, Plätze für Märkte, Bewässerungsanlagen und Staubecken, landwirtschaftliche Terrassen, Kanäle und Verteidigungsmauern. »Die Varietät dieser Strukturen ist sehr interessant«, sagt Grube. Die hohe Dichte der Häuser, Märkte und Wege sei aber nicht neu. »Dass zwischen den großen Städten die Bauern eng nebeneinander wohnten und dass die heute von Urwald bewachsene Landschaft ursprünglich intensiv bebaut und landwirtschaftlich genutzt wurde, wussten wir bereits durch bisherige LiDAR-Forschungen«, so der Archäologe.

Hütten statt Paläste

Die jüngsten Entdeckungen sind also für sich genommen keine Sensation, findet Grube – wirklich bahnbrechend sei dagegen die Lasertechnik selbst: »Wir sind von den Einsichten, die uns dieses Verfahren in die Siedlungsweise der Menschen, die Komplexität der Gesellschaft und den Alltag der einfachen Bauern gibt, zutiefst begeistert«, sagt der Experte. »Mit LiDAR können wir quasi von oben durch den Urwald hindurchschauen.«

Die Entdeckungen in Guatemala geben zudem Ansätze für neue Forschungsfragen: Archäologen können nun an ausgewählten Stellen Ausgrabungen und Datierungen vornehmen. Denn: »LiDAR zeigt uns zwar, wie viele und welche Gebäude es gibt, aber nicht, wann sie konstruiert wurden«, so Grube. Nur durch die Arbeit am und im Boden können Wissenschaftler herausfinden, wie viele Menschen gleichzeitig in dem Gebiet gelebt haben.

Zum Beispiel müssen Forscher verifizieren, in welchen Gebäuden die Maya tatsächlich gewohnt haben und welche sie beispielsweise für Rituale, zum Halten der Tiere oder zum Aufbewahren von Nahrungsmitteln wie Mais nutzten. »Erst wenn wir das wissen, können wir eine realistische Aussage zur Bevölkerungszahl machen«, so Grube. Der Experte nennt noch weitere spannende Fragen, die in Guatemala erforscht werden könnten: Wie genau funktionierte die Wasserversorgung der Maya? Wie schaffte es das indigene Volk, im Urwald großflächig Landwirtschaft zu betreiben? Sind die neu entdeckten Verteidigungsanlagen Indizien für konkrete Kriegsereignisse?

Laut Nikolai Grube geben die Erkenntnisse der LiDAR-Forschung im gesamten Mayatiefland auch Hinweise auf die größte, bisher ungelöste Frage der Mayaforschung: Warum ist das Urvolk trotz seiner hochentwickelten Kultur im 9. und 10. Jahrhundert untergegangen? »Die Erkenntnisse bestärken die These, dass die Bevölkerung insgesamt zu groß geworden ist und dass eine hochkomplexe Gesellschaft in einem tropischen Regenwald auf Dauer nicht existieren kann«, sagt der Experte.

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