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Neurologie: Zehrt chronischer Schlafmangel das Hirn auf?

Wer dauerhaft zu wenig schläft, erhöht womöglich sein Risiko für Alzheimer oder Hirnschäden. Schuld daran ist ein eigentlich nützlicher Aufräummechanismus.
Junger Mann starrt zu lange auf sein Handy und leidet morgen unter Schlafmangel

Chronischer Schlafmangel wirkt sich mehrfach nachteilig auf unsere Gesundheit aus: Er sorgt dafür, dass wir mehr essen oder dass unser Immunsystem schlechter funktioniert. Und auf Dauer kann er auch unser Hirn womöglich schwer schädigen, wie eine Studie von Michele Bellesi von der University of Wisconsin–Madison und ihre Kollegen im "Journal of Neuroscience" andeutet. Denn permanent ohne ausreichenden Schlaf schickt der Körper einen normalerweise nützlichen Reinigungsmechanismus im Gehirn auf Hyperantrieb, befürchten die Forscher angesichts ihrer Studie an Mäusen.

Bellesi und Co hatten die Nager entweder so lange schlafen lassen, wie diese wollten, sie regelmäßig zu festgelegten Zeiten geweckt, ihre Nachtruhe einmal um acht Stunden hinausgezögert oder sie fünf Tage komplett auf Schlafentzug gesetzt, um chronischen Schlafmangel zu simulieren. Die Forscher wollten vor allem sehen, wie bestimmte Gliazellen im Hirn darauf reagieren. Mikrogliazellen beispielsweise gehören zum Verteidigungssystem des Gehirns: Sie überwachen quasi das Gewebe und kontrollieren es fortwährend auf Schäden oder eingedrungene Bakterien. Im Notfall informieren sie Immunzellen oder entsorgen beschädigte Zellen. Und sie sind wohl auch an Gedächtnisvorgängen beteiligt, weil sie Verknüpfungen zwischen Nervenzellen, den Synapsen, beseitigen und so das Lernen von neuen Sachen ermöglichen. Ein großer Teil der Aufräumarbeiten geschieht nachts, wenn die Denkleistung unseres Gehirns heruntergefahren wird.

Doch dieser Mechanismus scheint aus dem Ruder zu laufen, wenn ausreichend Schlaf über längere Zeit fehlt. Als die Neurologen die Aktivität dieser Mikroglia in den Mäusehirnen verglichen, beobachteten sie etwas Bemerkenswertes: Bei den ausgeschlafenen und bei den normal geweckten Mäusen waren die Mikroglia in 5,7 beziehungsweise 7,3 Prozent der Synapsen aktiv. Bei den Vergleichsgruppen hingegen hatten sie ihre Aktivität so stark erhöht, dass sie die Synapsen regelrecht aufzehrten. Bei den Mäusen mit einmaligem Schlafmangel waren die Mikroglia in 8,4 Prozent der Synapsen im Arbeitsmodus; bei den Tieren mit dauerhaftem Entzug war dies sogar in 13,5 Prozent der Fall.

Schlafmangel sorgt also dafür, dass mehr Neuronenverbindungen aufgelöst werden. Dabei handelte es sich meist um große und damit relativ alte Synapsen, die schon lange vom Hirn genutzt wurden. Auf den ersten Blick sieht dies beruhigend aus, da sie meist von neuen Synapsen ersetzt werden. Allerdings haben frühere Studien gezeigt, dass eine dauerhaft erhöhte Aktivität von Mikroglia mit Morbus Alzheimer und anderen neurodegenerativen Erkrankungen zusammenhängen könnte. Eine Untersuchung in "Nature Neuroscience" hatte auch gezeigt, dass chronischer Schlafmangel Demenz begünstigen kann: Im Gehirn betroffener Menschen sammelten sich mehr Plaques aus Beta-Amyloiden an, die mit der Alzheimerkrankheit eng in Verbindung stehen. Die genaue Rolle der Mikrogliazellen bei neurodegenerativen Erkrankungen ist allerdings noch unklar.

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