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Ein Gesetz für alle Fälle

Nette: Steve, du bist doch Textchef bei Gehirn&Geist.

Steve: Jau. Was führst du im Schilde?

N: Naja – woher weißt du eigentlich, dass das, was du da so anmerkst, auch richtig ist? Ich meine, gibt es ein Handbuch des guten Textens?

S: Klar, und nicht nur eins. Neuerdings glänzte Spiegelonline-Mann Bastian Sick ja gleich mit einer ganzen Serie von äußert beliebten Sprachratgebern (siehe unsere Anbetung des Zeigefingers). Aber natürlich gibt es auch Klassiker wie dem Schneider Wolf sein »Deutsch für Profis« oder Textors – nomen est omen! – »Sag es treffender« ...

N: Nix nomen est omen, der »Textor« ist ein latinisierter »Weber« und das Pseudonym einer Annemarie desselben Namens ... aber egal: Woher wissen all diese Leute, was richtig ist?

S: Was du nicht alles weißt! Aber nun: Das eine betrifft ja sprachliche Konventionen – die sind so und basta. Dass wir im Deutschen das Genitiv-S ohne Apostroph ans Wort anhängen zum Beispiel, also nicht Schneider's Wolf, sondern Schneiders Wolf schreiben. So etwas ist bei uns im Verlag Sache der Schlussredaktion. Wobei natürlich auch Konventionen diskutabel sind, wie uns die Rechtschreibreform (oder was davon übrig blieb) schmerzlich vor Augen führte.

N: Und wie ist das mit dem Stil? Der Lehre vom schönen Schreiben?

S: Also, beim »Textcheffeln« für Gehirn&Geist geht es in erster Linie darum, dass wir uns im Heft möglichst verständlich, abwechslungsreich und hier und da auch witzig ausdrücken. Worauf ich mich dabei berufe? Auf nichts als mein Gefühl!

N: Ich suche aber nach der Letztbegründung, wie Kant das genannt hätte; also nach den Bedingungen der Möglichkeit, einen sprachlichen Ausdruck als »gut« oder »schlecht«, »richtig« oder »falsch« zu bezeichnen. Welchen wirklich gesicherten Kriterienkatalog kann ich heranziehen, um das zu tun?

S: Keinen. Wie auch? Ob ein Ausdruck passt oder nicht, ist teils Geschmackssache – wobei das meines Erachtens gar nicht so furchtbar viel ausmacht. Entscheidend ist, dass da immer der Kontext mitspielt. Und mögliche Kontexte gibt es unendlich viele. Das Wort »Oberstübchen« zum Beispiel kann bei uns in einer launigen Glosse gut aufgehoben sein, in einem Artikel über Hirntod dagegen völlig deplatziert. Noch dazu ändern sich Kontexte am laufenden Band – was gestern witzig war, lässt uns morgen nur noch gähnen. Wie sollte es da eine in Stein gemeißelte Anleitung geben?

N: Eben. Es gibt aber den Schönschreib-Duden oder Bücher wie »Sag es treffender«, aber das sind immer nur Übereinkommen, nie wirklich Begründungen. Du kannst also nirgends nachschauen und sicher wissen: Dieser Satz muss so geschrieben werden und nicht anders, damit ihn alle im Prinzip richtig verstehen können. Stattdessen musst du eigentlich immer diskutieren. Oder dich auf Konventionen berufen, die morgen schon anders sein können.

S: Soll ich mich jetzt erschießen?

N: Vielleicht. Denn man kann mit Sprache eine Menge anrichten. Es gibt die Geschichte eines Todkranken, der nicht todkrank geworden wäre, wenn der Text auf dem Beipackzettel seines Medikaments eindeutig geschrieben gewesen wäre.

S: Tragisch. Zum Glück verfassen wir keine Medikamenten-Beipackzettel.

N: Trotzdem trägst du eine große Verantwortung.

S: Ich schreib's mir hinter die Ohren – und bleibe dabei: Um Verständlichkeit zu prüfen, braucht es verständige Menschen, keine Regelwerke.

N: Warte nur ab! Es gibt neuerdings ein »Zentrum für sprachliche Bedeutung« in Berlin, das untersuchen will, welche sprachlichen Ausdrücke die richtigen sind, um einen Sachverhalt wahrheitsgemäß auszudrücken.

S: Hui, viel Spaß, kann ich da nur sagen!

N: Wenn das Zentrum in 50 Jahren seine Ergebnisse vorlegt, dann können Wolf Schneider und die anderen alle einpacken, weil es dann nur noch wenig zu deuteln gibt. Denn dann ist es so, wie es ist.

S: Aber dann wird Wolf Schneider schon tot sein.

N: Tragisch.

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