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Kommentare - - Seite 1

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  • ein "postfaktischer" Artikel

    07.04.2017, Pertti Valkonen
    Als ich denTitel las, dachte ich: Super, endlich mal ei Beitrag, der sich -
    Die Enttäuschung folgte sogleich. Was für olle Kamellen wurden da rausgeholt? "Die Sittenlosigkeit der Gottlosen" - echt, um Christen zu finden, die Atheisten damit konfrontieren, muß man schon weit gehen! Blieb dem Artikelschreiber ja auch nicht verborgen, daß das kein Thema der Christenheit und der Kirchen ist, sondern einiger randständiger Extremer.

    Dabei stimmt es sogar, religiöse Menschen sind im Schnitt "ethischer", sozialverträglicher. Krankenhäuser, Altenheime, ja bis hin zu Suppenküchen - ohne religiös motivierte Menschen im Gesundheitssystem usw. wäre die Bundesrepublik nicht der sozialE Staat, der er noch ist. Die Natur lebt eben nicht nach Kants "Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne". Sie lebt nach "Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit - einen Nutzen für Dich bringt". Deswegen spenden Vampire Blut, und deswegen schubsen Pinguine. Ethik ist in der Natur kei Wert, sondern ein Mittel zum Zweck. Auch beim Menschen.

    Was bringt nun Religion ein? Bringt sie Ethik ein? Nein, das hat der Verfasser richtig geschrieben. Was bringt sie dann? Gefüge!

    Es ist leicht zu behaupten: "Würde die Religion die Menschen besser machen, so wie viele Gläubige meinen, dann müsste es logischerweise in tiefreligiösen Gesellschaften weniger Verbrechen geben. Häufig ist jedoch das Gegenteil der Fall". Schwerer ists schon, das auch zu belegen. Scheint dem Verfasser unbewußt auch klar gewesen zu sein, weswegen er schnell mal den Schwenk macht weg von der selbst angesprochenen Kriminalität hin zu: "Immer da, wo Religionen stark vertreten sind, ist es mit Demokratie und Menschenrechten nicht zum Besten bestellt". Ja genau! Politische Systeme, die sich nicht auf Religion stützen, sind da deutlich besser. Nazideutschland, Stalinismus, Nordkorea, Pol Pot, China, Kuba...

    Nein, es heißt nicht "religio homini lupus", sondern "homo homini lupus". Egal welche Weltanschauung - sobald ein Staat diese als staatstragende Ideologie einsetzt, kann diese zum Zwecke des Machterhaltes und -ausbaus repressiv eingesetzt werden. Mittlerweile "verteidigen" sogar wir "die Demokratie und (westliche) Freiheit" im fernen Hindukusch, zerstören dafür die Opiumfelder der Bösen und beschützen die Opiumfelder der Guten. So tun es die USA schon seit langem. Die mögen ein christlicher Staat sein, doch wurden - und werden noch immer - politische Entscheidungen und Grundsätze vor allem areligiös motiviert. Es ging (zumindest offiziell) um Freiheit und Demokratie, als die USA Alaska kauften (und so die zaristische Monarchie auf amerikanischem Boden beendeten), als die USA in Europa zweimal in den Weltkrieg zogen, als sie die Mudschaheddin im Kampf gegen die sowjetische Invasion unterstützten, Pinochet beim Putsch gegen Allendes Linksbündnis halfen. Und oft genug ging es um Macht und Profit. Vorgeschoben wurde aber nicht "Gott". Als Ideologie läßt sich wie's scheint so ziemlich alles mißbrauchen. Von jedem, egal ob religiös oder nicht. Homo homini lupus, nichts anderes.

    Die größte Enttäuschung war aber nicht mal dieses lächerliche Thema, ob Religion nun gut ist für Ethik und soziale Gesellschaft. Das wäre immer noch ein gutes Thema, zu dem sachlich Pros und Contras vorgetragen werden könnten. Ganz im Sinne wissenschaftlicher Objektivität, ganz dem Ruch von Spektrum entsprechend. Nein, die wirkliche Enttäuschung ist, daß Spektrum solch einen einseitigen Artikel publiziert. Der Verfasser scheut sich nicht mal vor unnötigen Seitenhieben: "Beide bewiesen auf unterschiedliche Art und Weise, dass es ein großer Irrtum ist zu meinen, wir bräuchten ein religiöses Wertesystem, um gute Menschen zu sein. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, weshalb Vampire und Aufklärer gleichermaßen von der Kirche verfolgt wurden." Eswar an dieser Stelle völlig unnötig, aber sehr effektiv, Kirchens eine bestimmte böse Absicht nachzusagen.

    Als Christ werde ich seit Jahrzehnten immer wieder angefeindet, zur Rechenschaft für wasauchimmer gezogen, beleidigt, abgewertet und noch mehr. Ich darf immer wieder lesen und auch hören, daß Religion abgeschafft gehöre, verboten gar, und wer renitent gläubigbleibe, müsse weggesperrt, wenn nicht gleich hingerichtet werden. Das wurde ernsthaft so gesagt. Kirchenkritik ist seit langem tres chic, und wenn dafür auch Aufklärungsmärchen bemüht werden oder die Kirchensteuer (die der Staat den Kirchen aufgezwungen hat, nachdem er deren vorherige Alimentierung wegnahm).

    Und nun darf ich auch bei Spektrum erste Töne in dieser Richtung lesen. Wo bleibt da die wissenschaftliche Objektivität? Wissenschaftlicher Atheismus ist nicht antitheistisch, sondern weltanschauungsunabhängig, um mit allen Weltanschauungen kompatibel sein zu können, um von Menschen unabhängig von deren Religion oder sonstiger "Glaubens"sicht akzeptiert und betrieben werden zu können. Aber ein "Wir finden die Wahrheit, und "die" waren schon immer gegen die Wahrheit, unterdrückten schon immer Vampit und Aufklärer" ist dem nicht angemessen, sondern schadet der Wissenschaft. Liebe Spektrum.de-Redaktion, wollt Ihr Euch die Religiösen absichtlich zu den Wissenschaftsablehnern machen, als die ihr sie durch solchen Beitrag zeichnet? Zeichnen laßt.
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