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Kommentare - - Seite 1

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  • Nachtrag

    15.04.2017, Pertti Valkonen
    Am 10. dieses Monats veröffentlichte die Universität Zürich einen Artikel, auf den ich durch einen Zeitungsartikel im Berliner Tagesspiegel aufmerksam gemacht wurde.
    http://www.tagesspiegel.de/wissen/hirnforschung-schummler-werden-ehrlich-gemacht/19654332.html
    http://www.media.uzh.ch/de/medienmitteilungen/2017/Ehrlichkeit-verst%C3%A4rken.html

    Probanden spielten ein Spiel, bei dem sie Geld gewinnen konnten. Der Spielaufbau war allerdings so aufgebaut, daß man problemlos schummeln konnte, um so mehr Geld zu erhalten. Dabei schummelten 8% der Probanden jedes Mal, wenn sie sonst nicht gewonnen hätten, aber viele schummelten auch kein einziges Mal. Etliche, wie es scheint die meisten, schummelten hingegen gelegentlich, wägten also jedes Mal ab zwischen"Ehrlichkeit" und "Vorteil".

    Der gesamte Test wurde wiederholt, doch diesmal wurde eine spezielle Hirnregion stimuliert. Das Ergebnis war, daß deutlich weniger geschummelt wurde - jedoch nicht bei den "notorischen Schummlern", sondern nur unter den in jedem Einzelfall abwägenden. Bei den konsequent Ehrlichen blieb das Ergebnis natürlich ebenfalls unverändert.

    Wenn wir das Verhalten der drei Probandengruppen mal als "Ethik" betrachten, also auch das Dauerschummeln der dritten Gruppe, das wir gemeinhin eher unethisch nennen würden, dann gäbe es zwei Gruppen mit normativer Ethik und eine mit situativer Ethik, bei der im Einzelfall abgewogen und - so Christian Ruffs Auffassung vom Willen - frei entschieden wird. Die Stimulierung der speziellen Gehirnregion nun macht aus der situativen Ethik eine normative; die Einzelentscheidung wird dem Probanden "abgenommen".

    Bezeichnenderweise aber nur in Richtung der Ehrlichkeit normierenden Ethik. Diese beiden Ethiken sind neurologisch also nicht gleichwertig, passend zu unserem Bauchgefühl, nur das eine Verhalten ethisch zu nennen, das andere jedoch nicht. Freud würde vielleicht sagen, daß das eine die Ethik des Überichs wäre und das andere die des Es, tatsächlich zwei Quellen des menschlichen Geistes zur Steuerung seines Verhaltens in ethischen Belangen.

    Wenn nun ein Pinguin einen Artgenossen ins Wasser schubst, so dürfte dies am ehesten der "Ethik" oder dem Verhaltenskodex des Es entsprechen. Wohin aber gehört die Blutspende-Mentalität unter Vampiren? Das, was Freud für das Überich hält, dürften wir schwerlich bei Vampirfledermäusen finden, speist es sich doch aus Quellen, die den Fledermäusen nicht zur Verfügung steht. (Am ehesten wäre dem Überich vergleichbar das Verhaltensrepertoire eines abgerichteten Hundes, wenn es a) eine ethische Komponente hätte und b) nicht von einem Kulturwesen antrainiert wäre.) Und in der Tat wurde in den Kommentaren zu recht darauf aufmerksam gemacht, daß die blutspendende Fledermaus für die eigene Not vorsorgt, hier also eher ein "eine Hand wäscht die andere" als einen kategorischen Imperativ evolutiv hervorgebracht hat. Ehrlichkeit statt gefahrlosen Schummelns ist da ne völlig andere Hausnummer als "tierische Ethik".

    Bei einem weiteren Test konnten die Probanden sogar schummeln, um anderen Menschen ein besseres Ergebnis zukommen zu lassen. Hier führte die Stimulierung jener Hirnregion zu keinem abweichenden Ergebnis. Da es hier um zwei ethische Inhalte ging, Ehrlichkeit und Altruismus, kann die Stimulation nur die ethische Motivation der Entscheidung verstärken, nicht aber die Entscheidung selbst.

    Wir wissen, daß die Inhalte einer Ethik kultureller Natur sind. Es gibt in jeder Kultur andere Sichtweisen, was richtig und was falsch ist, es gibt kein positives Recht, kein Naturrecht - weswegen es ja auch Streit um die Allgemeingültigkeit der Menschenrechte gibt. Die Inhalte einer Ethik werden kulturell geprägt, wie es denn auch bei der Sprache ist, die jeder Mensch erst einmal erlernen muß, und die eben nicht angeboren ist. Was angeboren ist, das ist die Fähigkeit zur Sprache. Ebenso wird unsere genetische ethische Veranlagung nur ,als Befähigung zur Ethik in uns stecken.

    Aber Ethik selbst ist uns ebenso wenig angeboren wie eine der zahlreichen menschlichen Sprachen. Beides ist kulturell erarbeitet. Und in Sachen Ethik kann Religion durchaus ein wesentlicher Antrieb gewesen sein. Das heißt nicht, daß es außerhalb von Religion keine Ethik geben kann. Nachdem es erst einmal Sprachen gab, können Menschen sogar Kunstsprachen bilden wie z.B. Volapük und Esperanto. Ohne voraufgegangene Sprachen wäre das jedoch nicht möglich gewesen. So wäre auch der Beitrag der Religionen zur Ethik, wenn es ihn gab, ein historischer und heute nicht mehr notwendig zum Bilden einer eigenen Ethik. Aber dennoch steht die Frage dieses Beitrages im Raum und kann nicht mit dem Verweis auf atheistische Ethik entkräftet werden. Und wie es aussieht, auch nicht mit Vampirfledermäusen.
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