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Mathematische Knobelei: Das Geheimnis der Pyramiden

"Das Verhältnis der Seitenkanten multipliziert mit der Kubikwurzel des Gesamtvolumens aller Scheingänge einer Pyramide entspricht exakt der durchschnittlichen Schwanzlänge eines Arbeitsdromedars der betreffenden Bauperiode." - Was für einen Unsinn manche Autoren doch in die Geometrie der ägyptischen Pharaonengräber hineininterpretieren... Aber zugegeben: Die wahren Hintergründe sind schon ein wenig ernüchternd, geradezu prosaisch. Es fehlte den Bauherren nämlich an Farbe zum Anstreichen.
Bekanntlich waren die Pharaonen des alten Ägyptens keine einfachen Vorgesetzten. Nein, sie waren Götter auf Erden und wollten nach ihrem Tod ganz besonders unsterblich werden. Und so hielt sich in ihren Kreisen Jahrtausende lang die Mode, nach dem Ableben in eine mächtig pompöse Gruft umzuziehen. Je größer, höher, tiefer, geheimer, verwinkelter, verzwickter und rätselhafter, umso besser. Ganz zu schweigen von den vielen kleinen Fallen für Grabräuber und Liebhaber der erst in jüngster Zeit aufgekommenen Computer-Adventures.

Doch beschränken wir uns für diese Knobelei auf die Größe. Die absoluten Spitzenreiter in jener Kategorie sind zweifellos die Pyramiden. Schon damals galt der quadratische Grundriss mit seinen vier gleichschenklig-dreieckigen Seitenwänden als klassisches Meisterwerk. "Wenn man bedenkt, dass wir uns noch im Altertum befinden, ist das echt geil geworden", soll Cheops ausgerufen haben, als sein Grabmal in Giseh einen neuen Rekord aufgestellt hatte. (Die Authentizität dieser Bemerkung ist in der Fachwelt allerdings heftig umstritten; eine Reihe von Experten hält sie sogar für hieroglyphischen Unsinn.)

Wenn es nach den Pharaonen gegangen wäre, würden ihre Pyramiden also bis zur Sonne reichen und vielleicht noch ein Stückchen weiter. Die Baumeister sahen sich jedoch durch widrige Umstände der realen Welt gezwungen, ein paar beschränkende Parameter zu berücksichtigen. Da war zum einen die begrenzte Halbwertszeit der Pharaonen, die ein Ende der Bauarbeiten in endlicher Zeit nahe legte. Zudem konnte selbst eifrigster Glaube die Steinklopfer, Peitschenschwinger und Quaderschubser nicht vollständig von den Zwängen der Thermodynamik befreien, sodass ein Teil der Bevölkerung weiterhin Zeit mit Viehzucht und Ackerbau vergeuden musste (die Unterwerfung eines fremden Volkes hier und Eroberung eines benachbarten Landes da galt hingegen als gottgewolltes sine qua non).

Am dramatischsten war aber der chronisch akute Mangel an wetterfester Wandfarbe. Dass bis heute niemand Reste von der äußeren Pyramidenbemalung gefunden hat, belegt die außerordentlichen Schwierigkeiten bezüglich der Farbqualität. Von den Sorgen um die Quantität berichtet hingegen einzig das noch nicht entdeckte "Lehrbuch des modernen Pyramidenbaus" der Berufsschule zu Memphis. Während in Ägypten kein Mangel an Steinen herrschte, konnten die damaligen Alchimisten beim besten Willen nur begrenzte Mengen der Lieblingsfarbe aller Pharaonen herstellen: Königsblau. Alternative Vorschläge wie beispielsweise eine dünne Schicht Lapislazuli über die ganze Pyramide scheiterten an der Souvenirgier damaliger Touristengruppen aus Persien und Nubien.

Bestand ein Pharao also darauf, dass seine Pyramide königsblau erstrahlen sollte, musste der Baumeister versuchen, die Oberfläche (ohne Grundfläche) bei gegebenem Volumen möglichst gering zu halten. Von den vielen daraus resultierenden Problemen, wie dann die Winkel, Gänge, Belüftungsschächte etc. zu berechnen sind, greifen wir uns die Einstiegsaufgabe des Pyramidenlehrbuchs heraus und nehmen an, das Volumen sei 100 Kubikellen. Wie groß ist dann die minimale Oberfläche? Oder anders gefragt: Wie viel Farbe braucht man, wenn eine Quadratelle einen Scheffel Farbe schluckt?

Sei a die Grundseite der Pyramide, die wir noch nicht kennen, und h ihre Höhe. Ihr (vorgegebenes) Volumen ist dann

V = 1/3 h a2.

Daraus ergibt sich

h = 3 V / a2.

Man halbiere die Pyramide mit einem vertikalen Schnitt, der durch die Spitze und eine Mittellinie der quadratischen Grundfläche geht. Die Schnittfläche ist ein Dreieck mit der Höhe h; entlang dieser Höhe halbiert ergibt sich ein rechtwinkliges Dreieck. Pythagoras in diesem Dreieck liefert für die Höhe h1 der vier dreieckigen Pyramiden-Seitenflächen

h1 = Wurzel ( (a/2)2 + h2).

Damit ist die mit Farbe zu bedeckende Fläche

F= 4 a h1 / 2
= 2 a Wurzel ((a/2)2 + h2)
= 2 a Wurzel ((a/2)2 + (3V)2 / a4)
= 2 Wurzel (a4 / 4 + (3V)2 / a2).

F ist minimal genau dann, wenn

(F/2)2 = a4/4 + (3V)2/ a2

minimal ist. Es genügt also, mit dem Standard-Verfahren ein Minimum dieser Funktion zu suchen. Die Ableitung nach a soll 0 sein:

0 = 4 a3/4 - 2(3V)2/a3
(3V)2 = a6 / 2
a3 / Wurzel (2) = 3V
a= Kubikwurzel (3 Wurzel (2) V)
= 7,51413 für V = 100

Durch Einsetzen ergibt sich

h = 5,31329 und F = 97,8.

Die minimale Oberfläche ist also 97,8 Quadratellen groß. So viel Scheffel Farbe sind also zum Bemalen der Seitenflächen nötig.

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