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Mathematische Knobelei: Kapitän Blaubarts Schatz

Eine prachtvolle Fregatte unter vollen Segeln, tropische Strände mit weißem Sand und Kokospalmen, ein dickes Kreuz auf einer alten Karte - genau so sieht die Suche nach einem Piratenschatz nicht aus. Ein Abenteuer ist sie dagegen schon und gefährlich allemal. Und ohne gründliche Kenntnisse in Mathematik kann sie leicht zum Scheitern verurteilt sein.
Die Mannschaft ist erschöpft und ausgemergelt. Keiner, dessen Hände und Füße nicht mit offenen Wunden übersät wären, dem nicht vor Hunger der Magen knurren und die Zunge vor Durst am Gaumen kleben würde. Dennoch sind sie zum Durchhalten entschlossen. Alle 37 Mann, angefangen beim kaum zwölfjährigen Schiffsjungen bis zum raubeinigen Skipper.

Volle acht Wochen sind sie schon unterwegs, geleitet und verführt von einem alten Pergament, das schnellen, unermesslichen Reichtum verspricht: einem Teil vom Logbuch des "Fahrenden Todes" - Kapitän Blaubarts letztem Schiff. Dem Schiff, das ihn schließlich mit in die Tiefe nehmen sollte. Ihn, den Kapitän, aber nicht seinen Schatz. Den hatte er vorher noch auf einer einsamen Insel vergraben, wie es sich für einen ordentlichen Freibeuter gehört.

So geht es zumindest aus dem Logbuchfragment hervor. Zwar fehlt die klassische Schatzkarte - ohnehin nur romantische Spinnerei verlogener Kinderbücher -, doch mit den Angaben zu den Meeresströmungen, den klimatischen Verhältnissen und zur Geografie der Küste müsste es möglich sein, den Ort zu finden, wo das Gold in Truhen seiner Wiederentdeckung harrt.

Also waren sie aufgebrochen vor acht Wochen. Frohen Mutes, mit einer schmucken Segeljacht voller Proviant und moderner Technik. Was sie in ihrer Unschuld nicht ahnten, war der Umstand, dass die Seeräuberei auch heute noch ihren Mann ernährt und gerade zwielichtige Gestalten aus dem Gesicht eines Matrosen mehr lesen können, als wenn er seine Gedanken in der Zeitung drucken ließe. Einen halben Tag nach ihnen lief ein Motorboot aus, unter dessen seltsamer Plane am Bug sich eine kleine Kanone auf einer Lafette befand.

Drei Tagen später wurden sie von den Piraten aufgebracht. Bevor das Enterkommando jedoch übersetzen konnte, schlug das Wetter plötzlich um, bildete sich eine Windhose und riss die Angreifer in den Tod. Es folgte ein Orkan, der drei Tage wütete und wie durch ein Wunder keine weiteren Leben forderte. Dafür nahm er den größten Teil der Vorräte mit sich und zerstörte praktisch alle technischen Einrichtungen. Von da an waren sie ganz auf sich und die Segelkraft ihrer Jacht gestellt. Einen Hafen anzulaufen, um Reparaturen auszuführen, wagten sie nicht, aus Angst vor neuen Verfolgern.

Und nun waren sie hier. Von diesem Hafen aus sind Blaubarts Schiffe "Fahrender Tod" und "Bleicher Hans" zu der Schatzinsel übergesetzt. Insgesamt fünf Mal. Sie fuhren nach einem bestimmten System gestaffelt, um nicht zu sehr aufzufallen und rechtzeitig zu bemerken, falls sich im Hafen merkwürdige Dinge tun sollten. Der "Bleiche Hans" setzte zuerst zur Insel über, während der "Fahrende Tod" im Hafen vor Anker blieb.

Am 21. Dezember, genau um 12 Uhr mittags, starteten beide Schiffe und fuhren mit unterschiedlichen, aber konstanten Geschwindigkeiten auf geradem Kurs zum Hafen bzw. zur Insel. Sie begegneten einander 110 Seemeilen vor der Insel. Auf dem Eiland angekommen, benötigte die Mannschaft des "Fahrenden Todes" exakt 24 Stunden, um die Schätze von Bord zu bringen und zu vergraben. Dann machte das Schiff sich unverzüglich auf den Rückweg - und zwar genauso schnell wie auf dem Hinweg. Ebenfalls genau einen Tag brauchte die Besatzung des "Bleichen Hans" für die heimliche Beladung ihres Schiffes mit weiterem Gold und Silber. Auch sie stach gleich wieder mit gewohnter Geschwindigkeit in See. Diesmal trafen sich die Freibeuter 60 Seemeilen vor dem Hafen. So ging es weiter, bis der gesamte Schatz verborgen war.

Und in eben jenem Hafen liegen nun die modernen Abenteurer. Um zu der Insel überzusetzen, brauchen sie Vorräte an Wasser und Proviant. Aber das ist teuer hier, und sie dürfen unter keinen Umständen auffallen. Also kaufen sie nur so viel, wie unbedingt nötig ist. Bloß: Wie weit liegt die Insel vom Hafen entfernt? Auf welche Entfernung müssen die Schatzsucher sich einstellen? Erst wenn diese Frage geklärt ist, kann die Fahrt weitergehen - in den Reichtum oder ins Verderben.
Also nehmen wir an, die beiden Schiffe haben die individuellen Geschwindigkeiten v1 und v2, egal wie der Wind weht. x ist der unbekannte Weg vom Hafen bis zur Insel. Dann treffen sie sich das erste Mal, wenn das erste Schiff schon x–110 Meilen und das andere 110 Meilen zurückgelegt hat:

(1) (x–110) / v1 = 110 / v2

Sie treffen sich zum zweiten Mal, wenn das erste Schiff die zweite Tour bis auf 60 Meilen und das zweite eine Tour plus 60 Meilen zurückgelegt hat:

(2) (2x–60) / v1 = (x+60) / v2

(Auf beiden Seiten habe wurden die 24 Stunden Ladezeit schon abgezogen bzw. gar nicht erst hingeschrieben.) Was uns interessiert, ist nicht v1 und v2, sondern deren Verhältnis p = v2/v1. Also

(1) p(x–110) = 110
(2) p(2x–60) = x+60

Aus der ersten Gleichung p = 110 / (x–110) ausrechnen, in die zweite einsetzen, ergibt

110(2x–60) = (x–110)(x+60)

Ausmultiplizieren und Aufräumen ergibt

x2–270x = 0

und daraus x = 270. (Die Lösung x = 0 macht keinen Sinn.)

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